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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 213: Videoüberwachung I

Der Fall

    Arbeitgeber Sergej Eisenstein ist Film- und Videofan. Er will seinen Betrieb voll mit Kameras ausstatten. Dies diene zum Schutz des Betriebes gegen Diebe, Vandalismus und schütze jeden einzelnen Arbeitnehmer vor Missetaten. Bei Übergriffen, Schlägereien, sexueller Belästigung etc. werde stets alles aufgezeichnet. Auch bei erhöhten Arbeitseinsatz, überdurchschnittlicher Planerfüllung könne dies, belegt durch Bilder, vom Arbeitgeber besser belohnt werden.
    Der Betriebsratsvorsitzende Ivan ist jedoch dagegen, daß jeder Schritt des Arbeitnehmers und jedes Nasengrübeln vom Arbeitgeber aufgezeichnet wird. Er meint, daß eine Videoüberwachung stets nur mit Zustimmung des Betriebsrats eingeführt werden dürfe.

Die Lösung

1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht

    Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter gilt auch im Arbeitsverhältnis. Dieses Persönlichkeitsrecht schützt den Arbeitnehmer vor einer lückenlosen technischen Überwachung. Der Arbeitnehmer besitzt über das Persönlichkeitsrecht das Recht am eigenen Bild.
    Dieses Recht darf deshalb nur dann eingeschränkt werden, wenn die Überwachung per Video zur Wahrnehmung überwiegender, schutzwürdigerer Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist.

2. Offene Videoüberwachung

    Die sichtbare Videoüberwachung in Betrieben stellt den Arbeitnehmer unter einen erhöhten Überwachungsdruck. Dieser zusätzliche Überwachungsdruck stellt einen erheblichen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht dar.
    Der Arbeitgeber braucht zur Rechtfertigung ein vorrangiges Kontrollinteresse, das ausnahmsweise höher zu bewerten ist, als das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers.
    Achtung: Es ist deshalb nicht zulässig, daß eine Videoüberwachung alleine zur Vorbeugung ohne ausreichenden Anlaß bzw. alleine zur Überprüfung der Arbeitsleistung der Arbeitnehmer eingeführt wird.
    Besonders schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers ergeben sich jedoch, wenn er erhebliche Straftaten befürchten muß, z.B. Industriespionage, Sabotage oder Diebstähle. Allerdings muß ein konkreter Tatverdacht oder ein konkreter Anlaß vorliegen. Videoüberwachung aus reiner Prophylaxe ist unzulässig.
    Schließlich ist zu verlangen, daß eine Abhilfe der Probleme nicht in anderer Weise, mit weniger einschneidenden Maßnahmen erreicht werden kann.
    Beispiele: Zur Gefahrenabwehr und zur Aufzeichnung von möglichen Tätern kann wegen der besonderen Gefährdung an Bankschaltern eine permanente Videoüberwachung erforderlich und gerechtfertigt sein. Ebenso kann wegen der hohen Diebstahlsgefahr und wegen des hohen Warenschwunds eine offene Videoüberwachung auch in Kaufhäusern gerechtfertigt sein.

3. Verdeckte Videoüberwachung

    An eine verdeckte, heimliche Videoüberwachung sind noch höhere Anforderungen zu richten. Zunächst ist Voraussetzung für die Zulässigkeit einer verdeckten Überwachung die Tatsache, daß eine sichtbare Videoüberwachung keinen Erfolg verspricht.
    Grundsätzlich muß auch bei der heimlichen Videoüberwachung der Arbeitnehmer zuvor informiert werden. Bei Vidoüberwachung in öffentlichen Räumen fordert § 6 b Bundesdatenschutzgesetz, daß die Videoüberwachung
    – zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen oder
    – zur Wahrnehmung des Hausrechts oder
    – zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke
    erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, daß schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.
    Darüber hinaus verlangt das Gesetz, daß der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle durch geeignete Maßnahmen kenntlich gemacht werden müssen.
    Damit ist die heimliche Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen (Kaufhäuser, Bankhallen, Museumsräume, Bahnsteige) weitgehend ausgeschlossen.
    Die Videoüberwachung in öffentlich nicht zugänglichen Betriebsräumen wird dagegen vom Bundesdatenschutzgesetz nicht betroffen. Allerdings bewirkt die „Fernwirkung“ dieser gesetzlichen Vorschrift letztendlich auch, daß in normalen Betriebsräumen an eine heimliche Videoüberwachung besonders hohe Anforderungen zu stellen sind.

4. Mitbestimmung

    Videoüberwachung ist nur mittels einer technischen Einrichtung, d.h. einer Kamera mit Videoanlagen und entsprechenden Speichermöglichkeiten möglich. Aus diesem Grund hat der Betriebsrat bei der Einführung einer solchen Videoüberwachung stets nach § 87 Abs. 1 Ziff. 6 BetrVG ein zwingendes Mitbestimmungsrecht. Entscheidend ist nämlich, daß diese Anlage objektiv zur Überwachung von Mitarbeitern geeignet sind. Es kommt nicht darauf an, ob die Einführung der Anlage aus der Sicht des Arbeitgebers auch zur Überwachung der Arbeitnehmer dienen soll. Alleine die Möglichkeit der Überwachung reicht für die Mitbestimmung aus.
    Ein Mitbestimmungsrecht dürfte sich auch aus § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG ergeben, da die Anlagen neben der Arbeitsleistung auch das sonstige Verhalten des Arbeitnehmers überwachen oder überwachen können. Damit ist die Ordnung des Betriebes betroffen, bei deren Regelung der Betriebsrat stets mitzubestimmen hat.

5. Beweisverwertungsverbot

    Beweismittel, die der Arbeitgeber unter Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter erlangt hat, sind gerichtlich nicht verwertbar. Diese Beweise dürfen vom Gericht nicht akzeptiert und nicht zur Entscheidung herangezogen werden.
    Gleiches gilt für mitbestimmungswidrig erlangte Beweise. Soweit der Arbeitgeber durch eine unzulässige Videoüberwachung den Nachweis von Vertragsverletzungen oder gar Straftaten der Mitarbeiter erlangt hat, kann er diese Beweise in der Regel vor Gericht nicht verwerten.
    Schon aus diesem Grunde muß Arbeitgeber Eisenstein darauf achten, daß er mit seinem Betriebsrat bei Einführung einer Videoüberwachung einer Betriebsvereinbarung abschließt und die Rechte der Arbeitnehmer in ausreichendem Maße beachtet.
     

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug