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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 341: Schutz der behinderten Menschen XII
Klagefrist/keine Pflicht zur Mehrarbeit/Zusatzurlaub

Frage:

    Wenn ich als behinderter Bewerber abgelehnt wurde oder eine Beförderung nicht stattfand und ich meine, Schadenersatzansprüche zu besitzen, muß ich dann innerhalb einer bestimmten Frist klagen? Wenn ich schwerbehindert bin und eine Stelle habe, muß ich bei Anweisung des Arbeitgebers Zusatzarbeit/Mehrarbeit/Überstunden ableisten? Wie hoch ist der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte?

Der Fall:

    Arbeitgeber Louis Corinth hat den Bewerber Isaac Stern abgelehnt. Im Zuge der Bewerbung von Stern hat Arbeitgeber Corinth weder den Vorsitzenden der Schwerbehindertenvertretung Haile Selassie unterrichtet, noch den Betriebsratsvorsitzenden Ernest Hemmingway. Mit den Gremien Schwerbehindertenvertretung im Betriebsrat hat der Arbeitgeber Corinth auch nicht über diese Bewerbung beraten. Issac Stern ist nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen worden. Seine Unterlagen erhält er kommentarlos zurück. Isaac Stern denkt, daß er sich Zeit lassen kann. Im Augenblick naht Weihnachten und er möchte friedlich sein. Er denkt, daß es ausreiche, den Arbeitgeber Corinth im nächsten Frühjahr auf Schadenersatz zu verklagen.
    Arbeitgeber Corinth hat aber viel Arbeit. Deswegen gibt er dem schwerbehinderten Mitarbeiter Hans Fallada die Anweisung, in den nächsten drei Wochen jeweils 60 Stunden/Woche an 6 Arbeitstagen zu arbeiten. Diese Überstunden sollen auch vergütet werden. Hans Fallada möchte aber in seiner Freizeit sich lieber seinem Hobby widmen und Weihnachtskrippen schnitzen. Muß er sich auf Überstunden einlassen? Hans Fallada möchte außerdem noch Schwerbehindertenzusatzurlaub erhalten. Arbeitgeber Louis Corinth lehnt ab, weil er lieber die Arbeitskraft des Hans Fallada nutzt, als den Bewerber Isaac Stern einzustellen.

Die Lösung

1. Frist zur Klage und Geltendmachung

    In § 15 Abs. 4 AGG ist für alle Forderungen auf Schadenersatz/Entschädigung eine Geltendmachungsfrist gesetzlich geschaffen worden. Danach müssen diese Ansprüche binnen einer Frist von 2 Monaten schriftlich geltend gemacht werden, wenn ein Tarifvertrag nichts anderes sagt. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder des beruflichen Aufstiegs mit Zugang der Ablehnung, sonst mit dem Zeitpunkt, in dem Bewerber und Beschäftigte von ihrer Benachteiligung Kenntnis erlangen.
    Die vom Gesetzgeber geforderte schriftliche Geltendmachung setzt nicht voraus, daß der Schadenersatzanspruch beziffert werden muß. Er setzt aber voraus, daß die schriftliche Geltendmachung beim Arbeitgeber zugeht und im Bestreitensfalle von der diskriminierten Person bewiesen wird.
    In der weiteren, ergänzenden Vorschrift des § 61 b Arbeitsgerichtsgesetz hat der Gesetzgeber dann bestimmt, daß eine solche Klage auf Entschädigung nach § 15 AGG innerhalb einer Frist von 3 Monaten erhoben werden muß, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist.
    Lehnt also der Arbeitgeber nach schriftlicher Geltendmachung den Anspruch ab oder äußert er sich nicht, so muß in 3 Monaten nach Zugang der schriftlichen Geltendmachung Klage erhoben werden. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber nachweislich die Forderung anerkannt hat.
    Machen mehrere Bewerber wegen Benachteiligung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses oder bei einer Beförderung eine Entschädigung nach § 15 AGG gerichtlich geltend, so wird auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsgericht für alle Klagen zuständig, bei dem die erste Klage erhoben wurde.

2. Mehrarbeit/Überstunden

    Nach § 124 SGB IX müssen schwerbehinderte Menschen auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt werden.
    Dabei muß das Verlangen der schwerbehinderten Menschen auf Freistellung von Mehrarbeit nicht auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt werden.
    Mehrarbeit i.S.d. § 124 SGB IX ist diejenige Arbeit, welche über die normale gesetzliche Arbeitszeit von 8 Stunden werktäglich hinausgeht. Im Gesetz selbst ist der Begriff der Mehrarbeit nicht definiert.
    Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist jedoch als Mehrarbeit die Arbeit anzusehen, welche über die normale gesetzliche Arbeitszeit von 8 Stunden werktäglich hinausgeht. Dabei hat das BAG klargestellt, daß die individuell vereinbarte oder tariflich geregelte Arbeitszeit keinen Maßstab für die Bestimmung des Begriffs der Mehrarbeit i.S.d. § 124 SGB IX darstellt.
    Achtung: Da das Arbeitszeitgesetz und damit auch das Bundesarbeitsgericht von einer gesetzlichen Arbeitszeit von 6 Werktagen ausgeht, betrifft § 124 SGB IX nicht das Verlangen des Arbeitgebers Louis Corinth, daß Hans Fallada auch am Samstag 8 Stunden arbeitet.
    Die Frage ist nur, ob Fallada aufgrund des Arbeitsvertrages dazu verpflichtet ist. Sieht der Arbeitsvertrag eine 5-Tage-Woche vor, so kann der Arbeitgeber die Arbeit am 6. Werktag nur bei Vorliegen besonderer Gründe, z.B. in Not- oder dringenden Eilfällen verlangen.
    Beachte: Teilzeitarbeitnehmer sind generell weder zur Erbringung von Überstunden, noch zur Ableistung von Mehrarbeit über werktäglich 8 Stunden hinaus verpflichtet. Teilzeitarbeitnehmer haben eine ganz bestimmte Wochenarbeitszeit an ganz bestimmten Wochentagen vereinbart. Der Arbeitgeber kann von ihnen nicht im Wege des Direktionsrechts verlangen, daß sie über diese Zeit hinaus arbeiten.

3. Bereitschaftsdienst

    Als Arbeitszeit i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 Arbeitszeitgesetz gilt seit der Neufassung des Gesetzes auch der Bereitschaftsdienst i.S. von Anwesenheitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst mit einem festgelegten Aufenthaltsort.
    Insbesondere bei Nachtbereitschaft in Pflegediensten, Krankenhäusern etc. handelt es sich um Arbeitszeit i.S.d. Arbeitszeitgesetzes wie auch im Sinne des § 124 SGB IX. Diese Arbeitszeit ist auf die gesetzliche Höchstarbeitszeit anzurechnen.

4. Zusatzurlaub

    Schwerbehinderte Menschen haben Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von 5 Arbeitstagen im Urlaubsjahr. Verteilt sich die regelmäßige Arbeitszeit des schwerbehinderten Menschen auf mehr als 5 Arbeitstage in der Kalenderwoche (6 Tage) oder verringert sich die Arbeitszeit auf weniger als 5 Arbeitstage, so erhöht oder verringert sich der Zusatzurlaub entsprechend.
    Beispiel:
    – Reguläre Arbeit an 6 Wochentagen, Zusatzurlaub ebenfalls 6 Arbeitstage.
    – Reguläre Teilzeitarbeit an 2 Wochentagen. Zusatzurlaub beträgt 2 Arbeitstage/Wochentage.
    Die Weigerung von Louis Corinth, Zusatzurlaub zu gewähren, ist gesetzeswidrig.
     

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug