|
|
|
Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
|
|
|
|
Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
|
|
|
Folge 42: Problem der Gleichbehandlung
In Betrieben werden Arbeitnehmer bisweilen bei gleicher Arbeit gleichwohl unterschiedlich bezahlt. Dies führt zu entsprechendem Unmut, die benachteiligten Arbeitnehmer berufen sich oft auf Gleichbehandlung. Dabei
wird aber übersehen, daß nicht jeder Fall stets gleich zu behandeln ist.
Der Fall:
Die Heilige Elisabeth betreibt seit geraumer Zeit zum Mißfallen ihrer Verwandtschaft ein Hospiz mit Altenpflegeheim am Fuß der Wartburg in Eisenach. Da es sehr schwer war, gelernte
Altenpflegekräfte zu bekommen, zahlte Elisabeth neben dem Tariflohn noch eine Zulage von 100 Euro monatlich, allerdings nur für die gelernten Kräfte, nicht für die Altenpflegehilfskräfte. Seit dem Jahr 2000
verbesserte sich aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Thüringen und den anderen Grafschaften und Herzogtümern die Arbeitsmarktsituation bei Altenpflegekräften deutlich. Aufgrund vieler Umschüler war ein
Überangebot vorhanden. Die Heilige Elisabeth beschloß deshalb, ihre Zulage von 100 Euro pro Monat ab dem 30.7.2001 jedenfalls für neu einzustellende Kräfte zu streichen. Der wegen Lohnwuchers gegenüber dem
Kathedralenmaler Bantzer aus den Diensten des Deutschen Ordens entlassene Landkomptur Wittiko hatte ebenfalls auf Altenpflege umgeschult. Auf seine Bewerbung hin stellte ihn Elisabeth von Thüringen in ihrem
Hospiz in Eisenach am 1.10.2001 ein, allerdings ohne Zulage. Das gefiel Wittiko nicht. Als Elisabeth trotz seiner Vorstellungen die Zulage nicht zahlen wollte, wandte sich Altenpfleger Wittiko an das
Arbeitsgericht des noch amtierenden Großinquisitors Konrad von Marburg mit einer entsprechenden Zahlungsklage. Er berief sich auf Gleichbehandlung. Wer hat recht?
Die Lösung:
1. Gleichbehandlung
Die Arbeitgeberin Elisabeth berief sich vor dem Arbeitsgericht des Großinquisitors auf die Vertragsfreiheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Sie übersah dabei allerdings, daß diese
Vertragsfreiheit durch verschiedene Gesetze und Verfassungsgrundsätze eingeschränkt ist. Eine erhebliche Einschränkung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit erfolgt durch den arbeitsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz, der letztendlich aus Art. 3 Grundgesetz abgeleitet ist. Danach gilt: Gleicher Lohn bei gleicher Arbeit. Allerdings können nur vergleichbare Fälle gleichbehandelt werden. Hier ist
zu prüfen, ob Altenpfleger Wittiko mit den Altenpflegern zu vergleichen ist, die vor dem 30.7.2001 im Hospital der Heiligen Elisabeth eingestellt wurden.
2. Geschlechterdiskriminierung
Im Rahmen der Gleichbehandlung muß sowohl nach deutschen Recht wie auch nach europäischem Recht (Art. 119 EWG-Vertrag) beachtet werden, daß insbesondere eine Diskriminierung und
Schlechterbehandlung wegen des Geschlechtes generell untersagt ist. Landkomptur Wittiko beruft sich nämlich darauf, daß im Hospital der Elisabeth ganz überwiegend als Pflegekräfte Frauen beschäftigt sind, die
alle die Zulage von 100 Euro erhalten, soweit sie eine Ausbildung absolviert haben. Hier sieht Wittiko eine Benachteiligung des Mannes. Nach der Rechtsprechung des BAG und des Europäischen Gerichtshofs muß
immer dann die Frage der Geschlechterdiskriminierung verstärkt geprüft werden, wenn in einem Betrieb eine bestimmte Geschlechtergruppe bei gleicher Arbeit eine höhere Vergütung erhält, als die andere
Geschlechtergruppe.
Sofern Arbeitnehmer alleine wegen des Geschlechtes schlechter bezahlt werden, spricht man von einer direkten Diskriminierung. Sofern für die Benachteiligung von Arbeitnehmern
allgemeine Kriterien angeführt werden, kann es sich um eine sogenannte “mittelbare Diskriminierung” handeln.
Allerdings ist eine Ungleichbehandlung oder eine Diskriminierung dann zulässig, wenn ausreichende sachliche Gründe dafür vorliegen. Dies nimmt die Heilige Elisabeth für sich in Anspruch.
3. Rechtsgrundlagen
Bei der Problematik der Gleichbehandlung ist insbesondere immer zu prüfen, auf welcher Rechtsgrundlage die einzelnen Ansprüche beruhen: – In kleineren Betrieben kann es echte Individualzusagen geben. Dies
liegt dann vor, wenn die Patronin mit jedem einzelnen Arbeitnehmer individuelle Arbeitsbedingungen und Löhne ausgehandelt hat. Dann kann unter Umständen jeder Arbeitnehmer etwas anderes verdienen, andere
Arbeitszeiten besitzen etc. Im Bereich der echten Individualregelungen gibt es keinen Gleichbehandlungsanspruch, da keine Gruppenbildung vorliegt, nach der dann ein anderer Arbeitnehmer schlechter behandelt wird.
– Die Gleichbehandlungsgrundsätze greifen immer dann, wenn Gruppenbildungen vorliegen. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn kollektive Regelungen gegeben sind, z.B. Tarifverträge oder
Betriebsvereinbarungen. Dies kann aber auch dann gegeben sein, wenn im Wege der “Gesamtzusage” oder vertraglichen Einheitsregelung bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern nach gleichen Vertrags- und
Vergütungsgrundsätzen behandelt werden. So ist dies im Hospiz der Heiligen Elisabeth der Fall. Sie hat mehrere Gruppen von Arbeitnehmern gebildet, u.a. die Gruppe der ausgebildeten Altenpflegekräfte. Diese
eine Gruppe bekam die Zulage von 100 Euro pro Monat. Altenpfleger Wittiko gehört auch zu dieser Gruppe und fühlt sich im Rahmen dieser kollektiven Handhabung benachteiligt.
4. Sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung
Elisabeth von Thüringen führt für die Streichung der Zulage von 100 Euro monatlich an, daß mittlerweile seit dem Jahr 2000 der Mangel von ausgebildeten Altenpflegekräften am Arbeitsmarkt
beseitigt sei. Deshalb brauche sie mit der Zulage von 100 Euro nicht mehr Arbeitskräfte in ihr Hospital nach Eisenach locken. Diese von der Arbeitgeberin Elisabeth angesprochene Zulage ist eine sog.
“Arbeitsmarktzulage”. Nach ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, daß eine solche Arbeitsmarktzulage einen sachlichen Grund für eine Besserbehandlung oder eine Schlechterstellung sein kann. Der Grund für die
Ungleichbehandlung zwischen den Altkräften und dem neu eingestellten Wittiko besteht in dem vor dem Jahr 2001 vorhandenen Mangel an Pflegepersonal auf dem Arbeitsmarkt einerseits und der Änderung dieser
Situation ab dem Jahr 2001 andererseits. In der Vergangenheit mußte die Arbeitgeberin Elisabeth einen gewissen Anreiz bieten, damit Arbeitnehmer von der Konkurrenz oder gar von außerhalb in ihr Hospital am Fuß
der Wartburg wechselten. Mittlerweile aber hat sich der Arbeitsmarkt verändert und der Grund für diesen finanziellen Anreiz ist entfallen. Der Wegfall dieser Arbeitsmarktzulage stellt insbesondere keine
Geschlechterdiskriminierung des neuen Arbeitnehmers Wittiko dar. Zwar ist richtig, daß die starke Gruppe der Altenpflegerinnen die Zulage erhält und die wenigen Altenpfleger nicht. Diese Ungleichbehandlung
beruht aber nicht auf einer von der Arbeitgeberin Elisabeth gewollten Ungleichbehandlung der Geschlechter, sondern aufgrund der bisherigen Arbeitsmarktsituation. Im Ergebnis liegt zwar eine
Ungleichbehandlungen von Wittiko und seinen Kolleginnen bei gleicher Arbeit vor. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch sachlich gerechtfertigt.
5. Beweislast der Elisabeth
Vor dem Arbeitsgericht des Inquisitors zu Marburg muß bei einer Klage des Wittiko die Arbeitgeberin Elisabeth die sachlichen Gründe für die Ungleichbehandlung ausreichend substantiiert
darlegen und sie muß insbesondere den Nachweis führen, daß die Arbeitsmarktsituation für gelernte Altenpflegekräfte bis 2001 für sie entsprechend schwierig war und aufgrund des Nachwuchses sich dieser Mangel
erledigt hat. Dann wird sie im Prozeß obsiegen.
6. Checkliste
- Gleichbehandlungsgrundsatz: Gleiche Arbeit, gleicher Lohn.
- Voraussetzung der Gleichbehandlung: Gruppenbildung.
- Schlechterstellung eines Gruppenmitglieds ist möglich, wenn dafür ein “sachlicher Grund” vorhanden ist.
- Geschlechterdiskriminierung ist generell untersagt.
- Stichtagsregelungen (z.B. Besser-/Schlechterstellung ab dem 1.1.2002) sind trotz Ungerechtigkeiten zulässig.
>> Nächste Folge: Nichteheliche Lebensverhältnisse << Zurück zur Übersicht
|
|
Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle: Reine Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung. Wichtiger Hinweis:
Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
|
Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
|
Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
|
|
|
|
|
|
Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
|
Folgenübersicht:
|
1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
228 - 240: Neue Sperrzeitprobleme Beendigungsvergleich
241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
253 - 264 Hitzeregelungen Internetnutzung (Kündigung)
265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
|
|
|