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Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
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Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
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Folge 47: Diebstahl geringfügiger Sachen
Auch bei Unterschlagung oder Diebstahl geringfügiger Werte reagieren Arbeitgeber normalerweise mit der fristlosen Kündigung. Viele Arbeitnehmer empfinden dies als ungerechtfertigt, da der Schaden des Arbeitgebers
gering zu sein scheint. Arbeitgeber wenden dagegen ein, daß das Vertrauensverhältnis zerstört sei.
Der Fall:
Die Verkäuferin Loreley ist seit 3 Jahren bei der Arbeitgeberin Jorinde beschäftigt. Seit 1 Jahr leitet sie als Verkaufsstellenverwalterin selbständig eine Filiale mit noch 2 anderen
Teilzeitkräften. Am 21. Juni nimmt sich die süße Loreley aufgrund eines heftigen Verlangens aus dem Bestand der Filiale eine Schachtel Pralinen im Verkaufswert von 3,5 Euro und verzehrt diese genüßlich. Auf
eine Bezahlung verzichtet die Mitarbeiterin. Arbeitgeberin Jorinde kündigt nach Bekanntwerden des Vorfalls fristlos. Die süße Loreley hält diese Kündigung für unverhältnismäßig. Eine Abmahnung hätte völlig
ausgereicht, um ihr klarzumachen, daß sie zukünftig bei ihrem Drang nach Süßigkeiten die Bezahlung nicht vergessen dürfe. Dies gelte vor allem aufgrund der jahrelangen treuen Dienste. Arbeitgeberin Jorinde
dagegen hält das Vertrauensverhältnis für gestört. Sie stellt die jahrelangen treuen Dienste angesichts des Vorfalls in Frage. Wer hat recht?
Die Lösung:
1. Außerordentliche, fristlose Kündigung
Die außerordentliche bzw. fristlose Kündigung ist nach § 626 BGB nur das allerletzte Mittel des Arbeitgebers, um ein Vertragsverhältnis aufzulösen. Nur wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund
derer der Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist
unzumutbar ist, kann fristlos gekündigt werden. Die Rechtsprechung spricht hier von der “ultima ratio”. Im Ergebnis bedeutet dies, daß viele fristlose Kündigungen zu Unrecht ausgesprochen werden, weil dem
Arbeitgeber in der Regel wenigstens der Ausspruch einer ordentlichen Kündigung und damit die Einhaltung der gesetzlichen, tariflichen oder vertraglichen Kündigungsfrist zumutbar ist. Die außerordentliche
Kündigung muß innerhalb einer Frist von 2 Wochen nach Kenntniserlangung vom Kündigungsgrund ausgesprochen werden. Dies ist vorliegend der Fall.
2. Strafbare Handlung
Der Hauptfall eines wichtigen Grundes für die außerordentliche und fristlose Kündigung ist das Vorliegen einer Straftat im Arbeitsverhältnis. Diese Straftat kann sich gegen den Arbeitgeber, gegen Arbeitskollegen
oder auch gegen Kunden richten. Die Rechtsprechung geht davon aus, daß bei Vorliegen von Straftaten in der Regel das Vertrauensverhältnis so gestört ist, daß eine weitere Zusammenarbeit und die Einhaltung der
Kündigungsfrist dem Arbeitgeber nicht mehr zumutbar ist. Bei Straftaten gegenüber Kollegen muß im übrigen der Arbeitgeber schon aus Gründen der Fürsorgepflicht entsprechend reagieren. Im vorliegenden Falle
lag ein Diebstahl bzw. eine Unterschlagung der Ware aus der Filiale, d.h. des Eigentums des Arbeitgebers vor.
3. Diebstahl geringwertiger Sachen
Im Verhältnis zum Gesamtwarenwert einerseits und dem Gehalt der Verkäuferin Loreley von ca. 1.800 Euro monatlich war der Warenwert von 3,5 Euro gering. In der Rechtsprechung mancher
Arbeitsgerichte und in der Literatur ist immer wieder die Meinung vertreten worden, daß der Diebstahl geringwertiger Sachen zum Nachteil des Arbeitgebers nicht geeignet sei, einen wichtigen Grund zur fristlosen
Kündigung darzustellen. Demgegenüber hat die herrschende Rechtsprechung, insbesondere auch des Bundesarbeitsgerichts, daran festgehalten, daß jede Verletzung der arbeitsvertraglichen Haupt- und Nebenpflichten
als wichtigen Grund für eine Kündigung in Betracht kommen kann. Insbesondere das Bundesarbeitsgericht hat immer wieder ausgeführt, daß für die Störung des Vertrauensbereiches nicht von entscheidender Bedeutung
sei, wie hoch der Warenwert der gestohlenen oder unterschlagenen Ware ist. Es muß dabei auch das Argument der Arbeitgeberin Jorinde berücksichtigt werden, wonach der zutagegetretene Diebstahl möglicherweise
nur die Spitze des Eisbergs sein könnte. Jedenfalls kann nicht ermittelt werden, ob diese Rechtsverletzung die erste Straftat darstellte oder nicht.
Beispiel: Das Arbeitsgericht Frankfurt hat einmal geurteilt, daß der Diebstahl geringwertiger Waren bis zu 5 DM nicht mit fristloser Kündigung geahndet werden könne. Dieses Urteil ist
vom Hessischen Landesarbeitsgericht aufgehoben worden. Das Bundesarbeitsgericht hat demgegenüber entschieden, daß auch der Diebstahl eines Plunderstückchens im Wert von 1,50 DM durch eine Bäckereiverkäuferin für
eine fristlose Kündigung ausreichte.
Im Ergebnis ist somit festzuhalten, daß kein Arbeitnehmer damit rechnen darf, vor den Arbeitsgerichten wegen des geringen Werts einer gestohlenen Sache obsiegen zu können.
4. Interessenabwägung
§ 626 Abs. 1 BGB schreibt vor, daß die Unzumutbarkeit der Einhaltung einer Kündigungsfrist unter Abwägung aller Interessen beider Vertragsteile und unter Berücksichtigung aller Umstände
des Einzelfalles geprüft werden müsse (2. Stufe der Prüfung). Verkäuferin Loreley hat dies zum Anlaß genommen, der Arbeitgeberin vorzuhalten, daß eine Abmahnung ausreichend gewesen sei, um diese
Fehlverhaltensweise zu ahnden. Nach der Rechtsprechung ist diesem Argument jedoch nicht zu folgen. Der Verkaufsstellenverwalterin Loreley war von der Arbeitgeberin ein bestimmter Bestand an Waren und Geld
anvertraut worden. Arbeitgeberin Jorinde mußte sich auf die Ehrlichkeit der Loreley verlassen können. Jeder Arbeitnehmerin, insbesondere im Einzelhandel, ist klar, daß Diebstahl oder Unterschlagung von Waren zu
Lasten der Arbeitgeberin einen schwerwiegenden Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten darstellen, der zur Kündigung aus wichtigen Grund führen kann. Hinzu kommt, daß die Mitarbeiterin Loreley erst ca. 3
Jahre beschäftigt war und ohne Unterhaltspflichten ist. Es kann deshalb nicht davon gesprochen werden, daß die Arbeitnehmerin schon über viele Jahre hinweg gearbeitet unbescholten gearbeitet habe. Achtung:
Nach der Rechtsprechung könnte hier etwas anderes dann gelten, wenn die Arbeitnehmerin Loreley z.B. schon seit 2 oder 3 Jahrzehnten ohne Vorfälle und Probleme gearbeitet hätte.
5. Checkliste
- Fristlose, außerordentliche Kündigung nur im Ausnahmefall, als allerletztes Mittel möglich.
- “Wichtiger Grund” i.S.d. § 626 BGB notwendig.
- Hauptfall: Strafbare Handlung.
- Sonst ist generell die ordentliche Kündigung und Einhaltung der Kündigungsfrist dem Arbeitgeber zumutbar.
- Stets vor Kündigung Interessenabwägung vorzunehmen.
- Diebstahl / Unterschlagung geringwertiger Sachen berechtigt i.d. Regel auch zur fristlosen Kündigung.
- Ausnahme: Wenn wegen langer, treuer Betriebszugehörigkeit ohne Vorfälle die fristlose Kündigung völlig überzogen wäre.
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
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Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
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Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
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Folgenübersicht:
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1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
228 - 240: Neue Sperrzeitprobleme Beendigungsvergleich
241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
253 - 264 Hitzeregelungen Internetnutzung (Kündigung)
265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
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