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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 99: Probleme der Weihnachtsgratifikation

    Um die Weihnachtszeit und danach gibt es für manche Arbeitnehmer wegen des erwarteten Weihnachtsgeldes Überraschungen. Diese Überraschungen sind zumeist negativer Art. Die Folge sind manchmal unerfreuliche Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber oder gar Arbeitsgerichtsprozesse.

Der Fall

    Die Mitglieder der Liedertafel Concordia Kreuzberg treffen sich zum Martingsgansessen. In Erwartung des Festes verkünden sie noch vor dem ersten Rundgang ihre Weihnachtsgelderwartungen.
    Edmund der Reiniger und Gerd der Autobauer berufen sich auf Tarifvertrag. Die Yuppies Guido und Cornelia arbeiten bei der Bank. Mit ihrem 13. und 14. Monatsgehalt lächeln sie nur über die Looser in den Sänger-Reihen. Angela ist an der Uni tätig und sorgt sich nicht. Marktfrau Herta und Kraftfahrer Lothar wissen nicht, ob sie überhaupt etwas bekommen.
    Die Arbeitgeber Joschka und Gregor entlockt Dirigent Johannes nur noch Elegien in Moll. Sie wissen nicht, wie sie die drohenden Weihnachtsgeldzahlungen aufbringen sollen.

Die Lösung

1. Verschiedene Bezeichnungen

    In Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträgen wird bestimmt, daß zum Jahresende vom Arbeitgeber eine bestimmte Jahresabschlußleistung zu erbringen ist. Die Bezeichnung, damit aber auch der Charakter der Leistung kann völlig unterschiedlich sein. Dies schafft Verwirrung.
    Der Volksmund spricht vom “Weihnachtsgeld”. Technisch wäre dies eine Weihnachtsgratifikation. Zum Teil gibt es aber ein 13. oder gar 14. Monatsgehalt Guido und Cornelia. Zum Teil sehen Tarifverträge eine Jahressonderzahlung oder nur eine Sonderzahlung vor. Auch der Begriff Gratifikation, Jahresabschlußleistung oder Zuwendung/Zuwendungstarifvertrag (Öffentlicher Dienst) wird verwandt.
    Hinter diesen Begriffen können sich unterschiedliche Leistungen mit unterschiedlichen Höhen und Rechtsfolgen verbergen.
    Merke: Weihnachtsgeld ist nicht gleich Weihnachtsgeld. Verschiedene Bezeichnungen können auch verschiedene Inhalte verbergen.

2. Zweck/Rechtscharakter

    Arbeitgeber Joschka und Gregor fordern schon lange, daß Weihnachtsgeld nur noch bei hohen Gewinnen des Unternehmens gezahlt werden solle. Außerdem müsse es nach Leistungsgrad unterschiedlich ausfallen.
    Generell ist eine “Jahresabschlußgratifikation”, egal wie sie genannt wird, nicht als gewinnabhängige Leistung des Arbeitgebers zum Jahresabschluß zu verstehen. Dies gibt es z.B. bei höheren Angestellten vielleicht noch zusätzlich. Eine solche Leistung wird in der Regel dann aber als Tantieme, Gewinnbeteiligung etc. bezeichnet.
    Die Jahresabschlußgratifikation ist auch regelmäßig auch nicht als eine persönliche Leistungszulage anzusehen, die jeweils individuell leistungsabhängig vom Arbeitgeber festgesetzt wird. Vielmehr wird die Jahresabschlußgratifikation/ Sonderzuwendung/Weihnachtsgratifikation etc. vom Arbeitgeber gezahlt, um damit zum Jahresabschluß die Leistungen der Arbeitnehmer im vergangenen Jahr zusätzlich abzugelten. Diese zusätzliche Abgeltung ist unabhängig von der Gewinnsituation und der individuellen Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer.
    Vielfach soll mit der Jahressonderzahlung auch die weitere Betriebstreue dann Arbeitnehmers angespornt werden. Die Sonderzuwendung hat deshalt oft einen Mischcharakter. Soll neben der vergangenen Betriebstreue auch noch die zukünftige Betriebstreue belohnt werden, so wird dies zumeist dadurch sichergestellt, daß der Arbeitgeber ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis zu einem Stichtag verlangt (z.B. der 31.3. des Folgejahres) oder eine Rückzahlungsklausel für vorzeitiges Ausscheiden vereinbart.

3. Freiwillige Leistung/Entgelt

    Zumeist bezeichnet der Arbeitgeber, der nicht tarifvertraglich gebunden ist, das Weihnachtsgeld als “freiwillige Leistung” oder “Gratifikation”. Diese Bezeichnung als freiwillige Leistung kann irreführend sein. Freiwillig ist die Leistung zumeist nur bei der Einführung.
    Die Jahressonderzuwendung ist trotz ursprünglicher Freiwilligkeit kein Geschenk des Arbeitgebers. Die Sonderzuwendung hat vielmehr Entgeltcharakter. Die Betonung der Freiwilligkeit führt deshalb nicht automatisch dazu, daß der Arbeitgeber die Zahlung jederzeit einstellen könnte. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Arbeitgeber zusätzlich einen Widerrufsvorbehalt für die Zukunft gemacht hat oder jedes Jahr nur eine einmalige Leistung erbringt.

4. Höhe und Anspruchsgrundlage

    Edmund, Gerd, Lothar, Herta, Guido, Angela und Cornelia wundern sich, daß in jedem ihrer Betriebe die Ausgestaltung der Jahresgratifikation unterschiedlich ist. Die Unterschiede bestehen sowohl der Höhe nach, wie auch in sonstigen Regelungen. Bei dem einen gibt es einen Rückzahlungsvorbehalt, der andere hat die Verpflichtung, zu einem bestimmten Stichtag in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis zu stehen. Es gibt z.T. Widerrufsvorbehalte, z.T. nicht.
    Diese Unterschiede ergeben sich daraus, daß die Anspruchsgrundlagen für den Zahlungsanspruch der Arbeitnehmer völlig verschieden sind. Kraftfahrer Charly findet gar keine Anspruchsgrundlage in seinem Arbeitsvertrag.
    Jeder Arbeitgeber und jeder Arbeitnehmer muß deshalb bei einem Streit über die Weihnachtsgratifikation/Jahressonderzahlung zunächst einmal prüfen, worauf der geltend gemachte Anspruch beruht, d.h., was die Anspruchsgrundlage ist. Dies gilt ebenso, wenn der Arbeitgeber die Gratifikation für das Folgejahr verändern oder gar einstellen will. Auch hier ist für die rechtliche Überprüfung und die Veränderungsmöglichkeit zunächst die Anspruchsgrundlage entscheidend!
    Die verschiedenen Anspruchsgrundlagen sollen in der nächsten Folge erörtert werden.

>> Nächste Folge: Probleme beim Weihnachtsgeld II
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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug