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Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
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Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
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Folge 150: § 1 a KSchG - neuer Abfindungsanspruch I
Der Fall:
Wilhelm Tell beschäftigt in seinem Großbetrieb den Pförtner Schiller seit 10 Jahren. Er will ihn entlassen. Im Rahmen der Neuregelung des § 1 a KSchG
bietet er ihm 5 Monatsgehälter an, wenn er nicht Kündigungsschutzklage erhebt. Der geizige Goethe beschäftigt Gretchen seit 12 Jahren. Er bietet ihr im Rahmen der Kündigung nur 3 Monatsgehälter an, ohne weitere
Bedingungen.
Die Lösung:
1. Gesetzliche Neuregelung
Der Gesetzgeber hat mit dem neuen § 1 a KSchG seit dem 1.1.2004 einen Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung neu in das Gesetz eingeführt.
Mit diesem Abfindungsanspruch soll der Tatsache Rechnung getragen werden, daß viele Kündigungsschutzverfahren vor dem Gericht ohnehin mit einem Vergleich enden. Die gesetzliche Regelung soll Arbeitgeber und
Arbeitnehmer anreizen, sich außergerichtlich zu einigen, um die Arbeitsgerichte zu entlasten. Es ist jedoch fraglich, ob diese Neuregelung tatsächlich eine Entlastung der Arbeitsgerichte bringt. Zum Einen
regelt sie nicht viel anderes, als bisher schon praktiziert wurde. Zum Anderen ist eine Vorgehensweise nach dieser Neuregelung sowohl für Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer aus verschiedenen Gründen nicht immer
empfehlenswert und oft auch taktisch und aus anderen Gründen nicht sehr interessant. Dies wird noch in späteren Folgen zu behandeln sein.
2. Der Gesetzeswortlaut
Der § 1 a KSchG “Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung” ist völlig neu in das Gesetz eingefügt. Es gab keine Vorläuferregelung. Er lautet
wie folgt (wobei alle Paragraphenzitate sich auf das Kündigungsschutzgesetz beziehen): Absatz 1: Kündigt der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 Satz 1 und erhebt der
Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 keine Klage auf Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, hat der Arbeitnehmer mit dem Ablauf der Kündigungsfrist
Anspruch auf eine Abfindung. Der Anspruch setzt den Hinweis des Arbeitgebers in der Kündigungserklärung voraus, daß die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei
Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann. Absatz 2: Die Höhe der Abfindung beträgt 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. § 10 Abs. 3 gilt
entsprechend. Bei der Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist ein Zeitraum von mehr als 6 Monaten auf ein volles Jahr aufzurunden.
3. Rechtsnatur
Der Gesetzgeber regelt in der neuen Vorschrift im Wesentlichen das, was die Arbeitsvertragsparteien außergerichtlich oder im arbeitsgerichtlichen
Verfahren ohnehin schon getan haben. Deshalb ist hoch streitig, ob zu Recht von einem “gesetzlichen” Abfindungsanspruch oder von einem - wie schon in der Vergangenheit - rechtsgeschäftlichen Abfindungsanspruch
zu sprechen ist. Die Gesetzesbegründung bezeichnet zwar die Regelung als gesetzlichen Anspruch. Doch das, was das Gesetz regelt, ist letztlich nichts anderes, als die Durchführung eines rechtsgeschäftlichen
Vorgangs. Dies gilt vor allem deshalb, weil der Arbeitgeber völlig frei darin ist, ob er dem Arbeitnehmer eine Abfindung anbietet oder nicht. Andererseits ist der Arbeitnehmer darin frei, auf die Erhebung einer
Kündigungsschutzklage zu verzichten und das Abfindungsangebot anzunehmen. Letztlich macht der Gesetzgeber selbst deutlich, daß er mit dem sogenannten Abfindungsanspruch nichts anderes gesetzlich regelt, als
was ohnehin arbeitsrechtliche Praxis war. Dies spricht für einen rechtsgeschäftlichen Anspruch. Andererseits bestimmt er jedoch eine gesetzliche Rechtsfolge unter 2 Voraussetzungen: – Der Arbeitgeber bietet
dem Arbeitnehmer in der Kündigungserklärung bei betriebsbedingter Kündigung eine Abfindung an, für den Fall, daß er die Klagefrist verstreichen läßt, – der Arbeitnehmer erhebt tatsächlich keine
Kündigungsschutzklage und keine andere Klage, mit der er die Unwirksamkeit der Kündigung geltend macht. In diesem Fall erleichtert der Gesetzgeber den Vertragsschluß, indem er das Verstreichenlassen der
Klagefrist automatisch als Annahme des Angebots wertet. Eine weitere Erklärung des Arbeitnehmers ist nicht erforderlich. Achtung:
Neu und tatsächlich zwingende gesetzliche Rechtsfolge ist für diesen Fall der Mindestabfindungsanspruch von 0,5 Monatsverdiensten pro Beschäftigungsjahr, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber so handeln.
Beachte:
Entscheidend ist bei dieser Regelung das freiwillige Angebot des Arbeitgebers auf Zahlung einer Abfindung für den Fall des Verstreichenlassens der Klagefrist. Der Arbeitnehmer kann den Arbeitgeber dazu nicht zwingen.
4. Andere Vereinbarungen
Von dieser gesetzlichen Neuregelung bleibt die bisherige Übung der Arbeitsvertragsparteien außerhalb oder innerhalb des Arbeitsgerichts unberührt.
Arbeitgeber Wilhelm Tell hat dem Arbeitnehmer Schiller ein Angebot entsprechend der gesetzlichen Neuregelung gemacht. Der geizige Arbeitgeber Goethe hingegen bietet Gretchen deutlich weniger an, als § 1 a Abs. 2
KSchG fordert. Der Gesetzgeber verbietet jedoch eine solche von der gesetzlichen Norm abweichende Regelung nicht. Läßt sich Grethchen auf diese für sie ungünstigere Regelung ein, wäre der Abwicklungs- oder
Auflösungsvertrag gleichwohl wirksam. Für Vereinbarungen unterhalb des § 1 a KSchG gilt nach wie vor keine zwingende Abfindungshöhe. Der Arbeitgeber kann höhere oder niedrigere Abfindungen anbieten bzw. mit dem
Arbeitnehmer verhandeln. Die Arbeitnehmerin muß dieser Regelung allerdings zustimmen. Das Verstreichenlassen der Klagefrist führt nicht automatisch zum Abfindungsanspruch und zur Auflösung des
Arbeitsverhältnisses, wenn die Bedingungen des § 1 a KSchG nicht eingehalten sind.
>> Nächste Folge: Neuer Abfindungsanspruch II
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
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Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
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Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
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Folgenübersicht:
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1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
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241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
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265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
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