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Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
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Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
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Folge 325: Arbeitszeit – aktuelle Entwicklungen V - Arbeitsbereitschaft/Bereitschaftsdienst/Rufbereitschaft -
Frage:
Gehört es zu meiner Arbeitszeit, wenn ich am Verkaufstresen, in der Kneipe oder in der Telefonzentrale mangels Kundschaft einen Western lese? Wenn ich mich für den Arbeitgeber bereit halten muß, Bereitschaftsdienst
leisten muß etc? Ist dies Arbeitszeit, wie verhält es sich mit meinen Ruhepausen? Darf der Arbeitgeber anordnen, daß ich meine unbezahlten Pausen so lege, wie es der Arbeitsanfall gerade zuläßt?
Der Fall:
Graf Zeppelin ist Pförtner beim Finanzamt. Nach der großen Steuerreform traut sich kein Kunde mehr ins Finanzamt. Der Pförtner dreht Däumchen oder verfaßt Liebesromane. Der Finanzamtsvorsteher meint, daß diese
Zeit nicht als Arbeitszeit bezahlt werden müsse. Walter Benjamin ist angestellter Buchhändler. Da am Vormittag keine Kundschaft kam, meinte Arbeitgeberin Käthe Kollwitz, daß diese Zeit als unbezahlte Pause
bzw. als Freizeit anzusehen sei. Dr. Eisenbart hat nach einer vollen Schicht im Operationssaal Arbeitsbereitschaft. Theoretisch kann er sich Schlafen legen, wenn nicht die Notfälle wären. Arbeitszeit?
Rembrand van Rijn wird in seiner Malerwerkstatt gerade nicht benötigt. Arbeitgeber Rubens schickt ihn in eine der umliegenden Kneipen mit der Aufforderung, sich aber bereit zu halten für einen etwaigen
Arbeitseinsatz. Roald Amundsen ist gerade von einer Nordpolexpedition zurückgekehrt. Reeder und Walfischfänger Hauke Haien will ihn gleich auf ein Schiff für eine Expedition zum Südpol verfrachten. Roald
Amundsen will wenigstens während der gesetzlichen Ruhezeit mit seiner Frau kuscheln.
Die Lösung:
1. Arbeitsbereitschaft
Arbeitsbereitschaft ist Arbeitszeit. Der Arbeitnehmer befindet sich am Arbeitsplatz und ist bereit, unverzüglich die Arbeitsleistung aufzunehmen oder in den Arbeitsprozeß einzugreifen. Im Augenblick ist das nicht
nötig, da keine Arbeit da ist oder nur verminderte Arbeit anfällt. Unter Arbeitsbereitschaft wird deshalb gegenüber der Vollarbeit einerseits die verminderte Leistung, andererseits aber die Bereitschaft zur
sofortigen Aufnahme der Arbeit ohne Aufforderung am Arbeitsplatz verstanden. Arbeitsbereitschaft wird definiert: „Wache Achtsamkeit im Zustand der Entspannung“. Arbeitsbereitschaft liegt z.B. vor, wenn der
Pförtner Graf Zeppelin in der Pforte wacht, wenn Buchhändler Benjamin auf Kundschaft wartet oder wenn die Maschine stillsteht mangels Nachschub. Grundsätzlich ist für die Arbeitsbereitschaft dieselbe
Vergütung wie für die Vollarbeit zu zahlen. Allerdings wären einzelvertraglich oder tarifvertraglich vereinbarte Abschläge oder Pauschalregelungen zulässig. Dies wäre z.B. bei Fernfahrern denkbar für Ladezeiten,
in denen der Fahrer wegen Ab- oder Beladen nicht arbeiten kann.
2. Bereitschaftsdienst/Anwesenheitsbereitschaft
Bereitschaftsdienst ist dann gegeben, wenn sich ein Arbeitnehmer an einer bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebes bereithalten muß für den Fall, daß seine Arbeitskraft benötigt wird. Er muß
i.d.R. nicht unmittelbar am Arbeitsplatz anwesend sein. Wenn die Arbeit nicht benötigt wird, muß er nicht arbeiten. Der Arbeitnehmer kann z.B. auch schlafen. Ein solcher Bereitschaftsdienst wird
typischerweise in vielen Kliniken von Ärzten abgeleistet, so auch von Dr. Eisenbart. Nach früherer Rechtsprechung zählte der Bereitschaftsdienst nicht zur Arbeitszeit. Dies hat sich jedoch geändert! Der
Europäische Gerichtshof hat entschieden, daß Bereitschaftsdienste, die die Ärzte zur medizinischen Grundversorgung in Form von persönlicher Anwesenheit in einer Gesundheitseinrichtung leisten, insgesamt als
Arbeitszeit i.S.d. Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23.11.1993 in der Fassung der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 4.11.2003 anzusehen sind. Dem hat sich 2004 auch das
Bundesarbeitsgericht angeschlossen. Das BAG hat anerkannt, daß Bereitschaftsdienste Arbeitszeit im Sinne der Europäischen Richtlinie und im Sinne des Arbeitszeitgesetzes sind.
3. Vergütung Bereitschaftsdienst
Allerdings besteht nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts keine Pflicht, diese Bereitschaftsdienste wie sonstige aktive Arbeitszeit zu vergüten. Die Arbeitsvertragspartner sind frei, für
Bereitschaftsdienst und für die Vollarbeit unterschiedliche Vergütungssätze vorzusehen. Das BAG begründet dies damit, daß Bereitschaftsdienst keine volle Arbeitsleistung erfordert, sondern lediglich eine
Aufenthaltsbeschränkung darstellt mit der Verpflichtung, bei Bedarf unverzüglich tätig zu werden. Dieser qualitativer Unterschied rechtfertige es, die Bereitschaftsdienste mit einer anderen Vergütung zu
versehen, als die Vollarbeit.
4. Rufbereitschaft
Rufbereitschaft ähnelt dem Bereitschaftsdienst. Allerdings kann hier der Arbeitnehmer den Ort mehr oder weniger frei wählen, an dem er sich aufhalten will. Er hat insoweit ein Selbstbestimmungsrecht. Der
Arbeitnehmer muß allerdings an dem angegebenen Ort oder unter einer bestimmten Rufnummer erreichbar sein, um im Einsatzfall zur Arbeit gerufen werden zu können. Dies setzt auch voraus, daß er seinen
Aufenthaltsort in erreichbarer Nähe wählt, um im Einsatzfall den Arbeitsort in angemessener Zeit zu erreichen. Rembrand van Rijn kann durchaus bei Rufbereitschaft eine der umgebenden Kneipen aufsuchen.
Arbeitgeber Rubens muß wissen, in welcher Kneipe Rembrand sich aufhält. Rembrand darf sich nicht besaufen, damit sein Pinselstrich noch locker über die Leinwand fliegt. Für die Rufbereitschaft hat der
Arbeitgeber Rembrand eine angemessene Vergütung zu zahlen, die jedoch deutlich unter der Arbeitsvergütung liegen darf.
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
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Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
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Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
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Folgenübersicht:
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1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
228 - 240: Neue Sperrzeitprobleme Beendigungsvergleich
241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
253 - 264 Hitzeregelungen Internetnutzung (Kündigung)
265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
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