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Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
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Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
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Folge 163: Neue Sozialauswahl - VI
Der Fall
Don Giovanni räumt in seinem Musiktheater betriebsbedingt auf. Es fällt ihm schwer. Er weiß nicht, ob die Sozialauswahl bei Gericht hält. Auch der
Betriebsrat möchte mitwirken und Rechtssicherheit schaffen. Der Betriebsratsvorsitzende Rigoletto fragt Don Giovanni, ob nicht per Betriebsvereinbarung die Sozialauswahl mitgestaltet werden könnte. Die
weiteren Betriebsratsmitglieder Verdi und Aida meinen, daß dies nach der Neufassung des § 1 Kündigungsschutzgesetz möglich sei.
Die Lösung
1. Auswahlrichtlinien, § 1 Abs. 4 KSchG
Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 Betriebsverfassungsgesetz für die Zukunft festlegen, wie die sozialen
Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 KSchG im Verhältnis zueinander zu bewerten sind. Wird eine solche Betriebsvereinbarung geschlossen, so kann die Bewertung der einzelnen Kriterien von Gerichten nur auf grobe
Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Der Gesetzgeber hat mit dieser Vorschrift den Betriebsparteien, Betriebsrat und Arbeitgeber die Möglichkeit gegeben, eine gewisse Rechtsklarheit zu schaffen. Eine solche
“Auswahlrichtlinie” nach § 95 BetrVG bindet aber auch den Arbeitgeber, der sich zukünftig daran halten muß. Dies ist im Rahmen der Rechtssicherheit jedoch ein Vorteil. Die sozialen Gesichtspunkte und
Kriterien der Sozialauswahl sind gesetzlich festgelegt. Die Betriebspartner können jedoch die Bewertung der einzelnen Kriterien abstimmen. Dabei müssen sie sich aber an den Willen des Gesetzgebers halten, sie
dürfen nicht ein Kriterium übermäßig bevorzugen oder wegfallen lassen. Das Gericht kann die Bewertungskriterien überprüfen. Wegen der Autonomie der Betriebsparteien kann es jedoch nur grobe Fehler beanstanden.
Grobe Fehler lägen dann vor, wenn z.B. ein Kriterium überhaupt nicht berücksichtigt, oder übermäßig stark vernachlässigt wird. Eine grobe Fehlerhaftigkeit läge auch dann vor, wenn die Betriebspartner neue
Kriterien einführen und mit den gesetzlichen Kriterien vergleichbar gewichten. Sofern ein Punkteschema eingeführt wird, darf dies im Einzelfall nicht zu einer groben Ungerechtigkeit führen. Der Gesetzgeber
hat die Überprüfungsmöglichkeit des Arbeitsgerichts im übrigen aber nicht eingeschränkt. Insbesondere bei der Bestimmung des auszuwählenden Personenkreises, bei der Frage der Vergleichbarkeit etc. ist die volle
gerichtliche Nachprüfbarkeit gegeben.
2. Betriebsänderung / Namensliste
Der Gesetzgeber hat den 1999 gestrichenen § 1 Abs. 5 KSchG wieder eingeführt. Diese Regelung betrifft den Fall der Betriebsänderung, z.B. den Fall der
Betriebsstillegung, der Teilstillegung, der Verlegung eines Betriebes oder von Betriebsteilen, den Zusammenschluß von Betrieben, der Spaltung, der grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation oder der
Einführung grundlegender neuer Arbeitsmethoden, Fertigungsverfahren etc. In diesen Fällen kann der Betriebsrat in Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitnehmern vom Arbeitgeber die Verhandlung über einen
Interessenausgleich und ggf. einen Sozialplan verlangen. Wird ein solcher Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abgeschlossen, so ist es nach § 1 Abs. 5 KSchG möglich, daß die im Rahmen der
Betriebsänderung, Stillegung etc. zu kündigenden Arbeitnehmer im Interessenausgleich namentlich bezeichnet werden. Für diesen Fall wird von seiten des Gesetzgebers vermutet, daß die Kündigung der genannten
Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Die soziale Auswahl der genannten Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit von seiten des Arbeitsgerichts überprüft werden. Dies
gilt nur dann nicht, wenn sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleiches vor Ausspruch der Kündigung wesentlich geändert hat. Die Nennung der Mitarbeiter in einem Interessenausgleich läßt
jedoch die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG vor Ausspruch der Kündigung nicht entfallen. Der Betriebsrat muß trotz seiner vorangegangenen Beteiligung noch einmal ordnungsgemäß angehört werden.
3. Gerichtliches Verfahren
Trotz der Einschränkung der gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit bei der Sozialauswahl im Falle der Namensliste ist der Arbeitgeber im Prozeß nicht von
seiner Verpflichtung entbunden, auf Verlangen des Klägers die Gründe für die getroffene Sozialauswahl einschließlich der Gründe für die Ausklammerung einzelner Arbeitnehmer substantiiert darzulegen und ggf. zu
beweisen. Die Bewertung des Arbeitgebers im Rahmen der Sozialauswahl und die Einbeziehung einzelner Mitarbeiter in die Namensliste kann grob fehlerhaft sein, wenn bei der Bestimmung des Kreises vergleichbare
Arbeitnehmer z.B. die Ausbildung, die Fähigkeiten und damit die Austauschbarkeit offenkundig verkannt wurde. Es ist auch denkbar, daß Betriebsrat und Arbeitgeber bei der Erstellung der Namensliste die
Gewichtung der gesetzlichen Sozialdaten falsch vorgenommen und jede Ausgewogenheit vernachlässigt haben. Sofern - was üblich ist - ein Punkteschema verwandt wird, muß dieses im Prozeß erläutert werden.
Sollte nach dem Abschluß des Interessenausgleiches und der Festlegung der zu kündigenden Arbeitnehmer per Namensliste sich die Sachlage z.B. durch Betriebsverkauf oder durch Fortführung des Betriebes oder
Planänderungen beim Arbeitgeber wesentlich ändern, ist die Namensliste für die Kündigung und die Prüfung der Sozialauswahl nicht mehr von Bedeutung. Der Arbeitgeber muß dann die Sozialauswahl jeder einzelnen zu
kündigenden Person noch einmal neu durchführen.
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
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Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
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Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
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Folgenübersicht:
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1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
228 - 240: Neue Sperrzeitprobleme Beendigungsvergleich
241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
253 - 264 Hitzeregelungen Internetnutzung (Kündigung)
265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
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