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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 65: Rauchverbot und Raucherschutz I

Immer stärker finden in Betrieben Auseinandersetzungen wegen des Rauchens am Arbeitsplatz bzw. in den Pausen statt. Die Diskussion über die Schädlichkeit des Passivrauchens verstärkt diese Problematik und zwingt Arbeitgeber zum Tätigwerden.

Der Fall:

Arbeitgeber Agamemnon ist den Streit um das Rauchen im Betrieb leid. Er fordert den Betriebsratsvorsitzenden Odysseus auf, eine Betriebsvereinbarung mit ihm über ein generelles Rauchverbot abzuschließen.
Odysseus und seine Betriebsrätinnen Pallas Athene sowie Xanthippe kommt dies gerade recht. Als bekennende Nichtraucherinnen bzw. als frühere Raucherinnen wollen sie schon lange allen Arbeitnehmern des Betriebes in Mykene das Rauchen abgewöhnen. Sie plädieren für einen betrieblichen Zwangsentzug.
Aus diesem Grunde schließen Agamemnon und Odysseus für den Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung mit einem generellen Rauchverbot innerhalb der Betriebsräumlichkeiten, aber auch auf dem gesamten Betriebsgrundstück einschließlich dem Freibereich. Pro Verstoß soll vom Lohn des Sünders ein Betrag von 200 Euro als Betriebsbuße abgezogen werden. Bei 3 Verstößen in einem Jahr droht fristlose Kündigung.
Der Genußraucher Bacchus und der Suchtraucher Hephaistos wollen sich das nicht gefallen lassen und gehen vor das Arbeitsgericht. Wer hat Recht?
Die Lösung:

1. Mitbestimmung des Betriebsrats

Arbeitgeber und Betriebsrat waren befugt, eine Regelung über das Rauchen im Betrieb zu treffen. Sie haben innerhalb der gesetzlichen Grenzen eine umfassende Regelungskompetenz wegen aller betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen betreffend der Arbeitnehmer im Betrieb. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG betrifft dies vor allem die Regelung der Ordnung des Betriebes. Das umstrittene Rauchverbot betrifft gerade die Frage dieser betrieblichen Ordnung. Mit der Betriebsvereinbarung wird nämlich ein Teil des Verhaltens der Arbeitnehmer außerhalb der eigentlichen Arbeitspflicht geregelt.

2. Öffentlich-rechtliche Rauchverbote

Die Mitbestimmung des Betriebsrats ist lediglich dann ausgeschlossen, wenn schon ein Rauchverbot aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften besteht. Dies gilt dann zwingend. Hierunter fallen Unfallverhütungsvorschriten der Berufsgenossenschaft, z.B. im feuerpolizeilichen oder gesundheitlichen Bereich (Rauchverbot z.B. bei Umgang mit brennbaren oder explosiven Stoffen und Gasen in der chemischen Industrie). Nach der Hygieneverordnung bestehen Rauchverbote z.B. bei Herstellung und Verkauf von Lebensmitteln. Dies alles betraf aber nicht den Betrieb des Agamemnon in Mykene.

3. Arbeitsnotwendige Rauchverbote

Daneben gibt es noch arbeitsnotwendige Rauchverbote, die sich aus der Natur der Tätigkeit oder den betrieblichen Umständen ergeben. Es gilt z.B. bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr, wenn beide Hände zum Arbeiten gebraucht werden (z.B. Stanzen), bei bestimmten Sauberkeitsanforderungen (Chipherstellung), technischen Notwendigkeiten oder Gepflogenheiten im Kundenverkehr (z.B. Einzelhandel, Banken, Bibliotheken, Gerichtssaal, Symphonieorchester).
Hier scheidet ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats deshalb aus, weil der Arbeitgeber aufgrund des Arbeitsvertrages und des Direktionsrechts in bestimmten Grenzen das Rauchen verbieten kann. Es handelt sich um Maßnahmen des Arbeitsvollzuges und nicht der Ordnung des Betriebes.

4. Grenzen des Rauchverbots

Soweit zwingende gesetzliche Regeln oder zwingende arbeitstechnische Voraussetzungen für ein Rauchverbot nicht bestehen, kann der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat ein Rauchverbot vereinbaren. Besteht kein Betriebsrat, so kann der Arbeitgeber das Rauchverbot im Arbeitsvertrag vereinbaren. Andernfalls hat er rechtliche Probleme, nachträglich ein Rauchverbot im Betrieb einzuführen.
Die Gestaltungsfreiheit von Agamemnon und Odysseus beim Rauchverbot ist jedoch nicht unbegrenzt. Nach § 75 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz muß Arbeitgeber und Betriebsrat die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer im Betrieb schützen und fördern. Dies gilt sowohl für Raucher wie auch für Nichtraucher.
Allerdings ist das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sowohl innerhalb des Betriebes wie außerhalb nicht unbeschränkt gültig. Es kann eingeschränkt werden.

5. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Die Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer durch Betriebsrat und Arbeitgeber bestimmen sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Rauchverbot muß geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein. Der angestrebte Zweck der Betriebsvereinbarung muß billigenswert sein. Im Zweifel muß die geringste Beeinträchtigung der Arbeitnehmer gewählt werden, wenn damit der Zweck auch erreicht werden kann.
Es bedarf hier einer Gesamtabwägung zwischen der Intensität des Eingriffes einerseits und dem Gewicht der rechtfertigenden Gründe andererseits. Dies gilt auch für ein Rauchverbot durch Betriebsvereinbarungen. Sowohl ein generelles Rauchverbot, wie auch eine Beschränkung des Rauchens auf Raucherzonen greift immer in die allgemeine Handlungsfreiheit der Arbeitnehmer ein. Andererseits können die Persönlichkeitsrechte der Nichtraucher verletzt werden, wenn der Arbeitgeber gar nichts gegen das Rauchen unternimmt.

6. Unzulässiges Regelungsziel

Die Betriebsräte Odysseus, Pallas Athene und Xanthippe wollen mit der Betriebsvereinbarung allen Rauchern im Betrieb das Rauchen abgewöhnen und ihnen einen Zwangsentzug verschaffen. Ein solches Regelungsziel ist vom Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht gedeckt. Die Mitbestimmung gibt dem Betriebsrat kein Recht, in die private Lebensführung der Arbeitnehmer, ihre Lebensfreude, Gewohnheiten und Süchte einzugreifen. Darauf liefe aber ein Verbot hinaus, das nur dazu diente, die Raucher zu einer besonderen Lebensführung anzuhalten.
Ein Zwang zur gesunden Lebensgestaltung wäre im übrigen unabhängig von der fehlenden Regelungskompetenz der Betriebspartner regelmäßig auch als unverhältnismäßig zu sehen. Über den Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit hinaus würde eine solche Regel in den engen Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes unzulässig eingreifen.
Aus diesem Grunde haben der Genußraucher Bacchus und der Suchtraucher Hephaistos recht. Die Betriebsvereinbarung mit einem generellen Rauchverbot auf dem gesamten Betriebsgelände einschließlich dem Freibereich würde im Zweifel vom Bundesarbeitsgericht wegen Kompetenzüberschreitung und Rechtswidrigkeit aufgehoben werden.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug