Hans-Gottlob-Ruehle.de
Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 166: Neue Klagefrist - III

Der Fall

    Herodes kündigt Johannes, um ihn dem Zugriff der rachsüchtigen Salomé zu entziehen. Der verblendete Johannes will aber weiterarbeiten und behauptet, die schriftliche Kündigungserklärung nicht erhalten zu haben. Außerdem meint er, daß er die gesetzliche Klagefrist nicht einzuhalten braucht, weil die schriftliche Kündigung nicht die Originalunterschrift des Herodes enthielt, sondern nur seinen Faksimilestempel. Dies reiche nicht.
    Herodes kündigt auch den schwerbehinderten Nebukadnezar mit Zustimmung des Integrationsamtes, fügt diese Zustimmung aber nicht bei. Herodes kündigt außerdem den Betriebsrat Pilatus. Pilatus und Nebukadnezar versäumen die Klagefrist. Sie meinen, daß dies wegen ihres besonderen Kündigungsschutzes unschädlich wäre. Die Klage sei trotzdem möglich.

Die Lösung

1. Fristlauf mit Zugang

    § 4 KSchG bestimmt, daß die 3-Wochen-Klagefrist mit dem Zugang der schriftlichen Kündigung anfängt zu laufen. Wenn der verblendete Johannes den Zugang der schriftlichen Kündigung bestreitet, muß Arbeitgeber Herodes den Zugang vor Gericht darlegen und beweisen. Dies kann schwierig sein. Einschreiben mit Rückschein kann problematisch sein, da auch der Inhalt des Einschreibens bestritten werden kann. In der Regel ist am sichersten die persönliche Übergabe mit Quittierung oder den Einwurf des Kündigungsschreibens durch Boten in den Briefkasten des Johannes. Dabei muß der Bote aber zunächst das Kündigungsschreiben lesen, um gesehen zu haben, was er einwirft. Gelingt dies Herodes nicht, gewinnt Johannes und fällt der Salomé in die Hände.

2. Schriftlichkeit

    Die Klagefrist des Johannes läuft nur, wenn die Kündigung schriftlich ist, § 623 BGB. Nach § 126 BGB erfordert Schriftlichkeit die eigenhändige Unterschrift des Kündigenden, also des Herodes. Es reicht nicht aus, daß ein Unterschriften-Faksimilestempel von Herodes verwandt wurde. Auch ein Fax-Schreiben des Herodes reicht nicht aus, da seine Unterschrift dort nur kopiert ist. Es muß dem Arbeitnehmer die Originalunterschrift im Schreiben zugehen.
    Andernfalls würde die Klagefrist des § 4 KSchG nicht in Gang gesetzt werden. Auch mit dieser Rüge begibt sich Johannes erfolgreich in die Hände der Salomé.

3. Behördliche Vorverfahren

    In § 4 Satz 4 KSchG hat der Gesetzgeber eine wichtige Regelung getroffen:
    “Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.”
    Diese Vorschrift betrifft insbesondere die Fälle der Schwerbehinderung und der notwendigen Zustimmung des Integrationsamtes nach § 85 SGB IX, die Fälle der Schwangerschaft und des Mutterschutzes und der notwendigen behördlichen Zustimmung entsprechend §§ 9 ff. Mutterschutzgesetz, sowie die Fälle der Elternzeit und der notwendigen behördlichen Zustimmung nach § 18 Bundeserziehungsgeldgesetz.
    In diesen Fällen muß der Arbeitgeber spätestens mit der Kündigung dem Arbeitnehmer die behördliche Zustimmung, d.h. den behördlichen Bescheid bekanntgeben bzw. übergeben, um die Klagefrist in Gang zu setzen.
    Geht die behördliche Entscheidung dem Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber oder durch die Behörde bereits vor Ausspruch der Kündigung zu, so beginnt damit noch nicht die Klagefrist. Allerdings hat der Arbeitnehmer Kenntnis. Die Klagefrist beginnt dann mit Zugang der Kündigungserklärung.
    Unterläßt der Arbeitgeber die Mitteilung oder Bekanntgabe der behördlichen Entscheidung gegenüber dem Arbeitnehmer und wird sie ihm auch anderweitig nicht bekannt, so läuft die gesetzliche Klagefrist nicht. Der Arbeitnehmer kann auch noch später gegen die Kündigung klagen.
    Achtung: Entscheidend ist, daß der Arbeitgeber überhaupt von dem besonderen Kündigungsschutz, also von der Tatsache der Schwangerschaft, der Anerkennung einer Schwerbehinderung oder der Erziehungszeit weiß. Wenn der Arbeitgeber diese Tatsachen nicht kennt, weiß er auch nicht, daß ein behördliches Verfahren einzuleiten ist. In diese Fällen muß der Arbeitnehmer deshalb schon innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung klagen, um nicht später zu unterliegen.
    Dies bedeutet, daß die Klagefrist des § 4 KSchG auch dann läuft, wenn der Arbeitgeber Herodes nichts von der Schwerbehinderung des Nebukadnezar weiß, nur weil dieser keine Mitteilung gemacht hat!
    Die Kündigung des Betriebsrats Pilatus ist von diesem Problem unberührt. Pilatus muß in jedem Fall innerhalb der 3-Wochen-Frist klagen. Die Zustimmung zu einer Betriebsratskündigung nach § 103 BetrVG durch das Betriebsratsgremium ist kein behördliches Verfahren. Hat der Arbeitgeber es unterlassen, die Zustimmung des Betriebsratsgremiums einzuholen, so läuft gleichwohl die gesetzliche Klagefrist.

>> Nächste Folge: Versäumung der Klagefrist - Nachträgliche Klagezulassung
<< Zurück zur Übersicht

 

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
 

Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

STARTSEITE >>

Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug