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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 242: Ethik-Regeln II – arbeitsvertragliche Pflichten

Der Fall:

    Der amerikanische Großunternehmer Walter Marton will in seinen Unternehmen und Supermärkten weltweit Ethik-Richtlinien (Codes of Ethics) einführen. Alle Mitarbeiter erhalten per Rundschreiben den weltweit gültigen 28-seitigen Verhaltenscodex.
    Dieser „Code of Ethics“ enthält ein Verbot von sexuellen und anderen Belästigungen von Kunden und Kollegen, die Pflicht zu Alkohol- und Drogentests, zur Geheimhaltung von Betriebsgeheimnissen, zur Verantwortung gegenüber Kunden, Kollegen, Behörden, das Verbot der Annahme von Zuwendungen, ein Flirt- und Liebesverbot am Arbeitsplatz, ein Liebes- und Ausgehverbot mit Untergebenen oder Vorgesetzten im privaten Bereich, ein Verbot der privaten Internetnutzung. Außerdem beinhaltet das Papier die Pflicht aller Mitarbeiter zur Meldung sämtlicher Verstöße von Kollegen gegen die Ethik-Regeln über eine anonyme Hotline, an einen Vorgesetzten oder an das Ethik-Büro.
    Der orientalische Süßwarenhersteller Ibrahim Pascha will in seinen Süßwarenfabriken in Europa ebenso wie im Orient eine Kopftuchpflicht für Frauen sowie eine Bartpflicht für Männer einführen.
    Der christliche Unternehmer Willi Graham hat eine Kapelle neben seine Brotfabrik gebaut. Er fordert per Poster alle Mitarbeiter auf, dort um 9 Uhr am Morgengebet und um 12 Uhr am Halleluja-Rufen teilzunehmen.
    Die Arbeitnehmer Emmy Schneeweiß und Erwin Risotto fragen sich, ob diese Arbeitgeber das Recht haben, ihre ethischen und religiösen Vorstellungen am Arbeitsplatz durchzusetzen, Betriebsratsvorsitzender Rinaldo Kuttelwascher ist empört. Er macht ein Mitbestimmungsrecht geltend und meint, daß ohne Zustimmung des Betriebsrats gar nichts möglich sei.

Die Lösung

1. Einführung von Ethik-Richtlinien

    Die Einführung von Ethik-Regeln findet auf zwei Ebenen statt, nämlich auf der Ebene des Arbeitsvertragsrechtes zwischen dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
    Zum anderen muß die Einführung solcher Richtlinien auf der kollektiv-rechtlichen Ebene abgesichert werden. Dies geschieht durch eine Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, sofern ein Betriebsrat besteht. Diese Vereinbarung findet i.d.R. durch eine Betriebsvereinbarung statt.
    Immer dann, wenn ein Betriebsrat vorhanden ist, muß der Arbeitgeber genau prüfen, welche Ethik-Regeln mitbestimmungspflichtig sind. Im Bereich des Mitbestimmungsrechts braucht es zwingend die Zustimmung des Betriebsrats zur Wirksamkeit, soweit Mitbestimmungstatbestände betroffen sind.

2. Direktionsrecht

    Mit dem Abschluß des Arbeitsvertrages gibt der Arbeitnehmer einen Teil seiner Freiheit gegen Entgelt auf und unterstellt sich dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Das Weisungs- und Direktionsrecht des Arbeitgebers ist mittlerweile in § 106 Gewerbeordnung geregelt. Das Weisungsrecht erstreckt sich vor allem auf die Erbringung der Arbeitsleistung. Der Arbeitgeber kann den Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag bzw. Gesetz nicht bereits geregelt sind.
    Im Rahmen des billigen Ermessens erstreckt sich das Weisungsrecht des Arbeitgebers auch auf die Ordnung und das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb. Der Arbeitgeber hat dabei auf die Behinderung eines Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.
    Durch das einseitige Weisungsrecht kann der Arbeitgeber nicht Dinge regeln, die außerhalb der arbeitsvertraglichen Verpflichtung des Arbeitnehmers liegen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber an der Regelung solcher Dinge kein besonderes oder schützenswertes Interesse hat.
    Bei der Ausübung des Weisungsrechts insbesondere im Bereich des Ordnungsverhaltens neben der eigentlichen Arbeitsleistung ist stets ein notwendiger Bezug zur geschuldeten Tätigkeit des Arbeitnehmers erforderlich. So darf der Arbeitgeber z.B. im Rahmen der allgemeinen Rücksichtspflichten vom Arbeitnehmer verlangen, mit dem Eigentum des Arbeitgebers pfleglich umzugehen und Schäden zu vermeiden.
    Soweit Ethik-Richtlinien eine solche Anforderung aufstellen, wäre dies vom Direktionsrecht umfaßt. Die Grenze des Direktionsrechts ist jedoch dann erreicht, wenn die eingeführte Regelung zum Schutz der berechtigten Interessen des Unternehmens nicht erforderlich ist.

3. Vertragliche Vereinbarung

    Über das allgemeine Direktionsrecht hinaus können Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertraglich das Weisungsrecht in Bezug auf Arbeitsverhalten sowie auf Ordnungsverhalten erweitern. Im Rahmen der neuen schuldrechtlichen Regelungen muß jedoch beachtet werden, daß vorformulierte Arbeitsverträge stark durch die §§ 305 ff BGB eingeschränkt werden. Insbesondere § 307 BGB verbietet eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers und fordert klare und verständliche Regelungen (Transparenzgebot). Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Vertragsregelung mit wesentlichen Grundgedanken nicht vereinbar ist, die sich aus Gesetz oder der Natur des Arbeitsvertrags ergeben.
    § 305 c BGB verbietet darüber hinaus überraschende und mehrdeutige bzw. ungewöhnliche Regeln. Diese werden nicht Inhalt des Arbeitsvertrag. Zweifel bei der Auslegung gehen  zu Lasten des Arbeitgebers.
    Nach diesen Regeln sind überzogene Einschränkungen der Arbeitnehmerfreiheit, z.B. ein generelles Verbot jeder Art von Nebentätigkeit, Vorschriften über den privaten Umgang von Mitarbeitern untereinander oder ein absolutes Vertraulichkeitsgebot problematisch und evtl. unwirksam.

4. Betriebsvereinbarung / Tarifvertrag / Gesetze

    Ethik-Regeln und allgemeine Richtlinien über das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb, im Umgang mit Kunden, Arbeitskollegen und dritten Personen stehen stets unter dem Vorbehalt, daß sie nicht gegen geltendes Recht, d.h. gegen zwingend geltende Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge oder Gesetze verstoßen dürfen.
    Dies bedeutet, daß bei der Einführung solcher Richtlinien insbesondere durch ausländische Muttergesellschaften stets geprüft werden muß, ob und inwieweit diese Ethikregeln mit dem in Deutschland geltenden Recht vereinbar sind oder  nicht. Selbst wenn – wie im Falle amerikanischer börsennotierter Unternehmen – solche Regeln im Ausland gesetzlich vorgeschrieben sind, gilt nach dem Territorialprinzip in Deutschland vorrangig das deutsche bzw. europäische Recht. Aus diesem Grunde ist es nicht ausreichend, wenn sich der Arbeitgeber darauf beruft, daß z.B. in den USA, in China, Australien oder im Orient Rechtsordnungen gelten, in denen die Ethik-Richtlinien konform gehen. Sie müssen auch mit deutschen Recht übereinstimmen, um hier Gültigkeit zu erlangen.

5. Persönlichkeitsrecht

    Eine zentrale Hürde bei der Überprüfung von Ethik-Regeln und Verhaltensrichtlinien ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters, das auch im Betrieb gewahrt werden muß.
    Das Grundgesetz fordert in seinen Art. 1 und 2 die Wahrung der Würde des Menschen und konstituiert das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Dabei handelt es sich um zentrale Werte der Verfassung, die weder von Seiten des Staates, noch von Seiten privater Arbeitgeber beseitigt werden können. Das Persönlichkeitsrecht ist ein privates, jedoch von jedermann zu achtendes Recht, das seine Grenzen nur in den Rechten anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung oder des Sittengesetzes findet.
    Zum Persönlichkeitsrecht gehört das Recht, selbst darüber zu entscheiden, ob und mit wem eine vertragliche Beziehung, aber auch eine persönliche Beziehung, eine Freundschaft oder eine Liebesbeziehung eingegangen wird.
    Soweit Ethik-Regeln in den persönlichen Bereich des Mitarbeiters oder das außerbetriebliche Verhalten eingreifen, ist die jeweilige Richtlinie sehr kritisch zu überprüfen. Selbst berechtigte Interessen des Arbeitgebers sind nicht ohne weiteres ausreichend, um einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht zu rechtfertigen.
    Eine Rechtfertigung kann nur dann vorliegen, wenn im Einzelfall die Interessen des Arbeitgebers unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit objektiv den Vorrang vor den Einzelinteressen verdienen. Grundsätzlich muß aber davon ausgegangen werden, daß insbesondere ein Eingriff von Ethik-Richtlinien in die private Lebensführung des Arbeitnehmers nicht zu rechtfertigen ist.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug