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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 49: Das Arbeitszeugnis

Das Arbeitszeugnis ist zu allen Zeiten für den einzelnen Arbeitnehmer, aber auch für den einstellenden Arbeitgeber von großer Bedeutung. Ein schlechtes oder falsches Zeugnis kann einen erheblichen Schaden anrichten.
Dabei sind die Interessengegensätze sehr groß. Der Arbeitnehmer möchte ein möglichst gutes Zeugnis bekommen, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, andererseits aber liegt dem einstellenden Arbeitgeber möglichst viel an einem wahren und ungeschminkten Zeugnis.

Der Fall:

    Frau Holle beschäftigt in der Abteilung Winterdienst den Abteilungsleiter Eisenhans. Eisenhans will gehen und hat ein Zeugnis beantragt. Die unerfahrene Frau Holle hat schon viel von den Tücken des Zeugnisses gehört. Sie weiß nicht, wie sie sich verhalten soll. Deshalb fragt sie den alten und erfahrenen Fuchs Dr. Allwissend, ob sie überhaupt ein Zeugnis ausstellen muß und wie dieses ggf. auszusehen hat.

Die Lösung:

1. Anspruchsgrundlagen

    Arbeitnehmer, Auszubildende, wie auch Beamte haben einen Anspruch auf ein Arbeits- oder Dienstzeugnis. Der Anspruch kann entweder aus diversen Gesetzen folgen, nämlich § 113 Gewerbeordnung, § 73 Handelsgesetzbuch, § 630 BGB, § 8 Berufsbildungsgesetz oder § 92 Bundesbeamtengesetz.
    Der Anspruch auf ein Arbeitszeugnis kann aber ebenso aus Tarifverträgen oder dem Arbeitsvertrag folgen. Im übrigen ergibt sich der Anspruch aus einer vertraglichen Nebenpflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis.
    Dies gilt auch dann, wenn eine entsprechende Vereinbarung nicht ausdrücklich zustandegekommen ist. Da ein Arbeits- und Dienstzeugnis heute zum arbeitsrechtlichen Standard gezählt wird, muß Frau Holle dem Abteilungsleiter Eisenhans in jedem Falle das gewünschte Zeugnis ausstellen.

2. Art des Arbeitsverhältnisses

    Frau Holle meint, daß das Arbeitsverhältnis mit Eisenhans erst 2 Jahre bestanden hat und am Anfang nur ein Teilzeitarbeitsverhältnis war. Muß deshalb trotzdem ein volles Zeugnis ausgestellt werden?
    Die Art des Arbeitsverhältnisses spielt für die Zeugnispflicht des Arbeitgebers keine Rolle. Der Anspruch auf ein Zeugnis besteht auch dann, wenn es sich um eine nebenberufliche Tätigkeit, eine Teilzeittätigkeit oder eine Geringbeschäftigtentätigkeit gehandelt hat.
    Frau Holle muß auch ihren nur saisonbedingt kurzzeitig eingesetzten “Schneeflockenzerstäuberkolonnen” ein Arbeitszeugnis ausstellen, wenn dies verlangt wird. Selbst wenn diese Tätigkeit im Jahr nur wenige Tage umfaßt hat.

3. Zeugnisart

    Die Rechtsprechung und die Praxis kennt 2 Arten von Zeugnis, nämlich:

    das einfache Zeugnis und

    das qualifizierte Zeugnis.

    Das einfache Zeugnis beinhaltet mehr oder weniger nur einen Beschäftigungsnachweis. Aus diesem Zeugnis muß einerseits der Arbeitnehmer und andererseits der Arbeitgeber hervorgehen. Außerdem beinhaltet das Zeugnis die Bestätigung der Beschäftigungsdauer und die Art der Beschäftigung. Eine Beurteilung wird aber nicht vorgenommen. Ggf. kann die Tätigkeitsbeschreibung etwas ausführlicher sein. Auf Verlangen ist der Entlassungsgrund anzugeben.
    Entscheidend beim einfachen Zeugnis ist das Weglassen einer Beurteilung. Es fehlen Ausführungen über Führung und Leistung.
    Dagegen erstreckt sich das qualifizierte Zeugnis gerade auf Führung und Leistung. Es enthält zunächst eine umfassende Tätigkeitsbeschreibung. Diese Beschreibung muß vollständig sein. Sie muß sich auf die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses beziehen. Dies gilt auch für die Beurteilung der Leistung des Arbeitnehmers in Bezug auf Führung und Leistung.
    Das qualifizierte Zeugnis muß einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Aspekte des Arbeitsverhältnisses liefern. Erfahrungsgemäß gibt ein solches Zeugnis immer wieder Anlaß zu Streitigkeiten vor dem Arbeitsgericht.

4. Wahlrecht des Arbeitnehmers

    Frau Holle würde wegen zurückliegender Abmahnungen und Vorfälle gerne ein einfaches Zeugnis ausstellen. Dies hat den Vorteil, daß sie allen Schwierigkeiten aus dem Weg gehen kann.
    Damit ist Abteilungsleiter Eisenhans aber nicht einverstanden. Er braucht das Zeugnis, um den Arbeitgeber bei einer gerade laufenden Bewerbung von seiner Qualifikation zu überzeugen.
    Auf Befragen belehrt Ratgeber Dr. Allwissend die Arbeitgeberin Frau Holle, daß nach ständiger Rechtsprechung alleine der Arbeitnehmer das Wahlrecht besitzt und darüber entscheidet, ob sie ein einfaches oder qualifiziertes Zeugnis auszustellen hat.
    Ein einfaches Zeugnis empfiehlt sich insbesondere bei kurzzeitigen Arbeitsverhältnissen. Es kann auch ohne Schaden bei Arbeitsverhältnissen ausgestellt werden, die ganz einfach strukturiert waren oder als Nebenjobs ein Arbeitsverhältnis betreffen, das für den Mitarbeiter nicht von großer Bedeutung war.
    Im übrigen aber kann bei einer Bewerbung ein einfaches Zeugnis negativ ausgelegt werden. Es kann vermeintlich oder tatsächlich darauf hindeuten, daß der Arbeitnehmer mit der Wahl des einfachen Zeugnisses eine schlechte Beurteilung durch den Arbeitgeber hat verhindern wollen.
    Das einfache Arbeitszeugnis ist letztendlich nur ein Tätigkeitsnachweis ohne weitere Aussagekraft. Es bestätigt allerdings, daß der Arbeitnehmer während der entsprechenden Zeit gearbeitet hat, d.h. nicht arbeitslos war und nicht “auf der faulen Haut” lag. Weiter bestätigt es eine gewisse Berufserfahrung, mehr aber nicht.
    Deshalb tut Abteilungsleiter Eisenhans gut daran, gerade in seiner herausgehobenen Stellung auf einem qualifizierten Zeugnis zu bestehen. Alles andere wäre für ihn bei einer Neubewerbung “nahezu tödlich”.

5. Checkliste

  • Gesetzlicher Anspruch auf Arbeitszeugnis
  • Daneben Anspruch des Arbeitnehmers aus Tarifvertrag / Arbeitsvertrag / Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
  • Art des Arbeitsverhältnisses unwesentlich, egal ob Vollzeit, Teilzeit, Geringbeschäftigung, Dauer von wenigen Wochen oder Jahren.
  • Einfaches Zeugnis: bessere Arbeitsbestätigung, Arbeitsnachweis, ohne Beurteilung.
  • Qualifiziertes Zeugnis: Umfassende Tätigkeitsbeschreibung und Leistungsbewertung.
  • Arbeitnehmer kann Zeugnisart wählen. Mit der Erfüllung ist der Arbeitgeber aus der Pflicht.
  • Generell ist bei längeren Beschäftigungen ein qualifiziertes Zeugnis zu empfehlen.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug