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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 100: Probleme beim Weihnachtsgeld II.

    Der grundlegende Fehler bei Streitigkeiten und Unzufriedenheiten wegen Weihnachtsgratifikationen im Betrieb besteht schon darin, daß sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber manchmal nicht über die Anspruchsgrundlage klar sind, auf denen die Zusagen und Ansprüche beruhen.
    Dies soll vorliegend geklärt werden.

Der Fall

    7 Arbeitnehmer treffen sich vor Weihnachten zum Singen bei der Liedertafel Concordia Kreuzberg. Sie wundern sich über ihre verschiedenen Weihnachtsgratifikationen. Sowohl der Höhe wie auch der Ausgestaltung nach bestehen gravierende Unterschiede. Bei Edmund dem Reiniger, Gerd dem Autobauer, Herta der Marktfrau, Guido und Cornelia den Bankangestellten, Angela der Uni-Angestellten und Lothar dem Kraftfahrer, der gar nichts bekommt.

Die Lösung

1. Die Anspruchsgrundlagen

    Die Verpflichtung des Arbeitgebers auf Zahlung einer Jahresgratifikation/Weihnachtsgeld/Sonderzahlung etc. kann sich aus verschiedenen Anspruchsgrundlagen ergeben, nämlich aus Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, Gesamtzusage, betriebliche Übung, Gleichbehandlungsgrundsatz, Einzelvertrag.

2. Tarifverträge

    In vielen Branchen bestehen Tarifverträge, die eine Jahressonderzahlung regeln, z.B. im öffentlichen Dienst (Zuwendungsvertrag), in der Bankbranche, im Einzelhandel, Metallindustrie etc.
    Entscheidend ist die Frage, ob der Tarifvertrag im Arbeitsverhältnis gilt! Dies ist nicht selbstverständlich. Tarifverträge gelten generell nur normativ und zwingend zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber Mitglied im Arbeitgeberverband/der Innung und der Arbeitnehmer Mitglied in der zuständigen Gewerkschaft ist. Dies ist vielfach nicht der Fall! Daneben gelten Tarifverträge mit Sonderzuwendungen noch dann zwingend, wenn diese Tarifverträge allgemeinverbindlich erklärt sind. Das ist bei Sonderzahlungstarifverträgen aber regelmäßig nicht der Fall. Auch der räumliche Geltungsbereich der Tarifverträge muß geprüft werden. Ein Teil der Tarifverträge gilt z.B. nicht in den neuen Bundesländern.
    Die Arbeitsvertragsparteien können allerdings die Geltung des Branchentarifvertrages auch im Arbeitsvertrag vereinbaren. Dann gilt der Tarifvertrag mit der Sonderzuwendung zwar nicht zwingend, aber kraft Individualvereinbarung. Dies wird z.B. mit dem Zusatz gemacht:
    Im übrigen gelten die Tarifverträge des ...-gewerbes in der jeweiligen Fassung.

3. Betriebsvereinbarungen

    Arbeitgeber und Betriebsräte lieben es, Sondergratifikationen auch per Betriebsvereinbarung zu vereinbaren. Der Betriebsrat kann den Abschluß einer solchen Betriebsvereinbarung nicht erzwingen, da sie freiwillig ist.
    Die Betriebsparteien übersehen allerdings, daß eine solche Betriebsvereinbarung rechtlich nur zulässig ist, wenn in der Branche die Sonderzahlung tariflich nicht geregelt ist! Da in vielen Branchen solche Tarifverträge existieren, sind dort Betriebsvereinbarungen rechtswidrig und unwirksam.
    Diese Betriebsvereinbarungen können später jederzeit vom Arbeitgeber unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten für die Zukunft gekündigt werden. Der Anspruch der Arbeitnehmer auf Sonderzahlung entfällt dann ersatzlos. Eine Nachwirkung gibt es nicht, wenn dies nicht gesondert vereinbart ist.

4. Gesamtzusage

    Eine Gesamtzusage (auch vertragliche Einheitsregelung genannt) liegt dann vor, wenn der Arbeitgeber gegenüber allen Arbeitnehmern des Betriebes oder gegenüber einer Gruppe von Arbeitnehmern einseitig erklärt, daß er zukünftig Weihnachtsgeld, 13. Monatsgehalt oder eine Sonderzuwendung zahlen wird. Diese Erklärung des Arbeitgebers ist zunächst freiwillig. Wenn er jedoch keine Widerrufsvorbehalte macht, entwickelt sich daraus für die Zukunft ein zwingender Rechtsanspruch der Arbeitnehmer (nach dreimaliger vorbehaltloser Zahlung).
    Sofern diese Zusage schon in einem Formulararbeitsvertrag enthalten ist, sprich man auch von einer “arbeitsvertraglichen Einheitsregelung”.

5. Betriebliche Übung

    Eine betriebliche Übung entsteht, wenn der Arbeitgeber eine Weihnachtsgratifikation über Jahre hinweg wiederholt und ohne Widerrufsvorbehalt gewährt. Dadurch entsteht für die Arbeitnehmer ein Vertrauenstatbestand mit Bindungswirkung für die Zukunft.
    Das Besondere der betriebliche Übung besteht darin, daß der Arbeitgeber zahlt, ohne eine ausdrückliche verbindliche Zusage oder Klärung gegenüber Arbeitnehmern abgegeben zu haben. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein bindender Vertrauenstatbestand in solchen Fällen dann entstanden, wenn der Arbeitgeber 3 Jahre lang hintereinander zahlt, ohne eine Widerrufsvorbehalt zu erklären oder ohne die Zahlung für die Zukunft auszuschließen.
    Ein Vertrauenstatbestand entsteht nicht, wenn der Arbeitgeber darauf hinweist, daß die Zahlung einmalig ist und er sich vorbehält, in der Zukunft keine oder nur eine verringerte Zahlung zu erbringen.

6. Einzelvertragliche Zusage

    Eine einzelvertragliche Zusage kann so aussehen, daß der Arbeitgeber auch ohne Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband/Innung die Zahlung des tarifvertraglichen Weihnachtsgeldes/Sonderzahlung verspricht. Im übrigen kann im Einzelarbeitsvertrag eine Jahressonderzahlung oder Gratifikation individuell vereinbart werden, so wie es die Vertragsparteien wünschen. Sofern diese Gratifikationsvereinbarung höher ist als der Tarifvertrag, gilt stets die höhere Vereinbarung nach dem Günstigkeitsprinzip.
    In der Individualvereinbarung können auch Einschränkungen gemacht werden, z.B. ein Widerrufsvorbehalt, eine Rückzahlungsklausel etc.
    Hat sich der Arbeitgeber arbeitsvertraglich den jederzeitigen Widerruf vorbehalten, so steht die künftige Zahlung im Ermessen des Arbeitgebers.

7. Nachwirkung des Tarifvertrages

    Hat zwischen den Arbeitsvertragsparteien ein Tarifvertrag gegolten, so entfällt der Anspruch auf Weinachtsgratifikation nicht deshalb, weil dieser Tarifvertrag ausläuft. Tarifverträge wirken generell nach. Dies gilt auch dann, wenn der Tarifvertrag allgemeinverbindlich war und die Allgemeinverbindlichkeit entfällt. Auch dann wirkt der Tarifvertrag nach.
    Beachte: Der neue Tarifvertrag löst den alten Tarifvertrag ab. Sofern Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch Verbandszugehörigkeit zwingend tarifvertragsgebunden sind, gilt jeweils der neueste Tarifvertrag. Wenn der neue Tarifvertrag günstiger ist, erhöht sich der Anspruch der Arbeitnehmer. Sofern der neue Tarifvertrag ungünstiger ist, könnte der Anspruch der Arbeitnehmer sich verschlechtern.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug