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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 109: Lohngrundsätze I - Gleichbehandlungsgrundsatz

Der Fall:

    Arbeitgeber Klopstock beschäftigt ca. 1.000 Arbeitnehmer. Wegen wirtschaftlicher Probleme bekommen sie seit Jahren keine Vergütungserhöhung. Zur Förderung der Motivation gewährt Klopstock allerdings den drei Abteilungsleitern Wieland, Herder und Schiller ab November 2002 eine Gehaltserhöhung von 100 Euro monatlich. Diese Vergütungserhöhung erhält auch der Maschinenführer Lenz. Lenz ist der Spitzenstürmer in dem von Klopstock geförderten Fußballverein Eintracht Weimar.
    Der stets wache, aber auch neidische Maschinenführer Goethe fühlt sich höchst ungerecht benachteiligt. Gerade der Fall von Lenz empört ihn, da dieser genau so lang wie er beschäftigt und genau so alt ist. Goethe begehrt ebenfalls eine Lohnerhöhung von 100 Euro monatlich nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung.
    Klopstock befürchtet weitere Begehrlichkeiten und eine erhebliche Kostenwelle, wenn er nachgibt. Deshalb lehnt er die Forderung von Goethe ab.

Die Lösung:

1. Vertragsfreiheit

    Im Zivilrecht und damit auch im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Deshalb können die Arbeitsvertragsparteien die Vertragskonditionen jedenfalls zu einem erheblichen Teil frei vereinbaren, soweit nicht zwingende Gesetze, Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen entgegenstehen.

2. Gleichbehandlungsgrundsatz

    Der Gleichbehandlungsgrundsatz schränkt die nach dem BGB gewährte Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht nicht unerheblich ein. Allerdings irrt Goethe, wenn er meint, daß der Gleichbehandlungsgrundsatz ganz allgemein dazu führt, daß jeder Arbeitnehmer generell genauso gut gestellt werden müsse, wie der Arbeitskollege.
    Alleine die Begünstigung eines einzelnen Arbeitnehmers führt noch nicht zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Entscheidend für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist zunächst eine Gruppenbildung.
    Der Gleichbehandlungsgrundsatz kommt nicht zur Anwendung, soweit Löhne und Gehälter, Lohnerhöhungen und Zusatzleistungen individuell ausgehandelt werden und der Arbeitgeber Klopstock nur einzelne Arbeitnehmer besserstellt. Der Arbeitgeber ist immer berechtigt, aus rein subjektiven Erwägungen heraus, einzelne Arbeitnehmer besser zu behandeln, als den Rest. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Arbeitgeber Klopstock selbst dann nicht zur Lohnerhöhung für die Restbelegschaft, wenn er eine außerordentlich kleine Gruppe der Belegschaft besser gestellt hat. Das Gebot der Verteilungsgerechtigkeit führt in diesem Falle nicht zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Auch bei kleinen bevorzugten Arbeitnehmergruppen geht die Freiheit des Arbeitgebers bei der Bestimmung des Dotierungsrahmens freiwilliger Leistungen vor.
    Viele Arbeitnehmer übersehen bei der Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz, daß dieser zum einen eine Gruppen bessergestellter Arbeitnehmer voraussetzt. Zum anderen braucht die Besserstellung einer anderen Gruppe abstrakte Differenzierungsmerkmale, auf die sich die benachteiligten Arbeitnehmer berufen können. Die Begünstigung einzelner Arbeitnehmer stellt keine Gruppenbildung dar.

3. Sachlicher Grund

    Im vorliegenden Falle ist die Bevorzugung des fußballspielenden Maschinenführer Lenz keine Gruppenbildung. Es handelt sich um eine reine individuelle Maßnahme, die auf der Fußballeidenschaft des Klopstock beruht. Da Klopstock die Eintracht Weimar liebt, kann es ihm nicht verwehrt werden, seinen Stürmerstar Lenz zu hätscheln, ohne daß Goethe daraus einen finanziellen Vorteil für sich ziehen kann.
    Bei den Abteilungsleitern Wieland, Herder und Schiller handelt es sich dagegen um eine Gruppe, die bevorzugt wird. In diesem Falle kommt der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zur Anwendung, da ein sachlicher Grund für die Besserstellung vorhanden ist.
    Der Sachgrund für die Gehaltserhöhung der 3 Mitarbeiter liegt in ihrer Stellung als Abteilungsleiter begründet. Da Abteilungsleiter eine besondere Verantwortung im Bereich der Personalführung einerseits und der Wirtschaftlichkeit der Abteilung andererseits trifft, ist es durchaus gerechtfertigt, diese Leistungsträger im Betrieb besser zu behandeln, als den Maschinenführer Goethe.
    Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet lediglich eine willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer aus sachfremden Gründen gegenüber anderen in vergleichbarer Lage befindlichen Arbeitnehmern.

4. Verfassungsrechtliche Differenzierungsverbote

    Der Gleichbehandlungsgrundsatz könnte noch zugunsten von Goethe eingreifen, wenn Klopstock mit seiner Gehaltserhöhung zugleich besondere verfassungsrechtliche oder EU-gemeinschaftsrechtliche Differenzierungsverbote verletzt hätte. Es ist insbesondere an das Verbot zur Benachteiligung wegen des Geschlechtes, der Religion, der Abstammung oder der politischen Einstellung zu denken. Eine solche Verletzung liegt jedoch nicht vor. Goethe ist nicht wegen seines Geschlechts, seiner Religion, Nationalität etc. benachteiligt worden.

5. Mitbestimmung des Betriebsrats

    Der Betriebsrat hat bei der Festlegung der Lohngrundsätze im Betrieb nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 Betriebsverfassungsgesetz zwingend mitzubestimmen.
    Dies setzt voraus, daß die Lohnerhöhung einen kollektiven Bezug hat und insbesondere aus betrieblichen Gründen erfolgt.
    Die Lohnerhöhung beim Fußballer Lenz hat keinen kollektiven Bezug. Sie erfolgte lediglich aus Fußballeidenschaft und Liebe zur Eintracht Weimar.
    Die Gehaltserhöhung der Abteilungsleiter hatte dagegen einen betrieblichen und damit kollektiven Bezug. Der Betriebsrat hätte vor dieser Gehaltserhöhung ggf. mitbestimmen müssen.
    Die Verletzung des Mitbestimmungsrechts ist jedoch keine Anspruchsgrundlage für den Maschinenführer Goethe und die geforderte Lohnerhöhung.

6. Fazit

    Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet im Arbeitsverhältnis Anwendung. Arbeitnehmer können sich auf ihn anspruchserhöhend aber nur berufen, wenn eine Gruppenbildung mit kollektivem Bezug vorliegt und die Besserstellung der Gruppe keinen Sachgrund beinhaltet bzw. die Schlechterstellung andere Gruppenmitglieder willkürlich benachteiligt.
    Im Bereich der Vergütungszahlung kommt der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zur Anwendung, wenn es sich um individuell vereinbarte Löhne und Gehälter handelt und der Arbeitgeber nur einzelne Arbeitnehmer besserstellt. Ist die Anzahl der begünstigten Arbeitnehmer im Verhältnis zur Gesamtzahl der betroffenen Arbeitnehmer sehr gering (z.B. unter 5 % der Belegschaft), so kann ein nicht-begünstigter Arbeitnehmer aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz keinen Anspruch auf Vergütung herleiten.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug