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Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
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Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
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Schutz der behinderten Menschen IX Schadenersatz bei Diskriminierung
Frage:
Ich bin bei der Einstellung abgelehnt worden, als der Arbeitgeber erfuhr, daß ich Schwerbehindert bin. Nur wegen meiner Schwerbehinderung bin ich nicht befördert worden. Habe ich Anspruch auf Schadenersatz? Selbst
wenn ich nie eine Chance zur Einstellung gehabt hätte. Ich bin trotzdem tief getroffen und in meinem Persönlichkeitsrecht verletzt, weil mich der Arbeitgeber mit der Begründung ablehnte, Schwerbehinderte wolle er
nicht in seinem Laden. Muß ich mir das gefallen lassen?
Der Fall:
Der schnittige Arbeitgeber Simon Bolivar betreibt ein Sicherheitsunternehmen. Er überwacht vor allem die Rumdestillen und Zigarrenfabriken Kubas, den Panamakanal und die Ölfelder Venezuelas. Der bei Bolivar seit
Jahrzehnten beschäftigte Wachmann Gustav Heinemann hat sich für das neue Projekt in Venezuela als Vorarbeiter und Niederlassungsleiter auf einer Ölförderplattform beworben. Der schneidige Bolivar lehnt eine
Beförderung des vor Gicht gekrümmten Heinemanns ab und begründet dies mit dem Alter und den gichtigen Fingern und Gliedern von Heinemann. Der krank gebeugte Heinemann findet diese Behandlung unfair und fragt sich,
ob er Schadenersatz verlangen kann. Für die neuen Projekte braucht Simon Bolivar dringend neue Mitarbeiter. Der durch lange Festungshaft gesundheitlich ruinierte Alexandre Dumas bewirbt sich. Bolivar lehnt ihn
mit der Begründung ab, Schwerbehinderte und Krüppel könnte er nicht in Panama oder Kuba gebrauchen. Der Revolverheld Edward Hopper hätte gute Chancen bei Bolivar. Der Vertrag war quasi perfekt. Als Bolivar aber
von den Prostataproblemen Hoppers erfuhr, seiner Schwerbehinderung und davon, daß Hopper ein Dauer-Pampers-Träger ist, wirft Bolivar den Hopper wieder raus. Pampers-Träger im Regenwald kann Bolivar nicht gebrauchen.
Dumas und Hopper sinnen auf Rache und wollen Schadenersatz. Zu Recht?
Die Lösung:
1. Schadenersatzpflicht
Die Europäischen Richtlinien verbieten seit Jahren die Benachteiligung von schwerbehinderten Menschen wie auch von sonstigen behinderten Menschen wegen ihrer Behinderung. Der Europäische Gesetzgeber fordert von
den Nationalstaaten Gesetze, nach denen alle Diskriminierer mit empfindlichen und wirksamen Schadenersatzpflichten belegt werden müssen. Auch der deutsche Gesetzgeber hat dies umgesetzt. Zunächst in § 81 SGB
IX. Mittlerweile hat der Gesetzgeber die Schadenersatzregelungen wegen Diskriminierung aus verschiedenen Gründen im allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zusammengefaßt. § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG regelt die
Schadenersatzpflicht und eine spezielle Entschädigungspflicht. § 22 AGG regelt eine neue Beweislastverteilung zu Lasten des Arbeitgebers, eine Art besonderer Beweislastumkehr.
2. Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers, § 15 Abs. 1 AGG
Bei Verstoß gegen das Benachteiligungs- und Diskriminierungsverbot ist der Arbeitgeber nach 15 Abs. 1 AGG verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden der diskriminierten Person zu ersetzen. Eine
Schadenersatzpflicht besteht dann nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Achtung: Für diesen Schadenersatzanspruch kommt es nicht darauf an, welche Person gegen das
Diskriminierungsverbot verstoßen hat, ob der Arbeitgeber selbst, einer seiner Mitarbeiter und Betriebsangehörigen oder betriebsfremde dritte Personen. Entscheidend ist nur, ob der Arbeitgeber eine
vertragswidrige und gesetzeswidrige Diskriminierung zu vertreten hat.
3. Vertretenmüssen/Verschulden
Sowohl nach Europarecht wie auch nach deutschen Recht können die diskriminierten Mitarbeiter und Bewerber Heinemann, Dumas und Hopper vom Bewachungsunternehmer Bolivar nur dann Schadenersatz fordern, wenn dieser
für die Diskriminierung auch verantwortlich ist im Sinne eines Verschuldens. Nach § 276 BGB hat Bolivar ein schuldhaftes Handeln, nämlich Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit und normale Fahrlässigkeit zu vertreten.
Für die Haftung des Arbeitgebers spielt es keine Rolle, ob die Diskriminierung durch aktives Tun des Arbeitgebers, seiner Mitarbeiter etc. begangen wurde, oder durch Unterlassen. Gerade auch bei Unterlassen kann
schnell ein Haftungstatbestand im Bereich der Diskriminierung entstehen. Der Arbeitgeber hat seinen Betrieb so zu organisieren, daß von diesem Betrieb aus keine rechtswidrigen Handlungen, auch keine
Diskriminierungen ausgehen. Macht er das nicht, muß ihm ein Organisationsverschulden vorgeworfen werden. Deshalb haftet der Arbeitgeber nicht nur dann, wenn er selbst die Diskriminierung begangen hat, sondern
auch dann, wenn Mitarbeiter des Arbeitgebers als Verrichtungsgehilfen diese Diskriminierung begehen. Zudem haftet er auch für Fremdverschulden, wenn dritte Personen als Erfüllungsgehilfen für ihn tätig
wurden und Diskriminierungen begangen haben. Beispiel: Beauftragt Arbeitgeber Bolivar bei der Mitarbeitersuche „Headhunter“, Beschäftigungsagenturen, die Arbeitsagentur, das Kreisjobcenter etc., so muß er
nach der Rechtsprechung darauf achten, daß diese „Erfüllungsgehilfen“ bei der Auswahl von Mitarbeitern nicht diskrminierend tätig werden. Nach der Gesetzeskonstruktion muß der Arbeitgeber im Falle einer
Diskriminierung in diesen Konstellationen generell haften. Meint er für diese Diskriminierung nicht verantwortlich zu sein, alles in seiner Macht stehende getan zu haben, so muß er dies im Zweifel beweisen.
4. Umfang des Schadenersatzes
Der Gesetzgeber hat zur Höhe des Schadenersatzes nichts geregelt. Grundsätzlich ist der gesamte entstandene finanzielle und materielle Schaden zu ersetzen. Nach der „Differenzlehre“ kann der Schaden darin
bestehen, daß der Benachteiligte so zu stellen ist wie er stünde, wenn es die verbotene Benachteiligung nicht gegeben hätte. Dies bedeutet den Ersatz des Verdienstausfalls. Die Frage ist nur, für wie lange.
Bleibt ein Bewerber arbeitslos, muß dann der Arbeitgeber über Jahre hin den Verdienstausfall ersetzen? Dies könnte dem Arbeitgeber viele Jahresgehälter kosten. Eine solch hohe Schadenersatzverpflichtung des
Arbeitgebers erscheint jedoch unverhältnismäßig und letztlich vom Gesetzgeber nicht gewollt. Andererseits hat der Gesetzgeber keine Obergrenze geschaffen. Die Rechtsprechung muß deshalb eine solche Obergrenze
finden. Mehr dazu in der nächsten Folge.
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
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Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
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Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
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Folgenübersicht:
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1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
228 - 240: Neue Sperrzeitprobleme Beendigungsvergleich
241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
253 - 264 Hitzeregelungen Internetnutzung (Kündigung)
265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
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