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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 62: Verweigerung von routinemäßigen Blutuntersuchungen

Der Fall

Wolfgang Amadeus hatte eine glänzende Karriere als ziviler Wachmann vor sich. Sein Arbeitgeber Ludwig van Hochofen besteht auf einer jährlichen Blutuntersuchung, um Alkohol- und Drogenmißbrauch feststellen zu können. Er beruft sich auf die besonderen Sicherheitsanforderungen des Bewachungsgewerbes.
Wolfgang Amadeus weigert sich strikt. Er befürchtet einen unzulässigen Eingriff in seine Privatsphäre. Daraufhin kündigt Ludwig van Hochofen das Arbeitsverhältnis.
Wolfgang Amadeus eilt empört im 3/4-Takt zum Arbeitsgericht. Wird er den Prozeß gewinnen?

Die Lösung

1. Kein gesetzlicher Anspruch auf Untersuchung

Eine gesetzliche Pflicht für Wolfgang Amadeus, sich einer Blutuntersuchung zur Klärung eines möglichen Alkohol- bzw. Drogenmißbrauchs zu unterziehen, bestand nicht, auch wenn man darauf abstellt, daß Wolfgang während seiner Tätigkeit als Wachmann bewaffnet war. Das Waffengesetz enthält nicht die Verpflichtung, daß sich derjenige, der eine Waffe führen will, der routinemäßigen Untersuchung unterziehen muß, ob er trunksüchtig oder rauschmittelsüchtig ist. Erst beim Bekanntwerden von Tatsachen, die auf eine Trunksucht bzw. Rauschmittelsucht schließen lassen, kann die zuständige Behörde verlangen, daß der Antragsteller ein amts- oder fachärztliches Zeugnis über seine körperliche Eignung vorlegt (§ 5 Abs. 4 WaffG).

2. Keine Untersuchungspflicht aus Arbeits- oder Tarifvertrag

Nach dem einschlägigen Tarifvertrag, dem Arbeitsvertrag der Parteien und aufgrund seiner Treuepflicht war Wolfgang Amadeus nur allgemein verpflichtet, die jährliche Gesundheitsuntersuchung zu dulden, bzw. an ihr mitzuwirken. Eine konkrete Regelung über eine Blutuntersuchung fehlt.
Damit entfällt das vertragliche Recht des Arbeitgebers auf einen Bluttest.
Achtung: Etwas anderes kann gelten, wenn im Arbeitsvertrag eine entsprechende Untersuchung vereinbart wurde und der Arbeitnehmer dies unterschrieben hat!

3. Berechtigtes Interesse des Arbeitgebers

Die Pflicht des Arbeitnehmers, beim Vorliegen eines berechtigten Interesses des Arbeitgebers eine ärztliche Untersuchung seines Gesundheitszustandes zu dulden, ist auch ohne tarifliche Regelung anzunehmen und resultiert aus der allgemeinen Treuepflicht des Arbeitnehmers. Bestehen etwa begründete Zweifel an der Tauglichkeit des Arbeitnehmers, den Anforderungen seines Arbeitsplatzes aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer gerecht zu werden, so kann die dem Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer obliegende Fürsorgepflicht einen hinreichenden sachlichen Grund darstellen, ein ärztliches Gutachten über die Dienstfähigkeit des Arbeitnehmers einzuholen. Ein Arbeitnehmer, der die notwendige ärztliche Begutachtung über Gebühr erschwert oder unmöglich macht, verstößt gegen seine Treuepflicht.

4. Persönlichkeitsrecht

Ist der Arbeitnehmer aufgrund einer tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Regelung oder der ihm obliegenden Treuepflicht grundsätzlich verpflichtet, sich – wie hier der Kläger – in gewissen Abständen einer Gesundheitsuntersuchung zu unterziehen, so bedeutet dies noch nicht, daß der Arzt ohne jede Einschränkung alle Untersuchungen vornehmen darf, die er oder der Arbeitgeber für sachdienlich halten. Das Interesse des Arbeitgebers an der geforderten Untersuchung ist vielmehr abzuwägen gegen das Interesse des Arbeitnehmers an der Wahrung seiner Intimsphäre und körperlichen Unversehrtheit.
Eine ärztliche Untersuchung des Arbeitnehmers mit daran anschließender Offenbarung personenbezogener Daten durch den Arzt an den Arbeitgeber führt regelmäßig zu einem Eingriff in die Intimsphäre des Arbeitnehmers. Dieses ist jedoch durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt grundsätzlich vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter des Arbeitnehmers. Der Schutz ist um so intensiver, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen. Ist die Untersuchung darüber hinaus – wie vorliegend – mit einer Blutentnahme verbunden, so liegt ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit vor, den zu dulden der Arbeitnehmer regelmäßig nicht verpflichtet ist.

5. Interessenabwägung

Bei ausreichender Beachtung des gesetzlich gewährleisteten Persönlichkeitsschutzes des Arbeitnehmers ist davon auszugehen, daß Routineuntersuchungen im laufenden Arbeitsverhältnis, die vorbeugend klären sollen, ob der Arbeitnehmer alkohol- bzw. drogenabhängig ist, regelmäßig unzulässig sind. Zwar hat der Arbeitgeber an sich ein berechtigtes Interesse, nur solche Arbeitnehmer zu beschäftigen, die nicht infolge Alkohol- bzw. Drogenmißbrauchs im Betrieb eine Gefahr für sich und andere darstellen. Dies gilt insbesondere, wenn der Arbeitnehmer wie der Kläger als Wachmann im Dienst eine Waffe führt. Dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ist jedoch nur dann hinreichend Rechnung getragen, wenn die Begutachtung sich lediglich auf solche Umstände bezieht, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, bei dem betreffenden Arbeitnehmer könne eine Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit vorliegen.

6. Fazit

Ein Arbeitnehmer ist regelmäßig nicht verpflichtet, im laufenden Arbeitsverhältnis routinemäßigen Blutuntersuchungen zur Klärung, ob er alkohol- oder drogenabhängig ist, zuzustimmen.
Die Entscheidung des Arbeitgebers, die Begutachtung durch den Arzt auf eine mögliche Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit zu erstrecken, muß deshalb auf hinreichend sicheren tatsächlichen Feststellungen beruhen, die einen derartigen Eignungsmangel des Arbeitnehmers als naheliegend erscheinen lassen.
Der Mangel konkreter Fakten und eines hinreichenden Verdachts unzulässigen Aufforderung zur Blutentnahme durfte sich Wolfgang Amadeus widersetzen, ohne daß eine Vertragsverletzung vorlag.
Die Kündigung ist sozial nicht gerechtfertigt und unwirksam. Wolferl wird vor dem Arbeitsgericht gewinnen.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug