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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 227: Rückzahlungspflicht Weihnachtsgratifikation

Der Fall:

    Arbeitgeberin Medusa schüttelt gramgebeugt ihr Haupt. Buchhalterin Calypso hat gekündigt, um Selbstverwirklichung zu betreiben. Putzfrau Persephone wurde von Mutter Iokaste abgeworben, die für ihre Sohn Ödipus eine Reinigerin braucht. Hausmeister Phaeton mußte betriebsbedingt gekündigt werden, da der Hausmeisterdienst an eine Hausverwaltung fremdvergeben wurde.
    In allen Fällen will Medusa die schon ausgezahlte Jahressonderzahlung zurück haben. Calypso erhielt ein 13. Monatsgehalt von 2.000 Euro. Sie kündigte zum 31.3. des Folgejahres. Persephone kündigte zum 31.12. Sie erhielt ein Monatsgehalt von 500 Euro. Hausmeister Phaeton wurde ebenfalls zum 31.12. gekündigt. Seine Jahresgratifikation belief sich auf 150 Euro.
    Die Arbeitnehmer halten das Rückzahlungsbegehren für unmoralisch und einen Eingriff in ihre Freiheit der Berufswahl. Sie verweigern die Rückzahlung.
    Hat Arbeitgeberin Medusa Chancen?

Die Lösung

1. Rückzahlungsvereinbarungen

    Jahressonderzahlungen, Gratifikation, 13. Monatsgehalt etc. sind zum Einen Belohnung für erbrachte Dienste und Betriebstreue im laufenden Arbeitsjahr. Sie können auch Anreiz zur Weiterbeschäftigung in der Zukunft sein, wenn die Arbeitsvertragsparteien eine Rückzahlungsvereinbarung für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens getroffen haben.
    Solche Rückzahlungsvereinbarungen finden sich in Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen oder auch Arbeitsverträgen.
    Beispiel: Rückzahlungspflicht für das 13. Monatsgehalt bei Ausscheiden bis 31.3. des Folgejahres.

2. Zulässigkeit

    Rückzahlungsklauseln sind generell zulässig, wenn sie die Freiheit der Berufswahl des Arbeitnehmers nicht übermäßig oder unsachlich einschränken. Rückzahlungsklauseln gibt es deshalb generell nicht bei dem normalen Lohn, der arbeitsvertraglich oder tarifvertraglich geschuldet wird. Rückzahlungsklauseln finden sich aber zulässigerweise bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers, z.B. bei Gratifikationen oder bei freiwilligen Ausbildungs-/Weiterbildungszahlungen des Arbeitgebers.
    Allerdings bedarf der Arbeitnehmer des Schutzes vor übermäßigen Zugriffen der Arbeitgeberseite.

3. Fehlende Vereinbarung

    Fehlt eine Rückzahlungsvereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien oder eine Rückzahlungsklausel in Betriebsvereinbarungen / Tarifverträgen, so hat der Arbeitgeber keinen Rückforderungsanspruch. Er muß die Jahressonderzahlung wie vereinbart oder zugesagt auszahlen und den kündigenden Arbeitnehmer ziehen lassen.

4. Beschränkte Bindungsdauer

    Der Arbeitgeber darf nach dem Willen des Gesetzgebers nicht übermäßig lange an das Arbeitsverhältnis gebunden werden. Eine solche unzulässige Bindungsdauer darf nicht dadurch erreicht werden, daß dem Arbeitnehmer zu hohe wirtschaftliche Belastungen beim Ausscheiden auferlegt werden, z.B. durch die Rückzahlung von freiwilligen Leistungen (Gratifikationen).
    Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb in Auslegung der allgemeinen Rechtsgrundsätze entsprechende Regelungen für Rückzahlungsvereinbarungen aufgestellt:
    – Zahlt Arbeitgeberin Medusa eine Gratifikation von 1 Monatsgehalt, kann sie verlangen, daß die Arbeitnehmerin Calypso über den 31.3. des Folgejahres hinaus im Arbeitsverhältnis verbleibt. Da Calypso zum 31.3. gekündigt hatte, kann Arbeitgeberin Medusa bei Vorliegen einer Rückzahlungsklausel das 13. Monatsgehalt zurückverlangen.
    – Hätte Calypso zum 30.4. des Folgejahres gekündigt, so entstünde kein Auszahlungsanspruch.
    – Auch die Putzfrau Persephone muß ihre Jahressonderzahlung von 500 Euro bei Vorliegen einer Rückzahlungsklausel an Medusa zurückzahlen. Auch sie hätte über den 31.3. des Folgejahres im Arbeitsverhältnis verbleiben müssen, da auch ihre Gratifikation einen Monatslohn umfaßte. Es hilft nicht, daß Persephone lediglich teilzeitbeschäftigt ist und ihre Jahressonderzahlung mit 500 Euro entsprechend niedriger war.
    – Ist die Gratifikation sehr niedrig, so wäre ein Rückforderungsanspruch der Arbeitgeberin unverhältnismäßig. Die Rechtsprechung hat deshalb bisher bei Sonderzahlungen bis 100 Euro einen Rückzahlungsanspruch generell als unverhältnismäßig verneint. Meines Erachtens kann diese Rechtsprechung auch auf die Gratifikation von Hausmeister Phaeton in Höhe von 150 Euro erstreckt werden. Das Rückzahlungsbegehren von Medusa ist bei dieser Höhe wohl nicht gerechtfertigt.

5. Betriebsbedingte Kündigung

    Problematisch ist das Rückzahlungsbegehren der Arbeitgeberin insbesondere dann, wenn sie selbst betriebsbedingt kündigt. Hausmeister Phaeton wäre gerne länger beschäftigt geblieben. Arbeitgeberin Medusa hat mir ihrem Outsourcing der Hausmeistertätigkeit die Ursache für die Kündigung selbst gesetzt.
    Die Rechtsprechung zu dieser Frage hat mehrfach geschwankt. Nach neuerer Rechtsprechung läßt die Vertragsfreiheit es zwar zu, daß individualvertragliche Rückzahlungsklauseln auch für betriebsbedingte Kündigungen vereinbart werden. Allerdings muß eine Billigkeitskontrolle in jedem Einzelfalle vorgenommen werden. Wenn keine wirtschaftlichen Notwendigkeiten und Zwänge vorhanden sind, sondern lediglich organisatorische Bestrebungen oder ein Rationalisierungswille, so dürfte das Rückzahlungsbegehren der Arbeitgeberseite bei betriebsbedingter Kündigung unverhältnismäßig sein. Arbeitgeberin Medusa steht deshalb auch aus diesem Grunde gegen Hausmeister Phaeton kein Rückzahlungsanspruch zu.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug