Folge 62: Verweigerung von routinemäßigen Blutuntersuchungen
Der Fall
Wolfgang Amadeus hatte eine glänzende Karriere als ziviler Wachmann vor sich. Sein Arbeitgeber Ludwig van Hochofen besteht auf einer jährlichen
Blutuntersuchung, um Alkohol- und Drogenmißbrauch feststellen zu können. Er beruft sich auf die besonderen Sicherheitsanforderungen des Bewachungsgewerbes. Wolfgang Amadeus weigert sich strikt. Er befürchtet
einen unzulässigen Eingriff in seine Privatsphäre. Daraufhin kündigt Ludwig van Hochofen das Arbeitsverhältnis. Wolfgang Amadeus eilt empört im 3/4-Takt zum Arbeitsgericht. Wird er den Prozeß gewinnen?
Die Lösung
1. Kein gesetzlicher Anspruch auf Untersuchung
Eine gesetzliche Pflicht für Wolfgang Amadeus, sich einer Blutuntersuchung zur Klärung eines möglichen Alkohol- bzw. Drogenmißbrauchs zu unterziehen, bestand
nicht, auch wenn man darauf abstellt, daß Wolfgang während seiner Tätigkeit als Wachmann bewaffnet war. Das Waffengesetz enthält nicht die Verpflichtung, daß sich derjenige, der eine Waffe führen will, der
routinemäßigen Untersuchung unterziehen muß, ob er trunksüchtig oder rauschmittelsüchtig ist. Erst beim Bekanntwerden von Tatsachen, die auf eine Trunksucht bzw. Rauschmittelsucht schließen lassen, kann die
zuständige Behörde verlangen, daß der Antragsteller ein amts- oder fachärztliches Zeugnis über seine körperliche Eignung vorlegt (§ 5 Abs. 4 WaffG).
2. Keine Untersuchungspflicht aus Arbeits- oder Tarifvertrag
Nach dem einschlägigen Tarifvertrag, dem Arbeitsvertrag der Parteien und aufgrund seiner Treuepflicht war Wolfgang Amadeus nur allgemein verpflichtet, die
jährliche Gesundheitsuntersuchung zu dulden, bzw. an ihr mitzuwirken. Eine konkrete Regelung über eine Blutuntersuchung fehlt. Damit entfällt das vertragliche Recht des Arbeitgebers auf einen Bluttest.
Achtung: Etwas anderes kann gelten, wenn im Arbeitsvertrag eine entsprechende Untersuchung vereinbart wurde und der Arbeitnehmer dies unterschrieben hat!
3. Berechtigtes Interesse des Arbeitgebers
Die Pflicht des Arbeitnehmers, beim Vorliegen eines berechtigten Interesses des Arbeitgebers eine ärztliche Untersuchung seines Gesundheitszustandes zu
dulden, ist auch ohne tarifliche Regelung anzunehmen und resultiert aus der allgemeinen Treuepflicht des Arbeitnehmers. Bestehen etwa begründete Zweifel an der Tauglichkeit des Arbeitnehmers, den Anforderungen
seines Arbeitsplatzes aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer gerecht zu werden, so kann die dem Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer obliegende Fürsorgepflicht einen hinreichenden sachlichen Grund darstellen, ein
ärztliches Gutachten über die Dienstfähigkeit des Arbeitnehmers einzuholen. Ein Arbeitnehmer, der die notwendige ärztliche Begutachtung über Gebühr erschwert oder unmöglich macht, verstößt gegen seine Treuepflicht.
4. Persönlichkeitsrecht
Ist der Arbeitnehmer aufgrund einer tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Regelung oder der ihm obliegenden Treuepflicht grundsätzlich verpflichtet,
sich – wie hier der Kläger – in gewissen Abständen einer Gesundheitsuntersuchung zu unterziehen, so bedeutet dies noch nicht, daß der Arzt ohne jede Einschränkung alle Untersuchungen vornehmen darf, die er oder der
Arbeitgeber für sachdienlich halten. Das Interesse des Arbeitgebers an der geforderten Untersuchung ist vielmehr abzuwägen gegen das Interesse des Arbeitnehmers an der Wahrung seiner Intimsphäre und körperlichen
Unversehrtheit. Eine ärztliche Untersuchung des Arbeitnehmers mit daran anschließender Offenbarung personenbezogener Daten durch den Arzt an den Arbeitgeber führt regelmäßig zu einem Eingriff in die Intimsphäre
des Arbeitnehmers. Dieses ist jedoch durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt grundsätzlich vor der Erhebung und Weitergabe von
Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter des Arbeitnehmers. Der Schutz ist um so intensiver, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen. Ist die Untersuchung
darüber hinaus – wie vorliegend – mit einer Blutentnahme verbunden, so liegt ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit vor, den zu dulden der Arbeitnehmer regelmäßig nicht verpflichtet ist.
5. Interessenabwägung
Bei ausreichender Beachtung des gesetzlich gewährleisteten Persönlichkeitsschutzes des Arbeitnehmers ist davon auszugehen, daß Routineuntersuchungen im
laufenden Arbeitsverhältnis, die vorbeugend klären sollen, ob der Arbeitnehmer alkohol- bzw. drogenabhängig ist, regelmäßig unzulässig sind. Zwar hat der Arbeitgeber an sich ein berechtigtes Interesse, nur solche
Arbeitnehmer zu beschäftigen, die nicht infolge Alkohol- bzw. Drogenmißbrauchs im Betrieb eine Gefahr für sich und andere darstellen. Dies gilt insbesondere, wenn der Arbeitnehmer wie der Kläger als Wachmann im
Dienst eine Waffe führt. Dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ist jedoch nur dann hinreichend Rechnung getragen, wenn die Begutachtung sich lediglich auf solche Umstände bezieht, die bei
vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, bei dem betreffenden Arbeitnehmer könne eine Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit vorliegen.
6. Fazit
Ein Arbeitnehmer ist regelmäßig nicht verpflichtet, im laufenden Arbeitsverhältnis routinemäßigen Blutuntersuchungen zur Klärung, ob er alkohol- oder
drogenabhängig ist, zuzustimmen. Die Entscheidung des Arbeitgebers, die Begutachtung durch den Arzt auf eine mögliche Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit zu erstrecken, muß deshalb auf hinreichend sicheren
tatsächlichen Feststellungen beruhen, die einen derartigen Eignungsmangel des Arbeitnehmers als naheliegend erscheinen lassen. Der Mangel konkreter Fakten und eines hinreichenden Verdachts unzulässigen
Aufforderung zur Blutentnahme durfte sich Wolfgang Amadeus widersetzen, ohne daß eine Vertragsverletzung vorlag. Die Kündigung ist sozial nicht gerechtfertigt und unwirksam. Wolferl wird vor dem Arbeitsgericht
gewinnen.
>> Nächste Folge: Streupflicht des Arbeitgebers auf Firmenparkplatz
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