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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 241: Ethik-Regeln I

Der Fall:

    Der amerikanische Großunternehmer Walter Marton will in seinen Unternehmen und Supermärkten weltweit Ethik-Richtlinien (Codes of Ethics) einführen. Alle Mitarbeiter erhalten per Rundschreiben den weltweit gültigen 28-seitigen Verhaltenscodex.
    Dieser „Code of Ethics“ enthält ein Verbot von sexuellen und anderen Belästigungen von Kunden und Kollegen, die Pflicht zu Alkohol- und Drogentests, zur Geheimhaltung von Betriebsgeheimnissen, zur Verantwortung gegenüber Kunden, Kollegen, Behörden, das Verbot der Annahme von Zuwendungen, ein Flirt- und Liebesverbot am Arbeitsplatz, ein Liebes- und Ausgehverbot mit Untergebenen oder Vorgesetzten im privaten Bereich, ein Verbot der privaten Internetnutzung. Außerdem beinhaltet das Papier die Pflicht aller Mitarbeiter zur Meldung sämtlicher Verstöße von Kollegen gegen die Ethik-Regeln über eine anonyme Hotline, an einen Vorgesetzten oder an das Ethik-Büro.
    Der orientalische Süßwarenhersteller Ibrahim Pascha will in seinen Süßwarenfabriken in Europa ebenso wie im Orient eine Kopftuchpflicht für Frauen sowie eine Bartpflicht für Männer einführen.
    Der christliche Unternehmer Willi Graham hat eine Kapelle neben seine Brotfabrik gebaut. Er fordert per Poster alle Mitarbeiter auf, dort um 9 Uhr am Morgengebet und um 12 Uhr am Halleluja-Rufen teilzunehmen.
    Die Arbeitnehmer Emmy Schneeweiß und Erwin Risotto fragen sich, ob diese Arbeitgeber das Recht haben, ihre ethischen und religiösen Vorstellungen am Arbeitsplatz durchzusetzen, Betriebsratsvorsitzender Rinaldo Kuttelwascher ist empört. Er macht ein Mitbestimmungsrecht geltend und meint, daß ohne Zustimmung des Betriebsrats gar nichts möglich sei.

Die Lösung

1. Allgemeines

    In der globalisierten Marktwirtschaft entwickelt sich die Tendenz, die jeweiligen ethischen, religiösen oder moralischen Prinzipien des Stammunternehmens auf den weltweiten Konzern zu übertragen.
    Zur Bekämpfung von Korruption, Egoismen, aber auch nationaler Alleingänge verfassen zunehmend Unternehmen Ethik-Richtlinien (sog. „Codes of Conduct“ oder „Codes of Ethics“) als Leitbild für das Verhalten ihrer Mitarbeiter weltweit. Diese Ethik-Welle färbt langsam auch auf deutsche Unternehmen ab, insbesondere wenn sie international tätig sind. Auch die deutschen Unternehmen können sich nur schwer diesem Sog entziehen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen.
    Dabei handelt es sich in vielen Fällen durchaus nicht um einen „Ethik-Imperialismus“. Erst jüngst gerieten die Ethik-Richtlinien des amerikanischen Handels-Konzerns Wal-Mart in Deutschland in die Schußlinie der Kritik und der Arbeitsgerichte.
    Bei der Kritik an den „bösen Amerikanern“ und ihrem Kultur-Imperialismus muß jedoch berücksichtigt werden, daß in den USA börsennotierte Unternehmen per Gesetz verpflichtet sind, Ethik-Richtlinien für ihre Arbeitnehmer einzuführen. Diese Pflicht erstreckt sich gesetzlich auch auf alle Tochterunternehmen im Ausland.
    Als Folge der Finanzskandale um Enron, WorldCom etc. haben die USA im „Sarbanes-Oxley-Act“ die Unternehmen zu den Ethik-Richtlinien verpflichtet. Verstöße dagegen werden streng geahndet.

2. Problemstellung

    Ein Problem besteht darin, daß mittlerweile Weltregionen, die kulturell, ethisch oder religiöse anders geprägt sind, sich durch solche Entwicklungen provoziert fühlen und versuchen, ihre ethischen Standards ebenfalls per Wirtschaftsmacht umzusetzen. Daraus droht mittelfristig ein Kulturkampf mittels Wirtschaftsmacht in den Unternehmen. Für den einzelnen Arbeitnehmer ist es nicht gleichgültig, ob er in einem deutschen, europäischen, amerikanischen oder asiatischen Unternehmen tätig ist.
    Dies zeigt der Fall „Wal-Mart“ sehr deutlich. Es darf auch nicht übersehen werden, daß dies kein Problem eines einzelnen Unternehmens ist. Vielmehr bahnt sich ein Ethik-Konflikt mit weit größeren Dimensionen an.
    Konkret: Für die deutschen Tochterunternehmen und Betriebe bedeutet dies, daß sich viele Ethik- und Verhaltensregeln, z.B. aus den USA oder Asien mit der deutschen Rechtsordnung nicht oder nur sehr schwer vereinbaren lassen, obwohl sie im Ursprungsgebiet durchaus sinnvoll, sogar gesetzlich vorgeschrieben sein können.
    Solchen Ethik-Regeln können in Deutschland/Europa individuelle Rechte der Arbeitnehmer entgegenstehen, insbesondere das Persönlichkeitsrecht. Vor allem aber muß das Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei der Einführung von Verhaltensregeln im Betrieb beachtet werden.
    Diese Probleme sollen in den nächsten Folgen näher beleuchtet werden.
    3. Deutsche Rechtsprobleme
    Nach deutschem Arbeitsrecht kann der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer verlangen, daß er seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß erbringt. Als Gegenleistung erhält er dafür insbesondere die entsprechende Vergütung. Schon ein Abweichen von der arbeitsvertraglichen Vereinbarung, eine Veränderung der Arbeitspflichten, eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, des Arbeitsentgeltes etc. kann vom Arbeitgeber nicht mehr einseitig durch Direktionsrecht, sondern nur durch Änderungskündigung oder Änderungsvertrag herbeigeführt werden.
    Neben der Erbringung der Arbeitsleistung steht der Arbeitnehmer in einem komplexen betrieblichen Umfeld mit vielfältigen betriebstechnischen, aber auch sozialen, betrieblichen und menschlichen Bezügen. Diesen Bereich bezeichnet die Rechtsprechung als Ordnungsverhalten. Das Ordnungsverhalten unterliegt nicht der unmittelbaren Erbringung der Arbeitsleistung. Es steht aber in einem unauflösbaren Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung.
    Das Ordnungsverhalten ist zwar bis zu einem gewissen Grad mittelbar durch die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag als „vertragliche Nebenpflichten“ durch den Arbeitgeber regelbar. Im weiteren Sinne aber kann der Arbeitgeber das Ordnungsverhalten im Betrieb nicht einseitig, jedenfalls nicht ohne Zustimmung des Betriebsrats bestimmen. Dies betrifft die Frage des Benehmens, der Arbeitskleidung, des Parkens auf dem Betriebsgelände ebenso wie die Frage der Kantinennutzung, der Sicherheitsvorkehrungen, der Diebstahls- und Torkontrolle, der Anwesenheitskontrolle, des Radiohörens am Arbeitsplatzes des Rauch- und Alkoholverbotes etc.
    Noch weniger kann der Arbeitgeber das private Verhalten der Arbeitnehmer im Freizeitbereich einseitig bestimmen.
    Für diese wichtige Frage der Ordnung des Betriebes und das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer besitzt der Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht. In all diesen Bereichen kann der Arbeitgeber einseitige Regeln nur mit Zustimmung des Betriebsrats einführen. Soweit das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers gravierend oder gar seine Privatsphäre betroffen ist, benötigt der Arbeitgeber im Zweifel auch die Zustimmung des Arbeitnehmers. Dies gilt jedenfalls solange, wie auf Seiten des Arbeitgebers keine erheblichen sachlichen Gründe vorliegen,d ie einen solchen Eingriff rechtfertigen könnten.
    Da dies in anderen Ländern und Kontinenten anders oder gar nicht geregelt ist, erwächst durch die Globalisierung der Wirtschaft ein neues Konfliktfeld.
     

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug