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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 148: Kündigungsschutz - Geltungsbereich II

Der Fall:

    Arbeitgeberin Elisabeth beschäftigte in 2 Filialen 5 Vollzeitarbeitnehmer und zusätzlich ihren Butler Tony, der als Telefonist und Bote in beiden Filialen eingesetzt wird. Sie meinte, daß Tony eigentlich kein Arbeitnehmer, sondern Leibbursche sei. Außerdem habe er keinen schriftlichen Arbeitsvertrag.
    Im Frühjahr 2004 stellte sie zusätzlich 4 Vollzeitarbeitnehmer ein, darunter die aufmüpfige Maggie. Wegen wirtschaftlichen Schwierigkeiten will sie bald 3 Arbeitnehmern kündigen. Wem soll sie kündigen? Wer hat Kündigungsschutz?
    Die freche Maggie behauptet, daß Elisabeth in Wirklichkeit mehr als die genannten 10 Arbeitnehmer beschäftige und daß deshalb alle Kündigungsschutz genießen.

Die Lösung:

1. Mindesbeschäftigungsdauer

    Kündigungsschutz entsteht nur für Mitarbeiter, die länger als 6 Monate beschäftigt waren. Maggie ist noch nicht so lange beschäftigt. Sie kann unabhängig von der Beschäftigtenzahl nach dem Kündigungsschutzgesetz gekündigt werden, sofern sie keinen Sonderkündigungsschutz genießt (z.B. Schwangerschaft).

2. Betrieb / Unternehmen

    Der Gesetzgeber hat es in § 23 Abs. 1 KSchG leider immer noch nicht geschafft, zwischen Betrieb und Unternehmen exakt zu unterscheiden. Der Kündigungsschutz des § 1 bezieht sich auf das Unternehmen. Es kommt nicht darauf an, wieviel Betriebe oder Filialen ein Unternehmen hat. Auch wenn Elisabeth 6 Alt-Arbeitnehmer auf 2 Betriebe oder Filialen verteilte, galt das Kündigungsschutzgesetz, da im Unternehmen 6 Arbeitnehmer beschäftigt waren. § 23 Abs. 1 KSchG spricht zwar von mehr als 5 / mehr als 10 Arbeitnehmern im “Betrieb”. Gemeint ist aber: im “Unternehmen”!

3. Wer ist Arbeitnehmer?

    Der Arbeitnehmer-Begriff ist von der Rechtsprechung in vielfältiger Weise behandelt worden. Im Einzelfall kann dies schwierig sein. Entscheidend ist die persönliche Abhängigkeit im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsvertrags und die Unterwerfung des Arbeitnehmers unter das Direktionsrecht der Arbeitgeberin.
    Unstreitig sind die 5 Mitarbeiter der beiden Filialen auch Arbeitnehmer. Entgegen der Ansicht von Elisabeth ist jedoch auch Butler Tony Arbeitnehmer. Für die Arbeitnehmereigenschaft kommt es nicht darauf an, ob ein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen wurde. Zwar ist der Arbeitgeber nach dem Nachweisgesetz verpflichtet, dem Arbeitnehmer einen schriftlichen Arbeitsvertrag zu geben. Unterläßt er dies, entfällt jedoch nicht der Arbeitnehmerstatus. Auch der Butler ist ein abhängig beschäftigter Arbeitnehmer, der dem Direktionsrecht unterworfen ist.
    Im Ergebnis hatte Elisabeth zunächst 6 Arbeitnehmer, die alle Kündigungsschutz genossen haben.

4. Beweislast

    Wenn im Prozeß streitig ist, wie viel Arbeitnehmer in einem Unternehmen beschäftigt werden, so muß die Arbeitnehmerzahl nachgewiesen werden. Streitig ist die Frage, wer die Darlegungs- und Beweislast trägt.
    Nach der umstrittenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts trägt derjenige die Beweislast für die höhere Arbeitnehmerzahl, der sich darauf beruft. Dies ist der Arbeitnehmer.
    Vorliegend behauptet Elisabeth, daß sie zu den 6 vorhandenen Arbeitnehmern im Jahr 2004 nur 4 Arbeitnehmer neu eingestellt habe. Diese 4 Arbeitnehmer hätten nach neuer Rechtslage keinen Kündigungsschutz.
    Wenn sich Arbeitnehmerin Maggie darauf beruft, daß 2004 mehr Mitarbeiter neu eingestellt wurden und mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt werden, so müßte sie dies darlegen und nachweisen.
    Zur Beweiserleichterung müßte Arbeitgeberin Elisabeth jedoch exakt Auskunft geben und ihre Personalunterlagen offenlegen.

5. Sozialauswahl?

    Will Arbeitgeberin Elisabeth nach der Neueinstellung von 4 Mitarbeitern 2 oder 3 betriebsbedingte Kündigungen vornehmen, so stellt sich die Frage nach der Auswahl. Muß eine Sozialauswahl zwischen allen Beschäftigten vorgenommen werden, obwohl 6 Alt-Arbeitnehmer Kündigungsschutz genießen und 4 Arbeitnehmer durch Neueinstellung keinen Kündigungsschutz?

Lösung:

    Meines Erachtens gilt hier, daß Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz zuerst zu kündigen sind. Der Kündigungsschutz kann fehlen, weil die Wartezeit von 6 Monaten noch nicht erfüllt ist oder weil die Beschäftigtenzahl von 10 Arbeitnehmern nicht überschritten ist. Dies dürfte meines Erachtens keine Rolle spielen.
    Wer noch nicht oder mangels Beschäftigtenzahl nicht in den Schutzbereich des Kündigungsschutzgesetzes fällt, kann auch keine Sozialauswahl mit den bereits geschützten Arbeitnehmern verlangen. Elisabeth hat deshalb zunächst die Altarbeitnehmer mit Kündigungsschutz zu schonen. Sie müßte, wenn keine Besonderheiten vorliegen, die zuletzt eingestellten Mitarbeiter zuerst kündigen, also z.B. Maggie.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug