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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 151: Neuer Abfindungsanspruch II

Der Fall:

    Arbeitgeber Wilhelm Tell will den seit 10 Jahren beschäftigten Pförtner Schiller kündigen. Schiller bekommt 13 Monatsgehälter von jeweils 1.200 Euro brutto plus Urlaubsgeld von 600 Euro brutto. Wilhelm Tell kündigte schriftlich. Das Abfindungsangebot für den Fall des Unterlassens der Klage macht er jedoch mündlich. Er beziffert 5 Monatsgehälter von je 1.200 Euro, bietet mithin eine Abfindung von 7.500 Euro an.
    Arbeitnehmer Schiller hält dies für zu niedrig, da die Jahressonderzahlung plus das Urlaubsgeld zu berücksichtigen seien, mithin 1.350 Euro pro Beschäftigungsjahr.
    Der bei der Kündigung von Gretchen zu geizige Goethe bietet diesmal bei der Kündigung des 12 Jahre beschäftigten Mephisto eine Abfindung von 6 Monatsgehältern an, ohne den Betrag aber zu beziffern. Mephisto bezweifelt die Wirksamkeit des Angebots, weil kein Betrag genannt ist.

Die Lösung:

1. Junktim

    Entscheidend für den gesetzlich festgelegten Abfindungsanspruch ist das freiwillige Angebot des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung. Dieses Angebot einer Kündigungsabfindung ist an die Bedingung gekoppelt, daß der Arbeitnehmer die Klagefrist des § 4 KSchG verstreichen läßt. Liegen beide Voraussetzungen vor, so bestimmt der Gesetzgeber das Entstehen des gesetzlichen Mindestabfindungsanspruchs.
    Wenn der Arbeitgeber nicht nach dieser gesetzlichen Regelung verfährt, greift die gesetzliche Rechtsfolge insgesamt nicht. Es bliebe dann ggf. bei einem reinen Rechtsgeschäft, bei dem die Parteien nicht an die gesetzliche Vorgehensweise, aber auch nicht an die gesetzlich vorgegebene Abfindungshöhe gebunden sind.

2. Keine Klage

    Der gesetzliche geregelt Abfindungsanspruch steht unter der Bedingung, daß der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Klagefrist des § 4 KSchG keine Klage auf Feststellung erhebt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Der Gesetzgeber hat somit bestimmt, daß bei Erheben einer Kündigungsfeststellungsklage der vom Gesetz vorgesehene Abfindungsanspruch nicht entsteht.
    Nach bisher einhelliger Meinung bezieht sich diese gesetzliche Regelung jedoch nicht nur auf die Erhebung einer Kündigungsfeststellungsklage. Es reicht auch aus, wenn der Arbeitnehmer eine andere Klage, z.B. eine Zahlungsklage für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist erhebt mit der Begründung, daß die vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung rechtsunwirksam bzw. sozialwidrig sei. Auch in diesem Falle hat der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Klage durch Kündigung geltend gemacht.
    Auch in diesem Falle entsteht der vom Gesetz geregelte Abfindungsanspruch nicht. Dies gilt umso mehr, als der Arbeitnehmer z.B. bei einer Entgeltzahlungsklage die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 6 KSchG mit einem Feststellungsantrag noch später in den laufenden Zahlungsprozess einführen könnte.

3. Einheitliche Urkunde

    Der Gesetzgeber verlangt, daß der Hinweis auf die dringenden betrieblichen Kündigungsgründe und auf die Abfindung durch den Arbeitgeber in der Kündigungserklärung gegeben wird. Nach dieser gesetzlichen Regelung muß davon ausgegangen werden, daß das Angebot des Arbeitgebers auf Abfindung bei Unterlassen der Klage in der Kündigungserklärung selbst schriftlich enthalten ist.
    Es gilt somit der “Grundsatz der Einheitlichkeit der Urkunde”. Dies bedeutet, daß es nicht ausreicht, wenn Arbeitgeber Tell dem Arbeitnehmer Schiller das Kündigungsangebot mündlich unterbreitet. Es muß in der Kündigungserklärung oder verbunden mit der Kündigungserklärung schriftlich erfolgen.

4. Bezifferung?

    Der Gesetzgeber hat nicht verlangt, daß der Abfindungsbetrag beziffert werden muß. Es reicht letztendlich schon der Hinweis auf die in § 1 a KSchG vorgesehene Abfindung aus.
    Eine Bezifferung der Abfindungshöhe empfiehlt sich nicht unbedingt. Der Gesetzgeber hat die Höhe der Abfindung mit 0,5 Monatsverdiensten für jedes Jahr der Beschäftigung gesetzlich festgelegt. Ist die Abfindung nicht beziffert, so kann sie nachträglich berechnet werden. Gerade der Fall Tell/Schiller zeigt, daß hier ein Problempotential liegt. Ein Streit im Vorfeld kann schon die Annahme des Abfindungsangebots verhindern.
    Arbeitgeber Goethe tat deshalb gut daran, gegenüber Mephisto die angebotenen 6 Monatsgehälter noch nicht zu beziffern.

5. Höhe

    Zur Höhe hat der Gesetzgeber auf § 10 Abs. 3 KSchG Bezug genommen. Danach gilt als Monatsverdienst das, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat an Geld und Sachbezügen zusteht, in dem das Arbeitsverhältnis endet.
    Arbeitgeber Tell hat deshalb richtigerweise 1.200 Euro als Monatsverdienst zugrunde gelegt. Die Höhe der Abfindung berechnet sich nicht aus dem Jahresverdienst geteilt durch 12, sondern aus dem letzten regulären Monatsverdienst.

>> Nächste Folge: Neuer Abfindungsanspruch III
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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug