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Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
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Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
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Folge 38: Dumpinglöhne / Lohnwucher
Durch die Aufweichung der Flächentarifverträge ist das Lohnniveau in diversen Branchen immer unterschiedlicher. Dies führt nicht nur zu einer Wettbewerbsverzerrung zwischen den einzelnen Unternehmern. Die
Frage ist auch, wann das Stadium des sittenwidrigen Lohnwuchers und der Dumpinglöhne erreicht ist.
Der Fall:
Die ehrwürdige Elisabeth-Kirche soll nach Jahrhunderten renoviert und verschönert werden. Der dafür zuständige Landkomptur Graf Wittiko engagiert den arbeitslosen Kathedralenmaler Karl
Bantzer dafür. Laut Arbeitsvertrag zahlt er ihm einen Stundenlohn von 9,50 DM brutto bei 60 Std. pro Woche. Die Malerkollegin Ida Kerkovius ist empört und spricht von Ausbeutung, da der durchschnittliche Lohn
für Kathedralenmaler innerhalb der europäischen Union sich bei 20 Euro pro Stunde bewegt. Gleichwohl nimmt der arbeitslose Bantzer an, denn er muß Frau und 3 Kinder ernähren. Als der päpstliche
Großinquisitor Konrad von Marburg von dieser Lohnabsprache hört, lädt er die Vertragsparteien, den Landkomptur Wittiko und den Maler Karl Bantzer vor sein Inquisitionsgericht. Er hält den Stundenlohn für viel zu
niedrig und sittenwidrig. Er fordert den Landkomptur zur Lohnerhöhung auf. Dieser beruft sich auf den alten Rechtssatz: “pacta sunt servanda”. Er will nicht mehr zahlen. Wer hat recht?
Die Lösung:
1. Vertragsfreiheit
Im bürgerlichen Recht und damit auch im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Dieser Grundsatz ist jedoch durch vielfältige Gesetze und Verfassungsgrundsätze
eingeschränkt. LandKomptur Wittiko irrt daher, wenn er meint, daß er Lohnabsprachen treffen kann, wie er es für richtig hält.
2. Lohnwucher
Wenn eine Vergütung zu niedrig angesetzt ist, dann kann im Einzelfall der Tatbestand des Lohnwuchers erfüllt sein. Lohnwucher führt stets zur Sittenwidrigkeit einer
Vergütungsvereinbarung. Diese Vergütungsvereinbarung ist dann gem. § 139 BGB nichtig. Vom Fall des Lohnwuchers geht die Rechtsprechung dann aus, wenn ein auffälliges Mißverhältnis zwischen der Leistung des
Arbeitnehmers und der Gegenleistung des Arbeitgebers vorhanden ist. Zur Frage des auffälligen Mißverhältnisses müssen allerdings die gesamten Umstände des Einzelfalles und insbesondere die Lohngrundsätze und
Lohngebräuchlichkeiten der jeweiligen Branche zugrundegelegt werden. Es gibt einzelne Entscheidungen, die auch darauf abstellen, ob mit der Lohnvereinbarung das jeweilige Sozialhilfeniveau unterschritten
wird. Dabei wird insbesondere darauf abgestellt, daß die Lohnabrede einer Familie einen angemessenen Lebensstandard zu sichern habe. Eine solche Vergleichsbetrachtung mit der jeweiligen Höhe der Sozialhilfe
ist problematisch. Je nach Anzahl der Unterhaltsberechtigten wird die Sozialhilfe unterschiedlich zu bemessen sein. Zum anderen berücksichtigt diese Betrachtungsweise nicht ausreichend die Gegebenheit der
jeweiligen Branche. Bei der Betrachtung nach Sozialhilfegrundsätzen muß außerdem festgestellt werden, daß in verschiedenen Tarifbereichen die unteren Lohngruppen dann z.T. bereits auf Sozialhilfeniveau oder
unter Sozialhilfeniveau liegen und sittenwidrig sein könnten. Diese Betrachtungsweise gerät in Konflikt mit der grundgesetzlich gesicherten Tarifautonomie. Eine solche Betrachtungsweise ist deshalb
problematisch. Dies gilt auch deshalb, weil die unterschiedliche Wochenarbeitszeit einschließlich der Teilzeitproblematik zu unterschiedlichen Lohnhöhen bei gleichem Stundenlohn führen kann. Im übrigen könnte
der Kathedralenmaler Karl Bantzer bei einem Gesamteinkommen unter Sozialhilfeniveau aufgrund seiner Unterhaltsverpflichtungen ggf. ergänzende Sozialhilfe beantragen.
3. Strafbarer Lohnwucher nach BGH
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat einen strafbaren Lohnwucher bereits dann als gegeben betrachtet, wenn ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
besteht. Ein solches Mißverhältnis soll schon dann vorliegen, wenn der Tariflohn um 1/3 unterschritten ist. Da laut Ida Kerkovius der Durchschnittslohn EU-weit bei 20 Euro liegen soll, müßte Landkomptur
Wittiko sich auf ein Strafverfahren bei Großinquisitor Konrad von Marburg, wenn er nicht einsichtig wird.
4. Lohnwucher nach BAG
Auch das Bundesarbeitsgericht sieht den Fall des Lohnwuchers dann gegeben, wenn ein auffälliges Mißverhältnis hinsichtlich der Lohnhöhe einerseits und der Arbeitsleistung andererseits
vorliegt. Allerdings muß nach der Rechtsprechung des BAG in aller Regel auf die Gesamtumstände abgestellt werden, also auch auf den Schwierigkeitsgrad und die Dauer der Arbeit, auf die körperliche und die
geistige Beanspruchung und die Arbeitsbedingungen schlechthin (Hitze, Kälte, Lärm etc.). Nach BAG ist allerdings nicht der Nutzen der Arbeit für den Unternehmer für die Lohnhöhe ausschlaggebend. Beim
Lohnvergleich soll einerseits ein Vergleich mit den Tariflöhnen des jeweiligen Wirtschaftszweigs angestellt werden. Andererseits müsse aber auch vom allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet und
Wirtschaftszweig ausgegangen werden. Anders als der BGH stellt das BAG nicht entscheidend bzw. alleine auf den Tariflohn ab. Allerdings hat das BAG in Einzelfallentscheidungen aufgrund dieser allgemeinen
Kriterien z.B. auch schon eine Ausbildungsvergütung von ca. 20 % der tariflichen Ausbildungsvergütung als sittenwidrig angesehen. Tariflöhne für Kathedralenmaler gibt es nicht. Abstellend auf den Gewerbezweig
und das Wirtschaftsgebiet muß allerdings festgestellt werden, daß der Stundenlohn von Karl Bantzer deutlich unter 50 % des üblichen Stundenlohnes von Kathedralenmalern liegt. Damit steht fest, daß die fragliche
Vereinbarung von Landkomptur Graf Wittiko mit dem Kathedralenmaler sittenwidrig ist. Großinquisitor Konrad von Marburg hat recht. Landkomptur Wittiko muß das Inquisitionsgericht fürchten.
5. Gemeinnützige Arbeit
Etwas anderes gilt, wenn gemeinnützige Arbeit nach § 19 BFHG abgeleistet wird. Wäre der Maler Bantzer Sozialhilfeempfänger gewesen, so hätte er ggf. im Rahmen der gemeinnützigen Arbeit
mit einem Hinzuverdienst von 2 DM pro Stunde an der Renovierung der Elisabeth-Kirche beschäftigt werden können. Hier hätte aber ein anderer Fall vorgelegen, nämlich keine freie Vertragsvereinbarung.
6. Teilnichtigkeit
Landkomptur Wittiko meint nun, daß bei einer Nichtigkeit der Lohnvereinbarung wegen Sittenwidrigkeit überhaupt kein Vertrag vorliege und gar nichts gezahlt werden müsse.
Großinquisitor Konrad platzt vor Wut. Die Teilnichtigkeit führt nämlich nicht dazu, daß der Lohnanspruch entfällt. Vielmehr muß Landkomptur Wittiko dem Kathedralenmaler Bantzer den verkehrsüblichen Lohn nach §
612 BGB, d.h. den Stundenlohn von 20 Euro nachzahlen. Dies bedeutet im Ergebnis, daß bei Lohnwucher die sittenwidrige Vereinbarung nicht belohnt wird.
7. Checkliste
- Vergütungshöhe verglichen mit
a) der einschlägigen Tarifvergütung b) der regional üblichen Branchenvergütung
- erhebliche Abweichung nach oben: unproblematisch
- erhebliche Abweichung nach unten: wie viel? mehr als 25 %?
- Gefahr: Sittenwidrigkeit / Lohnwucher
- Lohnwucher: Strafbarkeit. Arbeitgeber / Personalleiter vorbestraft
- Sittenwidrigkeit: Arbeitgeber muß die regional branchenübliche Vergütung nachzahlen
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
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Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
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Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
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Folgenübersicht:
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1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
228 - 240: Neue Sperrzeitprobleme Beendigungsvergleich
241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
253 - 264 Hitzeregelungen Internetnutzung (Kündigung)
265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
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