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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 80: Private Internetnutzung am Arbeitsplatz

Der Fall:

Arbeitgeber Mephistopheles beschäftigt den Verkaufsmanager Faust seit 3 Jahren. Wegen der Internationalisierung der Geschäfte richtet Mephistopheles für Faust einen Internet-Zugang ein.
Mephistopheles kennt das Problem der Versuchung. Um vorzubeugen, vereinbart er mit Faust schriftlich einen Zusatz zum Arbeitsvertrag. Darin ist geregelt:
– Der Internet-Zugang darf nur für dienstliche Zwecke verwendet werden.
– Das Herunterladen von Daten mit gesetzwidrigem, rechtsradikalem oder pornografischem Inhalt ist unzulässig.
– Bei Verstößen gegen diese Vereinbarung kann der Arbeitgeber den Internet-Zugang vorübergehend oder dauernd sperren.
Nach 1 Jahr führt Mephistopheles eine Überprüfung der Internet-Nutzungen sämtlicher Mitarbeiter durch. Dabei stellt er fest, daß Faust während seiner Arbeitszeit Dateien mit pornografischem Inhalt heruntergeladen hat. Faust hat mindestens 22 Stunden mit pornografischen Dateien verbracht. Auf dem geschäftlichen Laptop sind mindestens 15 einschlägige Videoclips gespeichert. Außerdem hat Faust über seine geschäftliche E-Mail Kontakte mit diversen Gespielinnen geführt.
Arbeitgeber Mephistopheles kündigt nach Bekanntwerden sofort fristlos. Faust klagt gegen die Kündigung und trägt vor, daß die Überprüfung der E-Mails des Klägers einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre darstelle.
Eine Kündigung sei auch deshalb ausgeschlossen, weil für den Fall von Verstößen gegen die Internet-Vereinbarung nur die Sperrung des Internet-Zugangs vereinbart sei. Zumindest aber hätte wegen der massiven Versuchungen und Möglichkeiten des Internet Arbeitgeber Mephistopheles erst einmal abmahnen müssen, bevor er kündigt.
Wird Faust obsiegen?

Die Lösung:

1. Ultima-Ratio-Prinzip

Nach dem Willen des Gesetzgebers und der Rechtsprechung soll die Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei Vertragspflichtverletzungen stets nur als letztes Mittel angewandt werden (ultima-ratio-Prinzip). Ist dem Arbeitgeber eine weniger einschneidende Maßnahme, wie z.B. eine Ermahnung oder Abmahnung, eine Versetzung oder Umsetzung zumutbar, so muß er zunächst diese Maßnahme ergreifen.
Fristlos kann nach § 626 BGB das Arbeitsverhältnis nur aus wichtigem Grund gekündigt werden, nämlich dann, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem kündigenden Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann.
Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt, d.h. der Vorwurf und die Vertragspflichtverletzung an sich überhaupt geeignet ist, eine außerordentliche, fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

2. Private Internet-Nutzung

Die private Internet-Nutzung im Arbeitsverhältnis kann je nach Umständen des Einzelfalles zum Ausspruch einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung ausreichen, muß es aber nicht. Es ist zunächst einmal festzustellen, wie die Gebräuchlichkeiten und Anweisungen in dem Unternehmen sind und welche vertraglichen Vereinbarungen getroffen oder nicht getroffen wurden.
Vom Prinzip her verhält es sich ähnlich wie mit der privaten Telefon-Nutzung während der Arbeitszeit. Die Nutzung des Internet zu Privatzwecken während der Arbeitszeit ohne ausdrückliche Erlaubnis des Arbeitgebers ist für den Arbeitnehmer immer gefährlich. Der Arbeitnehmer kann ohne ausdrückliche Erlaubnis nicht davon ausgehen, daß er dazu berechtigt ist. Arbeitnehmer Faust mußte daher mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen des Mephistopheles rechnen.
Sofern im Betrieb von seiten der Vorgesetzten oder des Arbeitgebers die private Internet-Nutzung während der Arbeitszeit, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad, geduldet wurde, muß von einer entsprechenden betrieblichen Übung ausgegangen werden. In diesem Falle darf der Arbeitgeber jedenfalls das Arbeitsverhältnis nicht ohne vorherige Abmahnung kündigen.
Auch wenn eine solche betriebliche Übung nicht existiert, muß Arbeitgeber Mephistopheles zunächst prüfen, ob eine Abmahnung ausreicht, um das Fehlverhalten abzustellen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Privatnutzung des Internet nicht gewisse Grenzen und Schwellenwerte überschritten hat.

3. Ausdrückliches Verbot

Etwas anderes gilt, wenn der Arbeitgeber die private Internet-Nutzung ausdrücklich verboten oder gar – wie im vorliegenden Fall – eine entsprechende Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer getroffen hat.
Die Frage der unberechtigten Internet-Nutzung zu privaten Zwecken durch den Arbeitnehmer ist bislang zwar in der Rechtsprechung noch nicht geklärt. Die Rechtsprechung zur privaten Telefon-Nutzung kann jedoch dazu herangezogen werden. Deshalb gilt auch hier der Grundsatz, daß eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber immer dann gerechtfertigt sein kann, wenn ein ausdrückliches Verbot von Arbeitgeberseite vorliegt.

4. Vertrauensbereich

Mit der privaten Internet-Nutzung gegen das ausdrückliche Verbot des Arbeitgebers oder gegen die hier vorhandene Vereinbarung zwischen Mephistopheles und Faust, hat der Arbeitnehmer Faust den Arbeitgeber massiv geschädigt und in zweifacher Weise Betrug begangen. Er hat nämlich seine private Internet-Nutzung vom Arbeitgeber bezahlen lassen und außerdem hat er sich für diese Zeit auch noch Lohn bezahlen lassen (Zeitbetrug).
Die Vertragsverletzung von Faust stellt eine Störung im Vertrauensbereich des Arbeitsverhältnisses dar. Da es sich um eine schwere Pflichtverletzung im Vertrauensbereich handelt, ist regelmäßig eine Abmahnung des Arbeitnehmers vor Ausspruch einer Kündigung entbehrlich.
Faust konnte aufgrund der von ihm unterzeichneten Vereinbarung ohne weiteres erkennen, daß Arbeitgeber Mephistopheles seine privaten Internet-Praktiken nicht akzeptieren würde.

5. Vertraglicher Kündigungsausschluß

Zwar haben Mephistopheles und Faust in ihrer Vereinbarung als Folge eines Verstoßes den Entzug der Internet-Nutzung für den Arbeitnehmer geregelt. Diese Regelung beseitigt jedoch nicht das Recht des Arbeitgebers, bei schwerwiegender Vertragsverletzung eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Dieses Recht kann vertraglich nicht ausgeschlossen werden.

6. Interessenabwägung

Die bei einer fristlosen Kündigung stets vorzunehmende Interessenabwägung führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Kündigung. Der Arbeitnehmer hat in besonders grober Weise gegen seine vertraglichen Pflichten verstoßen, indem er sich stundenlang auf Kosten des Arbeitgebers mit Pornoprogrammen beschäftigt hat und dieses sogar auf die Einrichtungen des Arbeitgebers herunterlud.
Auch die Dauer des Arbeitsverhältnisses ist nicht geeignet, diesen Vertrauensverstoß zu relativieren. Mephistopheles kann den Manager Faust nicht bei der Internet-Nutzung ständig kontrollieren.

7. Merke

Der Arbeitgeber kann zur Vornahme einer außerordentlichen Kündigung berechtigt sein, wenn der Mitarbeiter trotz ausdrücklicher entgegenstehender Vereinbarung das Internet zu privaten Zwecken nutzt. In diesem Fall ist eine vorherige Abmahnung nicht erforderlich.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug