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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 339: Schutz der behinderten Menschen X
Höhe des Schadenersatzes/Besonderer Entschädigungsanspruch

Frage:

    Ich bin bei der Einstellung abgelehnt worden, als der Arbeitgeber erfuhr, daß ich Schwerbehindert bin. Nur wegen meiner Schwerbehinderung bin ich nicht befördert worden. Habe ich Anspruch auf Schadenersatz? Selbst wenn ich nie eine Chance zur Einstellung gehabt hätte. Ich bin trotzdem tief getroffen und in meinem Persönlichkeitsrecht verletzt, weil mich der Arbeitgeber mit der Begründung ablehnte, Schwerbehinderte wolle er nicht in seinem Laden. Muß ich mir das gefallen lassen?

Der Fall:

    Der schnittige Arbeitgeber Simon Bolivar betreibt ein Sicherheitsunternehmen. Er überwacht vor allem die Rumdestillen und Zigarrenfabriken Kubas, den Panamakanal und die Ölfelder Venezuelas.
    Der bei Bolivar seit Jahrzehnten beschäftigte Wachmann Gustav Heinemann hat sich für das neue Projekt in Venezuela als Vorarbeiter und Niederlassungsleiter auf einer Ölförderplattform beworben. Der schneidige Bolivar lehnt eine Beförderung des vor Gicht gekrümmten Heinemanns ab und begründet dies mit dem Alter und den gichtigen Fingern und Gliedern von Heinemann. Der krank gebeugte Heinemann findet diese Behandlung unfair und fragt sich, ob er Schadenersatz verlangen kann.
    Für die neuen Projekte braucht Simon Bolivar dringend neue Mitarbeiter. Der durch lange Festungshaft gesundheitlich ruinierte Alexandre Dumas bewirbt sich. Bolivar lehnt ihn mit der Begründung ab, Schwerbehinderte und Krüppel könnte er nicht in Panama oder Kuba gebrauchen.
    Der Revolverheld Edward Hopper hätte gute Chancen bei Bolivar. Der Vertrag war quasi perfekt. Als Bolivar aber von den Prostataproblemen Hoppers erfuhr, seiner Schwerbehinderung und davon, daß Hopper ein Dauer-Pampers-Träger ist, wirft Bolivar den Hopper wieder raus. Pampers-Träger im Regenwald kann Bolivar nicht gebrauchen.
    Dumas und Hopper sinnen auf Rache und wollen Schadenersatz. Zu Recht?

Die Lösung:

1. Kein Erfüllungsanspruch

    Die diskriminierten Bewerber Heinemann, Dumas und Hopper würden am liebsten die von ihnen begehrte neue Arbeitsstelle bekommen. Dann wären sie zufrieden. Der Gesetzgeber hat jedoch ausdrücklich sowohl Bewerbern für eine Arbeitsstelle, wie auch betriebsangehörigen Mitarbeitern bei Beförderungen etc. keinen Anspruch auf die von ihnen gewünschte Stelle gegeben. Es gibt kein „Erfüllungsinteresse“.
    Vielmehr hat der Gesetzgeber in § 15 Abs. 6 AGG bestimmt, daß ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG (wegen Behinderung, Alter, Geschlecht, Weltanschauung, Religion etc.) keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, eines Berufsausbildungsverhältnisses, eines beruflichen Aufstieges, einer Versetzung oder einer Beförderung gibt. Etwas anderes gilt nur, wenn ein Einstellungs- oder Beförderungsanspruch sich aus einer gesonderten Regelung ergeben würde.
    Der Gesetzgeber hat damit alle Bewerber für Stellen allein auf die Möglichkeit des Schadenersatzes oder Entschädigung verwiesen.

2. Obergrenze für Schadenersatz

    In § 15 Abs. 1 AGG hat der Gesetzgeber den Arbeitgeber für den Fall der Diskriminierung zwar zu Zahlung von Schadenersatz verpflichtet. Er hat jedoch keine Obergrenze im Gesetz festgelegt. Diese zu finden ist unter Auslegung des Gesetzes und der allgemeinen Grundsätze alleine Aufgabe der Rechtsprechung.
    Einigkeit besteht darüber, daß der Gesetzgeber keine unbeschränkte Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers wollte. Selbst im US-amerikanischen Recht ist für solche Fälle die Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers auf maximal 3 Jahresgehälter begrenzt. Die Bemessung der Schadenersatzhöhe muß im Zusammenhang mit einschlägigen EG-Richtlinie 76/207/EWG beurteilt werden. Danach sind folgende Dinge wichtig:
    – Abschreckende Wirkung: Nach den Vorgaben der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien und der Rechtsprechung des EuGH muß die Sanktion eine abschreckende Wirkung haben. Daraus folgt, daß die Höhe der Schadenersatzpflicht geeignet sein muß, den Arbeitgeber zu gesetzmäßigem Verhalten in der Zukunft anzuhalten.
    – Ausgleich für materiellen Schaden, der dem Bewerber wegen der Diskriminierung entsteht.
    – Wichtig ist auch der Grad der Verantwortlichkeit und des Verschuldens des Arbeitgebers für die Diskriminierung.
    – Die Schwere der Verletzung und des materiellen oder des immateriellen Schadens, die Tiefe der psychischen Beeinträchtigung des Diskriminierten spielen eine Rolle.
    – In vielen Fällen wird der Schadenersatz an der Höhe der Vergütung als geeigneter Anknüpfungspunkt bemessen.
    – Letztendlich muß auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers in Betracht gezogen werden.
    Aus all diesen Punkten folgert eine Meinung, daß der Schadenersatz begrenzt werden könne auf die Vergütung, die bei einer fiktiven Einstellung und bis zum 1. Kündigungszeitpunkt und dem Ablauf der Kündigungsfrist zu zahlen gewesen wäre.
    Diese Berechnung nach der Theorie „des rechtmäßigen Alternativverhaltens“ ist aber problematisch, weil die dadurch zu berechnende Schadenersatzhöhe teilweise so gering ist, daß eine abschreckende Wirkung nicht erzielt wird.
    Letztendlich muß die Rechtsprechung deshalb Regeln für die Berechnung der Höhe der Schadenersatzzahlung noch genau festlegen.

3. Entschädigungspflicht nach § 15 Abs. 2 AGG

    Der Gesetzgeber hat neben dem Schadenersatzanspruch der diskriminierten Person noch einen zusätzlichen Entschädigungsanspruch als Spezialregelung in § 15 Abs. 2 AGG geschaffen.
    Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Wird ein Bewerber wegen seiner Behinderung benachteiligt einerseits, wäre er aber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl andererseits nicht eingestellt worden, so ist die Entschädigungshöhe auf maximal 3 Monatsgehälter begrenzt.
    Diese Entschädigungspflicht des Arbeitgebers bei Diskriminierung wegen Behinderung ist – im Gegensatz zum Schadenersatz nach § 15 Abs. 1 AGG – nicht von einem Verschulden oder Vertretenmüssen des Arbeitgebers abhängig.
    Es handelt sich hierbei letztlich um einen Anspruch auf Schmerzensgeld, das vom Arbeitgeber bei einer Diskriminierung z.B. wegen Behinderung selbst dann zu zahlen ist, wenn ihn kein Verschulden trifft und wenn der Bewerber auch aus anderen Gründen nicht eingestellt worden wäre.
    Die Diskriminierung stellt eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes dar. Die diskriminierte Person erhält die Entschädigung bzw. das Schmerzensgeld wegen dieser Persönlichkeitsrechtsverletzung (sog. immaterieller Schaden).
    Die Höhe dieses Schmerzensgeldanspruches hängt von der Schwere der Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes oder der körperlichen Unversehrtheit ab. Auch hier ist wieder zu berücksichtigen, daß nach den Vorgaben der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien von der Entschädigungshöhe eine abschreckende Wirkung ausgehen muß. Die Höhe muß geeignet sein, den Arbeitgeber oder andere Personen von ähnlichen Diskriminierungen zukünftig abzuhalten.
    Achtung: Als Besonderheit ist die Höhe der Entschädigung auf maximal 3 Monatsgehälter begrenzt worden, wenn feststeht, daß die diskriminierte Person auch ohne die Benachteiligung die Stelle nicht erhalten hätte.
    Daraus folgt, daß der Bewerber Alexandre Dumas einen Entschädigungsanspruch auf maximal 3 Monatslöhne besitzt, da er durch seine körperlichen Gebrechen von Anfang an keine Chance zur Einstellung hatte. Der Bewerber Edward Hopper dagegen wäre eingestellt worden. Seine Entschädigungsforderung kann weitaus höher sein.
     

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug