|
|
|
Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
|
|
|
|
Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
|
|
|
Folge 342: Annahmeverzug I
Frage:
Wenn ich gekündigt bin, weil mein Arbeitgeber keine Arbeit für mich hat, bin ich dann verpflichtet, in der Kündigungsfrist oder danach eine andere, auch geringwertigere Arbeit anzunehmen? Wenn ich den
Kündigungsschutzprozeß gewinne, muß mir dann der Arbeitgeber den gesamten Lohn nachzahlen oder darf er mir das verrechnen, was ich durch andere Arbeit verdient habe oder hätte verdienen können?
Der Fall:
Spediteur Edmund Hillary will das Mount Everest Base Camp mit Nahrungsmitteln und alpiner Literatur versorgen. In der Hoffnung auf die neu gebaute Straße stellt er den brotlosen Schriftsteller Uwe Johnson als
Kraftfahrer ein. Nachdem der Bauunternehmer Francesco Petrarca erfolgreich eine Straße auf den Provencalischen Olymp Mont Ventoux gebaut hatte, baut er jetzt auch die neue Straße zum Mount Everest Base Camp.
Wegen des legendären Fleißes der Deutschen stellte er den Straßenarbeiter Max Liebermann ein. Doch statt Schotter auf die Piste aufzubringen, malt Liebermann lieber berauscht die phantastischen Himalaya-Szenen
in Öl. Petrarca kündigt deshalb Liebermann. Da Liebermann vor dem Arbeitsgericht Kathmandu klagt, bietet Petrarca ihm nach Ablauf der Kündigungsfrist eine Prozeßbeschäftigung als Straßenarbeiter für die Dauer
des Kündigungsschutzprozesses an. Liebermann malt trotzdem lieber Bilder und verkauft diese, da er als Impressionist damit mehr Geld verdienen kann, als im Straßenbau. Als Liebermann den Prozeß gewinnt und von
Petrarca den Lohn nachgezahlt haben wollte, verrechnet Petrarca die Maleinkünfte mit dem Arbeitslohn und verweigert jede Zahlung. Liebermann ist irritiert. Da der Straßenbau nicht vorankommt und der einzige
LKW von Sir Hillary von räuberischen Sherpas gestohlen wurde, spricht Hillary dem Kraftfahrer Uwe Johnson eine Änderungskündigung aus und bietet ihm an, als Lagerarbeiter in Kathmandu weiterzuarbeiten. Mangels
Straße und LKW soll Johnson bereits in der Kündigungsfrist im Lager arbeiten. Das verweigert Uwe Johnson. Er besteht darauf, daß er in der Kündigungsfrist als LKW-Fahrer eingesetzt wird. Andernfalls sitzt er
lieber träumend am Durbar Place in Kathmandu und schreibt nepalesische Kurzgeschichten. Als Johnson für die Kündigungsfrist Lohn verlangt, um sich während des Geschichtenschreibens den Magen mit Hühner-Curry zu
füllen, verweigert Sir Hillary die Lohnzahlung. Zu Recht?
Die Lösung
1. Ohne Arbeit kein Lohn
Der Arbeitsvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag. Hieraus folgt, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihre vertraglichen Pflichten erfüllen müssen, um die Gegenleistung der anderen Seite zu bekommen. Arbeitet der
Arbeitnehmer nicht, so hat er generell keinen Vergütungsanspruch nach dem Grundsatz: Ohne Arbeit kein Lohn. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, aus welchem Grund die Arbeitsleistung nicht erbracht wird, ob der
Arbeitnehmer nicht will oder nicht arbeiten kann oder ihm die Arbeit aus anderen Gründen unmöglich wird. Soweit der Arbeitnehmer nicht arbeiten will oder die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung weder vom
Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer zu vertreten ist, verliert der Arbeitnehmer grundsätzlich den Anspruch auf die Arbeitsvergütung. Von diesem Grundsatz gibt es allerdings Ausnahmen.
2. Ausnahmen
Die Rechtsprechung und der Gesetzgeber haben im Laufe der letzten 100 Jahre von dem Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ gewisse, gleichwohl aber eingeschränkte Ausnahmen gemacht: – Personenbedingte Verhinderung.
In § 616 BGB hat der Gesetzgeber sehr frühzeitig bereits für Angestellte vorgesehen, daß der zur Dienstleistung Verpflichtete seinen Erfüllungsanspruch dann nicht verliert, wenn er für eine verhältnismäßig nicht
erhebliche Zeit durch einen nicht in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an seiner Dienstleistung verhindert ist. Das war zunächst der Fall der Krankheit. Es können aber auch andere Fälle
darunter fallen, z.B. die Ladung zu Gericht als Zeuge, die notwendige Pflege eines kranken Kindes, der Tod eines nahen Angehörigen, Eheschließung, Niederkunft der Ehefrau, Meldung bei der Agentur für Arbeit im
Fall der Kündigung, kurzzeitige Verhaftung trotz Unschuld. Darunter fällt nicht: Fehlen auf der Arbeit oder Zuspätkommen wegen allgemeiner Straßenverkehrsstörungen, Stau, Naturkatastrophen,
Eisglätter, Schneeverwehungen, Fahrverbot aus Umweltgründen. – Entgeldfortzahlung im Krankheitsfall. Da § 616 BGB für den Fall der Krankheit nur auf Angestellte angewandt wurde und Arbeiter ohne
Krankenlohn blieben, hat der Gesetzgeber zunächst das Lohnfortzahlungsgesetz für Arbeiter geschaffen. Mittlerweile gilt seit 1994 das Entgeltfortzahlungsgesetz im Krankheitsfall sowohl für Arbeiter wie für
Angestellte. – Feiertagslohn. Nach § 2 Entgeltfortzahlungsgesetz muß der Arbeitgeber auch die Arbeitszeit bezahlen, die in Folge eines gesetzlichen Feiertags ausfällt. Diese Feiertagslohnzahlungspflicht
besteht auch bei Teilzeitarbeitsverhältnissen! – Urlaubslohn. Nach dem Bundesurlaubsgesetz von 1963 hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub von 4 Wochen. –
Beschäftigungsverbot Schwangerschaft. In den §§ 2 und 3 Mutterschutzgesetz hat der Gesetzgeber für werdende Mütter Beschäftigungsverbote erlassen, wenn Leben und Gesundheit von Mutter oder Kind bei der Fortdauer
der Beschäftigung gefährdet ist. Nach § 11 Mutterschutzgesetz muß der Arbeitgeber für die Zeit dieser Beschäftigungsverbote mindestens den Durchschnittsverdienst der letzten 13 Wochen oder 3 Monate bezahlen.
– Stillzeit. Nach § 7 Mutterschutzgesetz muß der Arbeitgeber stillenden Müttern auf Verlangen die erforderliche Stillzeit gewähren. Durch die Gewährung der Stillzeit darf ein Verdienstausfall nicht entstehen.
Die Stillzeit muß bezahlt werden. Sie darf von stillenden Müttern nicht vor- oder nachgearbeitet werden und sie darf nicht auf festgesetzte Ruhepausen angerechnet werden. – Betriebsratstätigkeit. Nach § 37
Betriebsverfassungsgesetz müssen die Mitglieder des Betriebsrates von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgeltes befreit werden, soweit es zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben
erforderlich ist. Müssen aus betriebsbedingten Gründen Betriebsratstätigkeiten außerhalb der Arbeitszeit durchgeführt werden, so muß auch diese Zeit vom Arbeitgeber bezahlt werden. – Annahmeverzug. Von
Annahmeverzug spricht der Gesetzgeber in § 615 BGB, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeit in Verzug gerät, weil der die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annehmen will oder nicht annehmen kann.
In diesen Fällen kann der Arbeitnehmer trotz der nichtgeleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muß sich allerdings anderweitigen Erwerb anrechnen
lassen.
>> Nächste Folge << Zurück zur Übersicht
|
|
|
Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle: Reine Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung. Wichtiger Hinweis:
Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
|
Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
|
Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
|
|
|
|
|
|
Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
|
Folgenübersicht:
|
1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
228 - 240: Neue Sperrzeitprobleme Beendigungsvergleich
241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
253 - 264 Hitzeregelungen Internetnutzung (Kündigung)
265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
|
|
|