|
|
|
Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
|
|
|
|
Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
|
|
|
Folge 310: Unternehmerische Entscheidung bei betriebsbedingter Kündigung
Frage:
In der sozialen Marktwirtschaft hat der Arbeitgeber die unternehmerische Freiheit, darüber zu entscheiden, mit wie viel Arbeitnehmern er was produzieren oder bewerkstelligen will. Reicht
es deshalb aus, daß bei einer betriebsbedingten Kündigung der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat und dem Arbeitsgericht sich auf seine marktwirtschaftlich gesicherte, unternehmerische Entscheidung beruft?
Der Fall:
Arbeitgeber Gilbert Bécaud hat in Deutschland einen Metallverarbeitungsbetrieb eröffnet. Nach 3 Jahren organisiert er um. Er will die Arbeitsvorbereitung, die der Produktion
vorgeschaltet ist, abschaffen und die Tätigkeiten der Arbeitsvorbereitung in die Produktionsabteilung verlagern. Damit kann er die dort bisher beschäftigten Arbeitnehmer Isaac Singer und Erasmus von Rotterdam
entlassen. Als diese vor dem Arbeitsgericht gegen die betriebsbedingte Kündigung klagen und auf Weiterbeschäftigung bestehen, beruft sich Gilbert Bécaud auf die Vertragsfreiheit und die unternehmerische
Entscheidungsfreiheit. Seine Rationalisierungsentscheidung sei gerichtlich nicht überprüfbar.
Die Lösung:
1. Kündigungsschutzgesetz
Auf das Arbeitsverhältnis der Kläger fand das Kündigungsschutzgesetz mit dem allgemeinen Kündigungsschutz Anwendung, weil sie länger als 6 Monate im Betrieb beschäftigt waren und im
Unternehmen mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Würde das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung finden, so kann der Arbeitgeber Gilbert Bécaud das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der
arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist jederzeit kündigen.
2. Betriebsbedingte Kündigung
Die betriebsbedingte Kündigung setzt neben einer richtigen Sozialauswahl voraus, daß entsprechende Arbeitsplätze auf Dauer weggefallen sind und eine anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeit auf freien Arbeitsplätzen innerhalb des Betriebes oder eines anderen Betriebes im Unternehmen nicht besteht. Im vorliegenden Falle meint der Arbeitgeber, daß 2 Arbeitsplätze
weggefallen sind dadurch, daß er die Arbeitsvorbereitung aufgelöst hat. Der Arbeitgeber schafft sich durch seine eigene Entscheidung selbst die Bedingung für den Wegfall der Arbeitsplätze und den
betriebsbedingten Kündigungsgrund. Nach den allgemeinen Regeln des BGB (§ 162 BGB) kann sich normalerweise derjenige, der einen Bedingungseintritt herbeiführt, sich nicht zu seinen Gunsten auf diesen
Bedingungseintritt berufen, da er selbst die Ursache gesetzt hat. Dies ist im Fall der betriebsbedingten Kündigung anders. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber durch eine
unternehmerische Entscheidung den Wegfall von Arbeitsplätzen selbst veranlassen und sich dann im Kündigungsschutzprozeß darauf berufen.
3. Unternehmerische Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht hat anerkannt, daß ein Arbeitgeber im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit selbst darüber entscheiden kann, ob er einen Betrieb führt, was er
herstellt oder welche Dienstleistung er erbringt und mit wie vielen Arbeitnehmern er seinen Betriebszweck erreichen möchte. Es ist nicht Aufgabe der Arbeitsgerichte, Arbeitgebern in Bezug auf Betriebswirtschaft,
Technik und Finanzwirtschaft vorzuschreiben, wie sie ihren Betrieb führen wollen. Im Rahmen dieser unternehmerischen Entscheidungsfreiheit kann ein Arbeitgeber auch entscheiden, ob er Arbeitsplätze zusätzlich
schafft oder Arbeitsplätze abbaut. Der Abbau von Arbeitsplätzen kann auf außerbetrieblichen Gründen oder auf innerbetrieblichen Gründen beruhen. Außerbetriebliche Gründe können vorliegen bei Auftragsrückgang,
schlechter Konjunktur, Umsatzeinbruch, Änderungen der Technik, der Gesetze, der Kostenbelastung. Innerbetriebliche Gründe können Rationalisierungsentscheidungen sein, Stillegungsentscheidungen, oder
Umstrukturierungsentscheidungen, aber auch Produkt- und Innovationsentscheidungen. Die unternehmerische Entscheidung unterliegt nach der Rechtsprechung nur der Mißbrauchskontrolle. Sie ist nur zu überprüfen
darauf, ob sie in grober Weise unsachlich ist, ob sie willkürlich oder ob sie rechtsmißbräuchlich ist.
4. Abbau von Arbeitsplätzen
Wenn die unternehmerische Entscheidung den Abbau von Arbeitsplätzen beinhaltet, so kann dies deshalb richtig sein, weil auch die Arbeit tatsächlich weggefallen ist, z.B. durch
Auftragsrückgang, durch Wegfall von Kunden, aber auch durch Outsourcing und Verlagerung auf einen fremden Unternehmer. Wird dagegen im Rahmen einer unternehmerischen Entscheidung der Abbau von Arbeitsplätzen
betrieben und die Arbeit dieser Arbeitsplätze auf andere im Betrieb verbliebene Arbeitnehmer verteilt, so akzeptiert die Rechtsprechung die alleinige Begründung, es läge eine unternehmerische Entscheidung vor,
nicht. Vielmehr hat der Arbeitgeber in diesem Falle zur Begründung einer betriebsbedingten Kündigung darzulegen, – welche konkreten Arbeitsaufgaben – mit welchen Arbeitszeitvolumen
– auf welche Arbeitnehmer – ab einem bestimmten Zeitpunkt übertragen worden sind. Der Arbeitgeber hat weiter darzulegen, welche Arbeitsaufgaben mit welchem Arbeitszeitvolumen bisher die verbliebenen
Arbeitnehmer durchgeführt haben, auf die nunmehr weitere Arbeitsaufgaben übertragen werden sollen. Es ist dann zu prüfen, ob diese Neuverteilung der Arbeitsaufgaben auf die verbliebenen Arbeitnehmer und damit
die bisherige und zukünftige Entwicklung der Arbeitsmenge ohne überobligatorische Leistungen und ohne übermäßige Belastung des verbliebenen Personals überhaupt möglich ist. Nur dann wird die unternehmerische
Entscheidung von den Arbeitsgerichten akzeptiert. Achtung: Dies bedeutet, daß Arbeitgeber Gilbert Bécaud nicht einfach behaupten kann, er werde die Arbeiten von Isaac Singer und Erasmus auf andere Mitarbeiter
verteilen. Die Gerichte prüfen auch, ob diese unternehmerische Entscheidung tatsächlich realistisch ist und umgesetzt werden kann. Nur wenn der Arbeitgeber diesen Nachweis erbringt, wird in diesem Falle seine
Kündigung rechtswirksam sein.
>> Nächste Folge << Zurück zur Übersicht
|
|
|
Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle: Reine Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung. Wichtiger Hinweis:
Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
|
Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
|
Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
|
|
|
|
|
|
Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
|
Folgenübersicht:
|
1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
228 - 240: Neue Sperrzeitprobleme Beendigungsvergleich
241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
253 - 264 Hitzeregelungen Internetnutzung (Kündigung)
265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
|
|
|