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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 154: Neuer Abfindungsanspruch V

Der Fall:

    Arbeitgeberin Marylin hat auf Anraten von Sigmund Freud den widerspenstigen Arbeitnehmer Kinski nicht verhaltens-, sondern betriebsbedingt mit Abfindungsangebot gekündigt. Kinski, der das Angebot annahm, fühlt sich getäuscht.
    Komponist Schubert hat seinen Textdichter Müller mit Abfindungsangebot gekündigt. Müller klagt deshalb nicht innerhalb der gesetzlichen Frist. Erst danach stellt Müller fest, daß Schubert schon völlig Pleite ist und ihn über seine Zahlungsfähigkeit getäuscht hat.
    Alpinunternehmer Tell kündigt seinen Senner Schiller wegen Unternehmensaufgabe betriebsbedingt mit Abfindungsangebot. Schiller klagt nicht. Später stellt Schiller fest, daß Tell seinen Almbetrieb nicht geschlossen, sondern an Wallenstein verkauft hat.
    Alle 3 Arbeitnehmer wollen anfechten wegen arglistiger Täuschung.
    Zu recht?

Die Lösung

1. Täuschung über betriebsbedingte Gründe?

    Marylin hat zwar Kinski über ihre wahren Beweggründe getäuscht. Von einer arglistigen Täuschung kann jedoch deshalb nicht die Rede sein, weil ein Arbeitnehmer bei einer betriebsbedingten Kündigung ohne substantiierte Darlegung der Kündigungsgründe und ohne Nachprüfung stets damit rechnen muß, daß die behaupteten oder vorgetäuschten betriebsbedingten Kündigungsgründe tatsächlich nicht existieren. Oftmals kündigen Arbeitgeber betriebsbedingt, um einen Streit im verhaltensbedingten oder krankheitsbedingten Bereich aus dem Weg zu gehen. Das muß der Arbeitnehmer Kinski wissen.
    Der Gesetzgeber hat in § 1 a KSchG nur verlangt, daß der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse kündigt, also diese Gründe im Kündigungsschreiben angibt. Er hat nicht gefordert, daß diese Gründe tatsächlich auch vorliegen. Auch der Abfindungsanspruch entsteht unabhängig von der Prüfung der Tragfähigkeit der Kündigungsgründe.
    Arbeitnehmer Kinski ist deshalb von Marylin nicht im Sinne von § 123 BGB arglistig getäuscht worden. Er hat auch keinen Schaden erlitten. Eine Anfechtung wäre nicht erfolgreich.

2. Täuschung über Zahlungsfähigkeit

    Wesentlich problematischer ist der Fall Schubert. Die Täuschung des Komponisten Schubert über seine Zahlungsfähigkeit gegenüber seinem Textdichter Müller führte zwar nicht zum Wegfall des Abfindungsanspruches. Dieser Anspruch ist jedoch tatsächlich nicht realisierbar.
    Ein Arbeitgeber, der nach § 1 a KSchG ein Abfindungsangebot macht, muß auch im Augenblick der Kündigungserklärung in der Lage sein, das Abfindungsangebot zu befriedigen. Sollte dies nicht der Fall sein, täuscht er den Arbeitnehmer arglistig und hält ihn in rechtswidriger Weise von der Erhebung der Kündigungsschutzklage ab. Die Anfechtung des Textdichters Müller wäre erfolgreich.
    Achtung: Eine arglistige Täuschung läge dann nicht vor, wenn Schubert erst nach der Abgabe der Kündigungserklärung und nach dem Ablauf der Klagefrist in Armut gestürzt wäre. Dann könnte ihm kein Vorwurf gemacht werden. Ebenso ist der Fall zu werten, wenn Schubert schon lange chronisch pleite war und Müller dies wußte. Dann war Müller nicht zu täuschen.

3. Betriebsübergang

    Alpinunternehmer Tell hat den gutgläubigen Senner Schiller an der Nase herumgeführt, wenn er Schiller aktiv getäuscht hat. Eine solche aktive Täuschung läge dann vor, wenn Tell das Verstreichenlassen der Klagefrist mit der Behauptung erreicht hätte, der Betrieb werde stillgelegt oder wenn Tell auf Nachfragen von Schiller dies ausdrücklich behauptet hätte. Dann wäre meines Erachtens eine Anfechtung des Abfindungsvertrages wegen arglistiger Täuschung erfolgreich. Der Übernehmer Wallenstein hätte einen neuen Mitarbeiter.
    Hat dagegen Unternehmer Tell lediglich betriebsbedingt gekündigt, ohne weitere Ausführungen zu machen, liegt keine arglistige Täuschung im eigentlichen Sinne vor. Eine Anfechtung wäre zumindest problematisch.

4. Rückzahlung der Abfindung

    Im Falle einer erfolgreichen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB oder im Falle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB entfiele auch der Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers. Wenn der Arbeitgeber die Abfindung bereits gezahlt hat, so muß der Arbeitnehmer wegen Wegfall des Rechtsgrundes und wegen rechtsgrundloser Bereicherung diese Abfindung an den Arbeitgeber zurückzahlen.

5. Nachträgliche Klagezulassung

    Die Anfechtung des Abfindungsvertrags und die Rückzahlung der Abfindung ändert nichts an dem Umstand, daß der Arbeitnehmer die gesetzliche Klagefrist des § 4 KSchG hat verstreichen lassen. Eine nunmehr erhobene Kündigungsschutzklage bzw. Feststellungsklage ist in jedem Falle verspätet.
    Der Arbeitnehmer hat jedoch in diesem Falle die Möglichkeit, nach § 5 KSchG die nachträgliche Zulassung der verspätet erhobenen Feststellungsklage beim Arbeitsgericht zu beantragen. Er muß diesen Antrag binnen 2 Wochen nach Kenntniserlangung über den Anfechtungsgrund etc. beim Arbeitsgericht stellen und gleichzeitig Feststellungs-Klage erheben. Dann kann er im Zweifel damit rechnen, daß seine Kündigungsfeststellungsklage auch nachträglich zugelassen wird.
    Achtung: Mit dieser verspäteten Klageerhebung und dem Antrag auf nachträgliche Klagezulassung entfällt die ursprüngliche Abfindungsvereinbarung. Das Abfindungsangebot des Arbeitgebers in der Kündigung stand nicht nur unter der Bedingung, daß die Klagefrist verstreicht. Es stand auch unter der “stillschweigenden” auflösenden Bedingung, wonach ein solcher Versuch der nachträglichen Klageerhebung nicht durchgeführt wird.
    Eine schon gezahlte Abfindung müßte zurückgezahlt werden.

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug