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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

AGG IX – Einstellungsgespräch und Auswahlentscheidung

Frage:

    Gerade beim Einstellungsgespräch muß jede Seite ein Bild über das zu erwartende Arbeitsverhältnis und die Arbeitsbedingungen bekommen. Deshalb ist das Interesse an einer möglichst weitreichenden Information und an einem intensiveren Kennenlernen durchaus groß. Darf im Rahmen des AGG gleichwohl so gefragt werden, wie es dem Arbeitgeber in den Sinn kommt?

Der Fall:

    Der Arbeitgeber Alfred Nobel hat sich bei der Stellenausschreibung zurückgehalten. Beim Einstellungsgespräch möchte er aber vom Bewerber Genaueres wissen, insbesondere sein Lebensalter, ob er in der Bundeswehr gedient hat, ob sie schon einen freiwilligen sozialen Dienst absolviert hat, ob eine Schwangerschaft bzw. eine Elternzeit in absehbarer Zeit geplant ist oder nicht.
    Der Arbeitgeber Hermann Claudius möchte wissen, ob die Bewerber aus einem religiösen, insbesondere christlichen Elternhaus stammen und eine entsprechende christliche Erziehung genossen haben, ob die Bewerber in ehelicher Gemeinschaft oder in einer anerkannten Lebensgemeinschaft leben, wieviel Scheidungen zurückliegen und wie es mit dem Kindersegen aussieht.
    Die abgelehnten Bewerber fragen sich, ob alle diese Fragen zulässig waren.

Die Lösung:

1. Einstellung

    Das AGG begrenzt den Entscheidungsspielraum des Arbeitgebers auch bei der Einstellung. Der Arbeitgeber darf keine diskriminierenden Auswahlentscheidungen vornehmen. Sein Recht, Bewerber nach sachlichen, arbeitsplatzbezogenen Kriterien, Zeugnisnoten, Auslandserfahrung, Sprachkenntnissen, aber auch Team- und Durchsetzungsfähigkeit zu treffen, wird dagegen vom Gesetz nicht berührt. Die Abfrage privater Kriterien ist dagegen höchst problematisch.

2. Einstellungsgespräche

    Beim Einstellungsgespräch klären sich viele Dinge, die in einer Stellenausschreibung nichts zu suchen haben.
    Das Einstellungsgespräch dient der Informationsvermittlung, aber auch dem persönlichen Eindruck vom Bewerber einerseits und dem Arbeitgeber bzw. den Arbeitsbedingungen andererseits. Beim Einstellungsgespräch werden Kriterien wie Körpergröße, Farbe der Augen, Kommunikationsfähigkeit, Ausdrucksweise, Sprachkenntnisse etc. relativ schnell offenkundig. Das Vorstellungsgespräch hat deshalb in den Zeiten des AGG eine noch größere Bedeutung als früher.

3. Fragerecht

    Im Rahmen des Vorstellungsgesprächs darf der Arbeitgeber den Bewerbern alle die Fragen stellen, die deren Eignung für die ausgeschriebene Stelle betreffen. Soweit sachliche Kriterien aus dem Bereich der Ausbildung, der Fähigkeiten, des Berufsbildes und der ausgeschriebenen Stelle betroffen sind, ist das Fragerecht nicht begrenzt.
    Dagegen sollten Fragen im Bereich der Diskriminierungsmerkmale möglichst unterlassen werden. Wenn die Arbeitgeberseite solche Fragen stellt, muß zwar der Bewerber in irgendeiner Weise antworten. Bei einer Ablehnung können jedoch solche Fragen ein Indiz für eine Diskriminierung darstellen. Aufgrund der Beweislastumkehr bei Indizwirkung nach § 22 AGG kann das für den abgelehnten Bewerber einen Entschädigungsanspruch auslösen.
    Achtung: Schon bisher waren diverse Fragen nicht zulässig, wie z.B.
    – die Frage nach der Schwangerschaft,
    – die Frage nach Religions- und Parteizugehörigkeit außerhalb von Tendenzunternehmen,
    – die Frage nach sexuellen Vorlieben und Gewohnheiten,
    – die Frage nach Ehe oder Lebensgemeinschaft, nach Homosexualität oder Heterosexualität.
    Nach dem AGG muß das Fragerecht noch sensibler gehandhabt werden. Die Frage nach einer Behinderung ist zukünftig nur noch zulässig, wenn das Fehlen der Behinderung entscheidende Voraussetzung für eine bestimmte Tätigkeit ist.
    Die Frage nach einem christlich-religiösen Elternhaus ist für Nichtchristen diskriminierend, ebenso die Frage nach dem Dienst in der Bundeswehr.

4. Personalfragebögen

    In vielen Betrieben wird vom Bewerber schon vor dem Vorstellungsgespräch oder im Rahmen dieses Gespräches verlangt, daß er einen Personalfragebogen mit einer Vielzahl von Fragen ausfüllt. Auch dieser Personalfragebogen muß selbstverständlich in seiner Fragestellung diskriminierungsfrei sein. Andernfalls hat der Arbeitgeber ein schriftliches Indiz für eine Diskriminierung in die Welt gesetzt.
    Tip: Im Allgemeinen wird mittlerweile empfohlen, vom Bewerber nicht bereits im Vorhinein durch Personalfragebögen oder auf andere Weise die Angabe seines Lebensalters oder die Übersendung eines Lichtbildes zu verlangen. Dies könnte als Altersdiskriminierung oder Diskriminierung wegen Rasse und ethnischer Herkunft ausgelegt werden.
    Ergibt sich das Alter ohnehin aus dem Lebenslauf oder den Zeugnissen, übersendet der Bewerber von sich aus ein Lichtbild, so ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.

5. Auswahlentscheidung

    Es ist dringend zu empfehlen, die Personalentscheidung bzw. Auswahlentscheidung in gerichtsfester Weise, also nachvollziehbar und beweisbar zu dokumentieren. Dies gilt sowohl für den Bewerber wie auch für die vergleichbare, aber abgelehnten Mitbewerber. Nur so kann später vor Gericht ein objektiver Vergleich ermöglicht werden.
    Achtung: Um objektive Abgrenzungskriterien zu besitzen, empfiehlt es sich dringend, vor der Stellenbesetzung zunächst ein qualifiziertes Anforderungsprofil zu erstellen, nach dem dann die Auswahlentscheidung getroffen wird.
    Bei der Auswahlentscheidung sollte ein möglichst objektiver Maßstab zugrundegelegt werden anhand der Kriterien des Stellenprofils. Dabei sollten meßbare Kriterien, wie Schul- und Examensnoten, Sprachkenntnisse, fachspezifische Abschlüsse und ähnliches herangezogen werden. Auch „Softskills“, wie z.B. Kommunikationsfähigkeit, Ausdrucksweise, Teamfähigkeit, sind zulässige Kriterien der Personalauswahl. Gerade Assessment-Center dienen dazu, solche „Softskills“ festzustellen und zur Beweissicherung zu dokumentieren.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug