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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 48: Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung

Bei Wegfall der Arbeit und des Arbeitsplatzes kann der Arbeitgeber betriebsbedingt kündigen. Die langen gesetzlichen und tarifvertraglichen Kündigungsfristen führen dazu, daß manchmal während des Laufs der Kündigungsfrist oder deren Auslauf der weggefallene Arbeitsplatz wieder neu eingerichtet werden muß, weil wieder Arbeit vorhanden ist. Der gekündigte Arbeitnehmer möchte gerne weiterarbeiten.

Der Fall:

    Landgraf Wilhelm III. von Hessen-Marburg kündigte seinen Festungsbaumeister Hans-Jakob von Ettlingen betriebsbedingt. Er wollte keine Kriege mehr führen und keine Festungen mehr bauen. Hans-Jakob stritt vor dem Arbeitsgericht Marburg gegen diese Kündigung. Im arbeitsgerichtlichen Vergleich einigten sich Landgraf und Festungsbaumeister auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2001. Landgraf Wilhelm III. zahlt außerdem eine Abfindung von 100.000 Euro.
    Im Oktober 2001 erfährt Hans-Jakob von Ettlingen, daß Wilhelm III. seine Pläne geändert hat und die Festung Ziegenhain weiter ausbauen will. Er macht ein Wiedereinstellungsbegehren geltend. Wilhelm III. lehnt dankend ab, da er mittlerweile den Architekten Baldewein eingestellt hat und 2 Baumeister nicht beschäftigen kann.

Die Lösung:

1. Wiedereinstellungsanspruch

    Dem zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung wegen Wegfalls des Arbeitsplatzes zu Recht gekündigtem Arbeitnehmer kann ein Wiedereinstellungsanspruch zustehen, wenn zwischen dem Ausspruch der Kündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist unvorhergesehen sich eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ergibt. Dies kann dadurch geschehen, daß wider Erwarten der bisherigen Arbeitsplatz erhalten bleibt oder daß unvorhergesehen ein anderer Arbeitsplatz frei wird oder neu geschaffen wird. Eine solche Beschäftigungsmöglichkeit hätte dann, wäre sie bekannt gewesen, dem Ausspruch der Kündigung entgegengestanden.
    Entsteht dagegen die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, so besteht grundsätzlich kein Wiedereinstellungsanspruch.

2. Berechtigte entgegenstehende Interessen des Arbeitgebers

    Dem Wiedereinstellungsanspruch können aber berechtigte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn er bereits anderweitige Dispositionen getroffen hat. Unter anderem kann dies dann der Fall sein, wenn der Arbeitsplatz schon mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt ist. Dies wendet Landgraf Wilhelm III. ein. Er hat bereits den Baumeister Baldewein engagiert.

3.Treuwidrige Neubesetzung

    Dieser Einwand zieht dann nicht, wenn die Neubesetzung des Arbeitsplatzes vom Arbeitgeber treuwidrig durchgeführt wurde. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber Wilhelm III. den Arbeitsplatz in Kenntnis des Wiedereinstellungsverlangens von Hans-Jakob von Ettlingen mit dem Baumeister Baldewein vorgenommen hätte. Das müßte vorliegend vom Arbeitsgericht geprüft werden.

4. Information des Arbeitnehmers

    Die Berufung auf die Neubesetzung des Arbeitsplatzes ist dem Arbeitgeber auch dann verwehrt, wenn er die Neubesetzung schon vor dem Wiedereinstellungsverlangen des gekündigten Arbeitnehmers vorgenommen hat, ohne diesen über die Neubeschäftigungsmöglichkeit zu informieren.
    Das träfe auf unseren Fall zu. Wilhelm III. hat den Baumeister Baldewein während des Kündigungsschutzprozesses eingestellt, ohne Baumeister von Ettlingen über die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu informieren.
    Die Rechtsprechung läßt aber offen, ob eine generelle Informationspflicht dieser Art besteht. Sie richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Ein mit dem Arbeitnehmer geschlossener Abfindungsvergleich kann dabei von wesentlicher Bedeutung sein. Erhält der Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsplatzes eine hohe Abfindung, so wird es meist nicht als treuewidrig erscheinen, wenn der Arbeitgeber im Hinblick darauf die Information über eine unvorhergesehene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit unterläßt.

5. Abfindungsvergleich

    Durch einen Abfindungsvergleich kann ein etwaiger Wiedereinstellungsanspruch wirksam ausgeschlossen werden. Allerdings fehlt es zumeist an einer entsprechenden ausdrücklichen Regelung im Vergleich. Dies zu verlangen, wäre praxisfremd.
    Bietet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen angemessenen wirtschaftlichen Ausgleich für den Verlust seines Arbeitsplatzes und nimmt der Arbeitnehmer dies an, so bringen beide Vertragsparteien damit regelmäßig zum Ausdruck, daß das Arbeitsverhältnis im Anschluß an den Beendigungszeitpunkt nicht mehr fortgesetzt werden soll.
    In unserem Fall wäre zu prüfen, ob die Abfindung von 100.000 Euro für Hans-Jakob von Ettlingen tatsächlich ein angemessener wirtschaftlicher Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes eines Festungsbaumeisters war. Im Zweifel ist bei der Höhe solcher Abfindungen allerdings davon auszugehen.

6. Wegfall der Geschäftsgrundlage

    Baumeister von Ettlingen ist sauer. Er beruft sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage und damit auf die Unwirksamkeit des Vergleichs nach § 779 Abs. 1 BGB.
    Eine Unwirksamkeit des Vergleichs wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn die neue Situation erst nach Abschluß des Abfindungsvergleiches unvorhersehbar eingetreten ist.
    Ob dies vorliegend der Fall war, mag zweifelhaft sein. Es muß aber anhand der Umstände des Einzelfalls geprüft werden, ob die Aufgabe der Festungsbautätigkeit tatsächlich Geschäftsgrundlage des Vergleichs und der Abfindung war. Dies dürfte wohl kaum der Fall gewesen sein. Geschäftsgrundlage war hier, daß beide angemessen und anständig auseinandergehen wollten.

7. Checkliste

  • Wiedereinstellungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung.
  • Voraussetzung: Unvorhergesehene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit und vor Ablauf der Kündigungsfrist.
  • Pflicht des Arbeitgebers: Information des Arbeitnehmers und Weiterbeschäftigungsangebot.
  • Arbeitnehmer kann annehmen oder ablehnen.
  • Entgegenstehende, berechtigte Arbeitnehmerinteressen: schon andere unternehmerische Entscheidungen getroffen, Stelle besetzt etc.
  • Wünscht Arbeitnehmer die Wiedereinstellung und weiß der Arbeitgeber dies, so darf er keine Neueinstellung mit anderem Arbeitnehmer betreiben.
  • Kenntnis vom Wiedereinstellungsbegehren: Kündigungsschutzklage
  • Abfindung schließt Wiedereinstellungsanspruch zumeist aus.

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
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193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
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Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
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265 - 276
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277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
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Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

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324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
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