Folge 65: Rauchverbot und Raucherschutz I
Immer stärker finden in Betrieben Auseinandersetzungen wegen des Rauchens am Arbeitsplatz bzw. in den Pausen statt. Die Diskussion über die Schädlichkeit des
Passivrauchens verstärkt diese Problematik und zwingt Arbeitgeber zum Tätigwerden.
Der Fall:
Arbeitgeber Agamemnon ist den Streit um das Rauchen im Betrieb leid. Er fordert den Betriebsratsvorsitzenden Odysseus auf, eine Betriebsvereinbarung mit ihm
über ein generelles Rauchverbot abzuschließen. Odysseus und seine Betriebsrätinnen Pallas Athene sowie Xanthippe kommt dies gerade recht. Als bekennende Nichtraucherinnen bzw. als frühere Raucherinnen wollen sie
schon lange allen Arbeitnehmern des Betriebes in Mykene das Rauchen abgewöhnen. Sie plädieren für einen betrieblichen Zwangsentzug. Aus diesem Grunde schließen Agamemnon und Odysseus für den Betriebsrat eine
Betriebsvereinbarung mit einem generellen Rauchverbot innerhalb der Betriebsräumlichkeiten, aber auch auf dem gesamten Betriebsgrundstück einschließlich dem Freibereich. Pro Verstoß soll vom Lohn des Sünders ein
Betrag von 200 Euro als Betriebsbuße abgezogen werden. Bei 3 Verstößen in einem Jahr droht fristlose Kündigung. Der Genußraucher Bacchus und der Suchtraucher Hephaistos wollen sich das nicht gefallen lassen und
gehen vor das Arbeitsgericht. Wer hat Recht? Die Lösung:
1. Mitbestimmung des Betriebsrats
Arbeitgeber und Betriebsrat waren befugt, eine Regelung über das Rauchen im Betrieb zu treffen. Sie haben innerhalb der gesetzlichen Grenzen eine umfassende
Regelungskompetenz wegen aller betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen betreffend der Arbeitnehmer im Betrieb. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG betrifft dies vor allem die Regelung der Ordnung des
Betriebes. Das umstrittene Rauchverbot betrifft gerade die Frage dieser betrieblichen Ordnung. Mit der Betriebsvereinbarung wird nämlich ein Teil des Verhaltens der Arbeitnehmer außerhalb der eigentlichen
Arbeitspflicht geregelt.
2. Öffentlich-rechtliche Rauchverbote
Die Mitbestimmung des Betriebsrats ist lediglich dann ausgeschlossen, wenn schon ein Rauchverbot aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften besteht. Dies
gilt dann zwingend. Hierunter fallen Unfallverhütungsvorschriten der Berufsgenossenschaft, z.B. im feuerpolizeilichen oder gesundheitlichen Bereich (Rauchverbot z.B. bei Umgang mit brennbaren oder explosiven Stoffen
und Gasen in der chemischen Industrie). Nach der Hygieneverordnung bestehen Rauchverbote z.B. bei Herstellung und Verkauf von Lebensmitteln. Dies alles betraf aber nicht den Betrieb des Agamemnon in Mykene.
3. Arbeitsnotwendige Rauchverbote
Daneben gibt es noch arbeitsnotwendige Rauchverbote, die sich aus der Natur der Tätigkeit oder den betrieblichen Umständen ergeben. Es gilt z.B. bei
Maßnahmen der Gefahrenabwehr, wenn beide Hände zum Arbeiten gebraucht werden (z.B. Stanzen), bei bestimmten Sauberkeitsanforderungen (Chipherstellung), technischen Notwendigkeiten oder Gepflogenheiten im
Kundenverkehr (z.B. Einzelhandel, Banken, Bibliotheken, Gerichtssaal, Symphonieorchester). Hier scheidet ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats deshalb aus, weil der Arbeitgeber aufgrund des Arbeitsvertrages
und des Direktionsrechts in bestimmten Grenzen das Rauchen verbieten kann. Es handelt sich um Maßnahmen des Arbeitsvollzuges und nicht der Ordnung des Betriebes.
4. Grenzen des Rauchverbots
Soweit zwingende gesetzliche Regeln oder zwingende arbeitstechnische Voraussetzungen für ein Rauchverbot nicht bestehen, kann der Arbeitgeber mit dem
Betriebsrat ein Rauchverbot vereinbaren. Besteht kein Betriebsrat, so kann der Arbeitgeber das Rauchverbot im Arbeitsvertrag vereinbaren. Andernfalls hat er rechtliche Probleme, nachträglich ein Rauchverbot im
Betrieb einzuführen. Die Gestaltungsfreiheit von Agamemnon und Odysseus beim Rauchverbot ist jedoch nicht unbegrenzt. Nach § 75 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz muß Arbeitgeber und Betriebsrat die freie
Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer im Betrieb schützen und fördern. Dies gilt sowohl für Raucher wie auch für Nichtraucher. Allerdings ist das Recht auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit sowohl innerhalb des Betriebes wie außerhalb nicht unbeschränkt gültig. Es kann eingeschränkt werden.
5. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Die Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer durch Betriebsrat und Arbeitgeber bestimmen sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das
Rauchverbot muß geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein. Der angestrebte Zweck der Betriebsvereinbarung muß billigenswert sein. Im Zweifel muß die
geringste Beeinträchtigung der Arbeitnehmer gewählt werden, wenn damit der Zweck auch erreicht werden kann. Es bedarf hier einer Gesamtabwägung zwischen der Intensität des Eingriffes einerseits und dem Gewicht
der rechtfertigenden Gründe andererseits. Dies gilt auch für ein Rauchverbot durch Betriebsvereinbarungen. Sowohl ein generelles Rauchverbot, wie auch eine Beschränkung des Rauchens auf Raucherzonen greift immer in
die allgemeine Handlungsfreiheit der Arbeitnehmer ein. Andererseits können die Persönlichkeitsrechte der Nichtraucher verletzt werden, wenn der Arbeitgeber gar nichts gegen das Rauchen unternimmt.
6. Unzulässiges Regelungsziel
Die Betriebsräte Odysseus, Pallas Athene und Xanthippe wollen mit der Betriebsvereinbarung allen Rauchern im Betrieb das Rauchen abgewöhnen und ihnen einen
Zwangsentzug verschaffen. Ein solches Regelungsziel ist vom Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht gedeckt. Die Mitbestimmung gibt dem Betriebsrat kein Recht, in die private Lebensführung der Arbeitnehmer, ihre
Lebensfreude, Gewohnheiten und Süchte einzugreifen. Darauf liefe aber ein Verbot hinaus, das nur dazu diente, die Raucher zu einer besonderen Lebensführung anzuhalten. Ein Zwang zur gesunden Lebensgestaltung
wäre im übrigen unabhängig von der fehlenden Regelungskompetenz der Betriebspartner regelmäßig auch als unverhältnismäßig zu sehen. Über den Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit hinaus würde eine solche Regel
in den engen Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes unzulässig eingreifen. Aus diesem Grunde haben der Genußraucher Bacchus und der Suchtraucher Hephaistos recht. Die Betriebsvereinbarung mit einem
generellen Rauchverbot auf dem gesamten Betriebsgelände einschließlich dem Freibereich würde im Zweifel vom Bundesarbeitsgericht wegen Kompetenzüberschreitung und Rechtswidrigkeit aufgehoben werden.
>> Nächste Folge: Rauchverbot und Nichtraucherschutz II
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