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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 224: Gebetspausen am Arbeitsplatz I

Der Fall

    Der tiefgläubige Suleiman verlangt von seinem Arbeitgeber Barbarossa zur Verrichtung seines muslimischen Morgengebets in der Frühschicht zwischen 6 Uhr und 8 Uhr die Freistellung für 3 Minuten.
    Das Unternehmen von Barbarossa ist im Bereich der Metallverarbeitung beschäftigt. Der Kläger arbeitet an einer Bandstraße. Barbarossa lehnt ab, weil er das Band nicht wegen des Klägers für 3 Minuten anhalten könne. Dies verursache erhebliche wirtschaftliche Verluste.
    Suleiman schlägt den Einsatz eines Springers vor. Barbarossa hat jedoch nicht regelmäßig einen Springer zur Verfügung.
    Barbarossa beschäftigt 500 Arbeitnehmer, darunter 150 Moslems. Er hält die Einrichtung von Gebetspausen für alle Moslems für wirtschaftlich und technisch völlig ausgeschlossen. Eine Vereinbarung über das Abhalten von Gebetspausen besteht weder zwischen Suleiman und Barbarossa, noch zwischen dem Betriebsrat und Arbeitgeber.
    Suleiman besteht auf der Wahrnehmung seiner religiösen Pflichtgebete und beruft sich auf sein Recht zur freien Religionsausübung.

Die Lösung

1. Direktionsrecht

    Mit dem Eintritt des Arbeitnehmers in den Betrieb unterwirft sich dieser dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit es nicht vertraglich oder durch andere Normen geregelt ist.
    Allerdings muß der Arbeitgeber auch im Rahmen des Direktionsrechts auf die berechtigten Belange des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen, z.B. auf eine Behinderung, soweit dadurch die betrieblichen Belange nicht erheblich gestört werden.

2. Einschränkungen des Direktionsrechts

    Das Direktionsrecht kann durch Vereinbarungen im Einzelarbeitsvertrag eingeschränkt sein, aber auch durch zwingende normative Regelungen, d.h. durch Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge oder durch Gesetze.
    Der Arbeitsvertrag der Parteien ergibt wegen der Gebetspausen keine Beschränkung des Direktionsrechts, da dieser Punkt im Arbeitsvertrag nicht geregelt ist. Eine Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat wegen Arbeitspausen allgemeiner Art besteht zwar. In diesen allgemeinen Pausen (Frühstückspause, Mittagspause) könnte Suleiman seine Gebete abhalten. Darüber hinaus regelt die Betriebsvereinbarung jedoch keine weiteren Pausen, insbesondere keine Gebetspausen. Auch tarifvertragliche Regelungen über Gebetspausen gibt es nicht.

3. Einschränkung durch Grundrechte

    Die in der Verfassung festgelegten Grundrechte gelten im Arbeitsverhältnis jedenfalls in der Regel nicht unmittelbar, da sie lediglich Abwehrrechte gegen den Staat darstellen.
    Grundrechte wirken jedoch mittelbar auf das Arbeitsverhältnis in verschiedener Weise ein. Suleiman kann sich zunächst auf § 616 BGB berufen. Darin ist geregelt, daß der zur Arbeit verpflichtete seines Anspruches auf die Vergütung nicht dadurch verlustig geht, daß er für eine unverhältnismäßig nicht erhebliche Zeit an seiner Dienstleistung aus einem Grund verhindert ist, der ohne sein Verschulden in seiner Person liegt. Dies könnte z.B. eine Krankheit sein oder die Verpflichtung, als Zeuge vor Gericht auszusagen. Dies kann aber auch ein Verhinderungsgrund aus dem weltanschaulichen oder religiösen Bereich sein.
    Zu diesen subjektiven Leistungshindernissen im Sinne von § 616 BGB gehören auch die Erfüllung einer vorrangig religiösen Verpflichtung und die ungestörte Religionsausübung. Diese steht nämlich gem. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG unter Verfassungsschutz.
    Eine tägliche nur 3minütige Arbeitspause wegen Gebets führt im Sinne von § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zu einer Arbeitsverhinderung für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit. Darüber hinaus ergibt sich aus allgemeinen Grundsätzen des Arbeitsvertragsrechts, insbesondere auch aus § 242 BGB die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Durch eine verfassungskonforme Auslegung der Generalklausel des § 242 BGB können auch die Grundrechte des Arbeitnehmers in das Arbeitsverhältnis einfließen und dem Arbeitgeber entsprechende Pflichten zur Rücksichtnahme aufbürden.
     

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug