Hans-Gottlob-Ruehle.de
Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 14.  Einstellung: Gentests bei Bewerbern

Im Zeitalter des Fortschritts und der Hochtechnologie entschlüsseln Wissenschaftler mittlerweile selbst die Gene der Menschen. Über die DNA-Analyse soll der Inhalt der Menschen vom Charakter bis zur Krankheitsdisposition offengelegt werden.
Dies wollen sich mittlerweile immer mehr Arbeitgeber für die Besetzung wichtiger Posten zunutze machen. Bewerber müssen sich deshalb teilweise schon einer solchen Genom-Analyse unterwerfen.


Der Fall:

    Bewerber Jack Klemm bewirbt sich auf die Stelle eines Abteilungsleiters. Arbeitgeber Willi Modell will nur Führungskräfte einstellen, die weder gesundheitliche noch charakterliche Risiken aufweisen.
    Deshalb besteht er darauf, daß Jack Klemm vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrages in eine Gen-Analyse einwilligt. Damit soll sein genetisches Material untersucht und dem Willi Modell offenbart werden. Jack Klemm ist verunsichert und befürchtet die Offenlegung seiner dunkleren Charakterseiten. Er sträubt sich und weiß nicht, was auf ihn zukommt. Er fragt den Betriebsrat, ob ein Mißbrauch möglich ist. Auch der Betriebsrat hat keine Ahnung.


Die Lösung:

1. Inhalt der Analyse

    Die genetische Analyse (Genom-Analyse) beinhaltet Untersuchungsmethoden, aufgrund derer ein Rückschluß auf die Struktur oder die Funktion von Genen möglich ist. Dabei gibt es verschiedene Untersuchungsmethoden.
    Über eine solche Genanalyse können vor allem bestimmte Veranlagungen und Dispositionen im erblichen Bereich ermittelt werden. Für den Arbeitgeber ist besonders interessant die Frage nach einer bestimmten genetischen Krankheitsanfälligkeit. Durch die Gen-Analyse können mittlerweile mehrere 100 Erbkrankheiten festgestellt werden. Mittlerweile ist durch weitere Forschungen insbesondere in den USA das Gen-Material zu fast 100 % entschlüsselt worden.
    Dies bedeutet, daß aufgrund neuer Untersuchungsmethoden in Zukunft mit immer weitergehenderen Ergebnissen gerechnet werden darf. Das Interesse des Arbeitgebers Willi Modell an einer solchen Genanalyse besteht insbesondere darin, mittels genetischer Erkenntnisse, die körperliche, gesundheitliche oder psychische Belastbarkeit eines Arbeitnehmers oder entsprechende Defekte, Veranlagungen oder Gefahren zu erkennen.

2. Zulässigkeit der Analyse

    Bei der Bewerbung eines Arbeitnehmers ist das Fragerecht und die Untersuchungsmöglichkeit des Arbeitgebers eingeschränkt. Modell darf die Fähigkeiten des Jack Klemm betreffend den Arbeitsplatz erfragen und ggf. auch testen. Er darf auch prüfen, ob aktuell Krankheiten vorliegen und ob zu befürchten ist, ob durch diese Krankheiten die Eignung des Bewerbers für diese Tätigkeiten ganz oder teilweise eingeschränkt ist. Das berechtigte Interesse des Arbeitgebers bezieht sich also grundsätzlich nur auf die gesundheitliche Verfassung und auf die Fähigkeiten des Bewerbers zum Zeitpunkt der Vorstellung bzw. der Einstellung.
    Ein weitergehendes Fragerecht besteht nicht. Deshalb ist es generell unzulässig, einen Bewerber genetisch zu untersuchen und nachzuforschen, ob zukünftige Erkrankungen, zukünftige körperliche, psychische oder sonstige Defekte auftreten können bzw. ob entsprechende Veranlagungen vorhanden sind. Sauberle hat also kein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, wie Jack Klemm genetisch gestaltet ist.
    Jack Klemm müßte damit rechnen, daß bei einer solchen Genom-Analyse Dinge aufgedeckt werden, die den Arbeitgeber absolut nichts angehen. Verlangt Willi Modell gleichwohl eine solche Untersuchung, so handelt er grob rechtswidrig. Der Bewerber Klemm darf und muß eine solche Untersuchung ablehnen.

3. Schadenersatz

    Lehnt Jack Klemm eine solche Gen-Analyse ab, so wird er im Zweifel die Stelle nicht erhalten. Ein Schadenersatzanspruch von Jack Klemm besteht jedoch in diesen Fällen generell nicht. Der Arbeitgeber hat noch nicht rechtswidrig gehandelt.
    Anders könnte es sein, wenn sich Jack Klemm mit der Genanalyse einverstanden erklärt hat. Trotz des Einverständnisses kann – je nach Umfang der Genanalyse – sein Persönlichkeitsrecht verletzt worden sein. Es muß auch geprüft werden, ob Willi Modell den Ekel ausreichend informiert hat oder nicht. In diesem Falle könnte der dann doch abgelehnte Bewerber Jack Klemm ggf. einen Schadenersatz- oder Schmerzensgeldanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts gegen Willi Modell geltend machen.

4. Betriebsrat

    Der Betriebsrat ist generell für den Bewerber noch nicht zuständig, da der Bewerber sich noch nicht im Arbeitsverhältnis befindet. Gleichwohl ist aber der Betriebsrat verpflichtet, auf ein ordnungsgemäßes Bewerbungsverfahren zu achten. Der Betriebsrat hat nach § 80 BetrVG das Recht und die Pflicht, darauf zu achten, daß im Betrieb die bestehenden Gesetze und Rechtsvorschriften eingehalten werden. Das Verlangen des Arbeitgebers Modell auf Durchführung von Genanalyse bei Bewerbern kann einen gravierenden Rechtsbruch darstellen. Deshalb kann der Betriebsrat hier den Arbeitgeber verpflichten, solche Analysen zu unterlassen. Ist der Arbeitgeber Modell damit nicht einverstanden, so kann der Betriebsrat evtl. vor dem Arbeitsgericht die Unzulässigkeit solcher Methoden feststellen lassen.

5. Herausgabe/Vernichtung

    Hat der Arbeitgeber eine unzulässige Genanalyse vorgenommen, so darf er diese generell nicht verwenden. Gleichwohl ist die Mißbrauchsgefahr groß.
    Aus diesem Grunde kann der Bewerber Jack Klemm immer verlangen, daß die auf rechtswidrige Weise ermittelten Analysen an ihn herausgegeben werden. Zumindest aber ist Willi Modell verpflichtet, diese Analysen zu vernichten und dem Jack Klemm einen Nachweis der Vernichtung zu erbringen. 

>> Nächste Folge: Einstellung: Assessment Center
<< Zurück zur Übersicht

 

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
 

Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

STARTSEITE >>

Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug