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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 153: Neuer Abfindungsanspruch IV

Der Fall:

    Arbeitgeberin Marylin will den aufsässigen Arbeitnehmer Kinski endgültig verhaltensbedingt oder gar fristlos kündigen. Auf Anraten ihres Unternehmensberaters Sigmund Freud läßt sie dies jedoch, um eine aufwendige arbeitsgerichtliche Schlacht zu vermeiden. Sie kündigt Kinski ausschließlich betriebsbedingt mit einem Abfindungsangebot nach § 1 a KSchG. Sie hat aber Angst, daß Kinski dieses Angebot nicht annimmt. Kann sie dann immer noch verhaltensbedingte Gründe geltend machen?
    Ihre Arbeitnehmerin Jacqueline ist ständig krank. Ohne Sigmund Freud zu fragen, kündigt Marylin deren Arbeitsverhältnis personenbedingt wegen erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten ohne Aussicht auf Besserung. Aus sozialen Gründen bietet Marylin auch Jacqueline eine Abfindung, damit sie nicht ins Elend gerät. Kann sie sich dabei auch a § 1 a KSchG halten?

Die Lösung

1. Betriebsbedingte Kündigung

    Der Gesetzgeber hat in § 1 a Satz 1 KSchG ausdrücklich den von ihm geregelten Abfindungsanspruch auf die ordentliche betriebsbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG beschränkt. Nach dem Wortlaut des Gesetzes reicht es aber aus, wenn der Arbeitgeber die von ihm ausgesprochene Kündigung als betriebsbedingte Kündigung bezeichnet. Er muß keine nähere Begründung der Kündigung abgeben. Daraus ist zu folgern, daß für das Zustandekommen einer Abfindungsvereinbarung nach § 1 a KSchG es alleine ausreicht, daß der Arbeitgeber eine betriebsbedingte Kündigung ausspricht, unabhängig davon, ob die Kündigungsgründe tatsächlich betriebsbedingt sind, oder ob sie für eine “betriebsbedingte” Kündigung ausreichen würden. Es spielt keine Rolle, ob tatsächlich oder alleine betriebsbedingte Gründe für die Kündigungsmotivation entscheidend waren.
    Fazit: Marylin kann die Möglichkeit des § 1 a KSchG nutzen, wenn sie Jacqueline eine “betriebsbedingte” Kündigung ausspricht. Jacqueline muß nicht nachprüfen, ob der Kündigungsgrund tatsächlich vorliegt. Jacqueline kann durch Unterlassen einer Klage den Abfindungsanspruch erwerben.
    Wenn Marylin krankheitsbedingt kündigt, greift zwar § 1 a KSchG nicht ein. Sie kann aber gleichwohl eine Abfindung anbieten. Jacqueline kann das Angebot annehmen. Dies sollte sie möglichst ausdrücklich und klar tun.

2. Klageerhebung

    Der aufmüpfige Arbeitnehmer Kinski kann, wenn er innerhalb der gesetzlichen Klagefrist nicht klagt, die angebotene Abfindung von Marylin verlangen. Marylin kann später nicht die Abfindung mit der Begründung verweigern, sie hätte andere Gründe für die Kündigung gehabt.
    Sollte Arbeitnehmer Kinski gleichwohl Feststellungsklage gegen die Kündigung erheben, wäre es der Arbeitgeberin Marylin nicht verwehrt, in einem späteren Kündigungsschutzprozeß auch andere Kündigungsgründe, insbesondere verhaltensbedingte Kündigungsgründe nachzuschieben. Dies ist möglich.
    Sollte allerdings ein Betriebsrat im Betrieb von Marylin vorhanden sein, müßte sich die Betriebsratsanhörung nicht nur auf betriebsbedingte, sondern auch auf verhaltensbedingte Gründe bezogen haben, um ein solches Nachschieben im Prozeß zu ermöglichen. Hier muß sich die Arbeitgeberin im Zweifel absichern, wenn sie neben den betriebsbedingten Kündigungsgründen noch andere Gründe im Zweifel im Prozeß nachschieben will.

3. Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung

    Die gesetzliche Kündigung erfaßt nach seinem Wortlaut nur die ordentliche betriebsbedingte Kündigung.
    Daneben gibt es nach der Rechtsprechung bei sog. “unkündbaren Arbeitnehmern” (z.B. BAT: tariflicher Ausschluß der ordentlichen Kündigung nach 15 Jahren und 40 Jahre alt) auch die Möglichkeit der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist, wenn eine Weiterbeschäftigung z.B. durch Betriebsstillegung unmöglich geworden ist. Auch wenn § 1 a KSchG auf die ordentliche betriebsbedingte Kündigung Bezug nimmt, wäre es den Vertragsparteien unbenommen, auch in analoger Anwendung dieses gesetzliche Modell auf die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung zu übertragen. Dies kann schon auf rechtsgeschäftliche Weise geschehen.
    Wenn die Arbeitgeberin Marylin ein solches Angebot macht, bleibt es dem Arbeitnehmer überlassen, ob er dieses Angebot freiwillig annimmt oder nicht.
    Achtung: In einem solchen Falle muß der Arbeitnehmer allerdings immer damit rechnen, daß möglicherweise die Arbeitsverwaltung wegen seiner Unkündbarkeit mit der Beendigung des Arbeitsverhältnis nicht einverstanden ist und gegen ihn eine Sperrfrist für den Arbeitslosengeldbezug verhängt.

3. Personen-/verhaltensbedingte Kündigung / fristlose Kündigung

    Das Modell des § 1 a KSchG gilt nicht für personen- und verhaltensbedingte Kündigungen, erst recht nicht für eine fristlose Kündigung. Auch eine analoge Anwendung der zwingenden Rechtsfolge des § 1 a Abs. 2 KSchG ist aufgrund des klaren gesetzgeberischen Willens nicht möglich.
    Achtung: Die personenbedingt gekündigte Arbeitnehmerin Jacqueline kann deshalb ihre Arbeitgeberin Marylin nicht auf die Mindestabfindung nach § 1 a Abs. 2 KSchG von 0,5 Monatsverdiensten für jedes Beschäftigungsjahr verklagen, wenn Arbeitgeberin Marylin ihr zwar ein Angebot macht, dies aber unter dem gesetzlichen Mindeststandard liegt.
    Unabhängig von der gesetzlichen Regelung ist es jedoch den Vertragsparteien unbelassen, auch bei personen- und verhaltensbedingten Kündigungen oder im Falle der außerordentlichen Kündigung eine Abfindungsvereinbarung auf rechtsgeschäftlichem Wege zu schließen.

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug