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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 61: Kündigungsrecht bei Kopftuchtragen?

Der Fall

Fatima arbeitete seit Jahren ohne Probleme im einzigen Kaufhaus einer Kleinstadt mit ländlichem Einzugsbereich als Verkäuferin.
Als Fatima nach 3 Jahren Erziehungsurlaub (Elternzeit) an den Arbeitsplatz zurückkehrt, trägt sie ein Kopftuch, das sie auch im Kaufhaus nicht abnimmt.
Nach Bemerkungen von Kunden fordert Arbeitgeber Gottfried die Verkäuferin Fatima mehrfach auf, an der Arbeit das Kopftuch abzunehmen.
Fatima verweigert sich aus religiösen Gründen strikt und beruft sich auf ihr Recht zur freien Religionsausübung.
Nun kündigt Gottfried das Arbeitsverhältnis. Fatima klagt dagegen. Wer gewinnt?

Die Lösung

1. Vertragliche Pflicht

Nach Beendigung ihres Erziehungsurlaubs war Fatima verpflichtet, ihre Arbeit als Verkäuferin im Kaufhaus der Beklagten aufgrund des Arbeitsvertrages der Parteien und nach dessen Inhalt fortzusetzen. Zu den vertraglichen Nebenpflichten von Fatima gehörte es, sich hinsichtlich ihrer äußeren persönlichen Erscheinung in den Rahmen einzuordnen, der im Kaufhaus des Gottfried als betriebliche Übung allseits akzeptiert und praktiziert wurde und wird. Danach kleidet sich das Verkaufspersonal ohne auffällige, provozierende, ungewöhnliche oder fremdartige Akzente und entspricht damit einer “ungeschriebenen”, vom Arbeitgeber aber erkennbar erwarteten “Kleiderordnung”. Diese ist auch ohne eine “spezifische Klausel im Arbeitsvertrag” dessen inhaltlicher Bestandteil und trägt berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rechnung.

2. Rücksicht auf Verkehrssitte

Alle Arbeitnehmer sind überdies nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verpflichtet, ihr Äußeres den Gegebenheiten des Arbeitsverhältnisses anzupassen. Aufgrund des Arbeitsvertrages ist die Arbeitnehmerin zur Einordnung, d.h. zur Übernahme einer durch den Arbeitsvertrag festgelegten Funktion innerhalb eines fremden Arbeits- oder Lebensbereichs verpflichtet; sie schuldet daher ein Gesamtverhalten, das darauf gerichtet ist, nach Maßgabe der von ihm übernommenen Funktion die berechtigten Interessen des Arbeitgebers nicht zu schädigen und im Rahmen des Zumutbaren wahrzunehmen”. Dies gilt besonders dann, wenn der Arbeitgeber – wie im vorliegenden Fall – auf Kunden und deren Vorstellungen Rücksicht zu nehmen hat und unter anderem durch die äußere Erscheinung seines Personals “eine Aussage über Image, Stil und Trend des Unternehmens” treffen will.

3. Personenbedingte Kündigung

Fatima beruft sich bei ihrer Weigerung, die Anweisung des Arbeitgebers zu beachten, auf die von Art. 4 Abs. 1 GG für alle Menschen als unverletzlich anerkannte Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen Bekenntnisses. Dabei handelt es sich um einen Rechtfertigungsgrund, der eine verhaltensbedingte Kündigung ausschließt. Kommt er zum Tragen, so ist Fatima im Sinne des § 297 BGB jedoch dauernd außer Stande, ihre vertragliche Pflicht zu erfüllen, so daß ein an ihre Person gebundenes dauerndes Beschäftigungshindernis besteht. Kann dieses im Betrieb der Beklagten im Rahmen der dort gegebenen betrieblichen Möglichkeiten nicht ausgeräumt werden, so ist die Kündigung als personenbedingte Kündigung gem. § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz sozial gerechtfertigt.

4. Glaubens- und Bekenntnisfreiheit

Inhaltlich umfaßt die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG auch die Freiheit, das Verhalten nach den Geboten des Glaubens auszurichten. Geschützt ist danach jedes Verhalten, das sich als ein Bekenntnisakt darstellt, unabhängig davon, ob es generell als Erfüllung einer religiösen Pflicht erscheint oder lediglich einer religiösen Tradition oder einem religiösen Brauch Ausdruck verleiht.
Der der Klägerin nach Art. 4 Abs. 1 GG somit zur Seite stehende Grundrechtsschutz ist wegen der mittelbaren “Dritt- oder Ausstrahlungswirkung” der Grundrechte vom Arbeitgeber bei der Ausübung seines Direktionsrechts zu beachten. Andererseits kann sich Arbeitgeber Gottfried seinerseits auch auf Grundrechte berufen, die mit dem der Klägerin notwendig in einem Spannungsverhältnis stehen. Seine Erwerbstätigkeit wird nämlich von Art. 2 Abs. 1, 12 GG, das “Erworbene” in Gestalt seines Eigentums durch Art. 14 GG geschützt.
Deshalb kann Fatima auch von Gottfried nicht verlangen, daß sie probeweise Kopftuch tragend beschäftigt wird, um die Reaktion der anderen Mitarbeiter und diejenigen der Kunden herauszufinden. Dadurch würde sowohl die geschützte Erwerbstätigkeit des Arbeitgebers, als auch sein Eigentum beeinträchtigt. Denn es würde ihm zugemutet, eine einseitige Vertragsänderung zugunsten der Fatima hinzunehmen, die sich innerbetrieblich, d.h. im Eigentumsbereich, durch personelle Konflikte und Störungen des Betriebsablaufs und wirtschaftlich durch eine schädliche Entfremdung des Kundenkreises, d.h. im Erwerbsbereich, negativ auswirken kann.

5. Grenzen der Glaubensfreiheit

Die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit wird durch Art. 4 Abs. 1 GG “nicht schrankenlos gewährleistet”. Die Grundrechtspositionen der Parteien stehen sich gleichrangig gegenüber. Ihr Ausgleich muß nach Möglichkeit aufgrund des Prinzips der Toleranz und der praktischen Konkordanz gesucht werden.
Fatima könnte sich gegen Gottfried nur dann mit dem Kopftuch durchsetzen, wenn ihr durch Gottfried eine Arbeit zugewiesen werden könnte, bei der das Kopftuchtragen sich nicht negativ auf die gleichrangigen Rechte des Arbeitgebers auswirken würde. Eine solche Einsatzmöglichkeit war für Fatima als Verkäuferin zur Kündigungszeit nicht vorhanden. Im Verkauf hat sie stets Kundenkontakt.

6. Lösung

Aufgrund der bestehenden Glaubens- und Bekenntnisfreiheit kann Fatima nicht zugemutet werden, auf das religiös begründete Tragen des Kopftuches zu verzichten, auch wenn Gottfried als Verkäuferin tätig ist und ihren Arbeitsvertrag erfüllt.
Andererseits müssen die Grundrechte des Arbeitgebers beachtet werden.
Dieser Konflikt kann nur durch eine fristgerechte Auflösung des Arbeitsverhältnisses erreicht werden, da ein Ausgleich innerhalb des Arbeitsverhältnisses selbst dauerhaft nicht möglich ist.
Dies durfte durch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses geschehen. Der Arbeitgeber muß die nach Jahren ungestörter Arbeit nun veränderte religiöse Haltung von Fatima nicht zu seinen Lasten hinnehmen.
Die ausgesprochene Kündigung ist sozial gerechtfertigt (so HessLAG vom 21.6.2001 - 3 Sa 1448/00).
 

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug