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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 72: Schadenersatz wegen Geschlechterdiskriminierung
Falsche Stellenausschreibung

Seit geraumer Zeit haben Rechtsprechung und Gesetzgeber sowie die Europäische Kommission die unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen ihres Geschlechtes im Berufsleben verboten, gleichwohl ist es ein langer Weg, bis sich diese Erkenntnis in der Praxis durchsetzt. Es gibt nach wie vor vielfältige Benachteiligungen von Arbeitnehmern wegen des Geschlechts.

Der Fall:

Der Arzt Asklepios sucht per Zeitungsanzeige eine “freundliche Arzthelferin” mit entsprechender Ausbildung und Berufserfahrung. Der listige Odysseus sinnt stets darauf, ohne Arbeit schnelles Geld zu verdienen. Er bewirbt sich bei Asklepios mit wenigen Zeilen um die Stelle als Arzthelferin. Um Arbeit zu sparen, hat er der Bewerbung keinen Lebenslauf und keine weiteren Unterlagen beigefügt. Eine entsprechende Ausbildung besitzt er nicht. Als Asklepios erwartungsgemäß eine Frau und nicht ihn einstellt, klagt er vor dem Arbeitsgericht auf Schadenersatz in Höhe von 3 Monatslöhnen (4.500 Euro) wegen rechtswidriger Geschlechterdiskriminierung. Arzt Asklepios ist fassungslos. Odysseus lacht listig und verweist auf § 611 b BGB.

Die Lösung

1. Die Gesetzeslage

Der Gesetzgeber hat in § 611a BGB bestimmt, daß ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei Begründung des Arbeitsverhältnisses, aber auch beim beruflichen Aufstieg etc. nicht wegen seines Geschlechtes benachteiligen darf. Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechtes ist nur dann zulässig, sofern ein bestimmtes Geschlecht die “unverzichtbare Voraussetzung” für die bestimmte Tätigkeit ist.
Wenn im Streitfall der Arbeitnehmer z.B. bei einer Bewerbung Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechtes vermuten lassen, so muß der Arbeitgeber beweisen, daß die Geschlechterbenachteiligung auf einer solchen unverzichtbaren Voraussetzung oder sachlichen Gründen beruht.
Verstößt der Arbeitgeber gegen das gesetzliche Benachteiligungsverbot, so muß er unter Umständen nach § 611a Abs. 2 BGB dem benachteiligten Arbeitnehmer oder Bewerber einen angemessenen Schadenersatz zahlen. Der wegen seines Geschlechts abgewiesene Bewerber kann allerdings keinen Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses geltend machen.

2. Bewerbungsanzeigen

Wegen dieses Benachteiligungsverbotes hat der Gesetzgeber in § 611b BGB ausdrücklich bestimmt, daß Arbeitsplätze weder öffentlich in der Zeitung etc., noch innerhalb des Betriebes nur für Männer oder nur für Frauen ausgeschrieben werden dürfen. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn das Geschlecht eine unverzichtbare Voraussetzung für die Tätigkeit ist.
In der Praxis ist allerdings festzuhalten: Es gibt nahezu keine Tätigkeit, für die ein bestimmtes Geschlecht unabdingbare Voraussetzung ist (eine der wenigen Ausnahmen z.B. Mannequin für Damenmoden).
Das Geschlecht ist nur dann unverzichtbare Voraussetzung für eine bestimmte Tätigkeit, wenn ein Angehöriger des jeweils anderen Geschlechtes die vertragsgemäße Leistung unmöglich erbringen könnte und dieses Unvermögen auf dem Geschlecht beruht.

3. Beweislast

Sofern ein Arbeitgeber bei einer Stellenanzeige, einer betrieblichen Stellenausschreibung oder einer Stellenbesetzung meint, nur männliche oder weibliche Bewerber einstellen zu müssen, muß er im Streitfall die Unverzichtbarkeit des bestimmten Geschlechtes darlegen und beweisen.
Das gilt auch für den Arzt Asklepios, der meint, daß Arzthelferinnen nur weiblich sein können.
Hier irrt Asklepios aber gründlich. Auch wenn bisher Arzthelferinnen traditionell weiblich waren, ist für diesen Beruf das weibliche Geschlecht keine unabdingbare Voraussetzung. Es nicht von vorneherein ausgeschlossen, daß Männer wegen des Geschlechtes diesen Beruf ebenfalls ausüben könnten. Männer können auch freundlich sein.
Deshalb hat Arzt Asklepios mit seiner Stellenanzeige in grober Weise gegen das Gesetz verstoßen. Er hat ohne ausreichenden Grund das männliche Geschlecht diskriminiert.

4. Schadenersatzpflicht

Wegen dieser gesetzeswidrigen Geschlechterdiskriminierung bei der Ausschreibung nur für weibliche Bewerber schuldet Asklepios grundsätzlich allen männlichen Bewerbern Schadenersatz. Der benachteiligte Bewerber kann eine angemessene Entschädigung in Geld beanspruchen. Dabei hat die Rechtsprechung Beträge zwischen 1 und 6 zu erwartenden Monatsgehältern angenommen. In der Höhe ist der von Odysseus geforderte Betrag deshalb nicht zu beanstanden.
Allerdings ist die Voraussetzung für den Schadenersatz die subjektive und objektive Eignung des Bewerbers für die ausgeschriebene Stelle.

5. Objektive Eignung

Der Schutzzweck des § 611a BGB bezieht sich wegen der Entschädigung nur auf den objektiv geeigneten Bewerber, der alleine wegen seines Geschlechtes benachteiligt wird. Objektiv ungeeignete Bewerber können deshalb gar nicht “wegen ihres Geschlechtes” benachteiligt werden.
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll nicht “jeder” Bewerber, sondern nur der objektiv benachteiligte Bewerber eine Entschädigung beanspruchen können.
Der listige Odysseus war kein objektiv geeigneter Bewerber um die Stelle der Arzthelferin. Ihm fehlte nämlich schon die Berufsausbildung zum Arzthelfer. Außerdem fehlte ihm die von Asklepios gewünschte Berufserfahrung. Seine Schadenersatzforderung scheitert schon an dieser Stelle.

6. Subjektive Eignung

Eine Schadenersatzpflicht des Asklepios setzt auch voraus, daß sich der Bewerber tatsächlich ernsthaft um die Stelle der Arzthelferin beworben hat. Strebt der Bewerber von vornherein nur die Zahlung einer Entschädigung an und nicht die Besetzung der Stelle, entfällt der Schadenersatzanspruch. Allerdings muß im Zweifel der Arbeitgeber die mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung im gerichtlichen Verfahren darlegen.
Im Falle des listigen Odysseus spricht für die fehlende Ernsthaftigkeit der Bewerbung die Kurzform und das Fehlen aller Unterlagen, insbesondere das Fehlen eines Lebenslaufes sowie weitere Angaben zur Vorbildung, zur bisherigen Tätigkeit etc. Die “6-Zeilen-Bewerbung” des Odysseus kann objektiv auf die fehlende Ernsthaftigkeit hindeuten.
Odysseus scheitert deshalb mit seinem Schadenersatz auch aus diesem Grunde.
Merke: List und Gier nach fremdem Geld alleine reicht nicht immer aus.

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug