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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 118: Mobbing IV - Arbeitsrechtlicher Mobbing-Begriff

Der Fall:

    Operettenchef Gotthilf Schiffer leidet unter seinen Mitarbeitern. Die Chormitglieder George Harrison und Ringo Starr fühlen sich von Harry Bellafonte gemobbt. Die Solisten Peter Alex und Roy Black ertragen den Termindruck nicht mehr. Maria Callas versagt die Stimme, wenn sie Gotthilf nur sieht. Die Erste Geige Yoko Duo ist depressiv geworden. Die Krankenquote im Ensemble steigt. Was ist zu tun?

Die Lösung:

1. Modebegriff

    Mobbing ist ein Phänomen, das tatsächlich in den Betrieben vorhanden ist. Gleichwohl ist der Begriff “Mobbing” mittlerweile zu einem modischen Begriff geworden: Dieser Begriff ist ähnlich schillernd und schwammig, undifferenziert und vielschichtig wie in der Medizin der Begriff “Rheuma”. Er ist zu einem Sammelbegriff geworden.
    Es ist deshalb wichtig, den Begriff zu präzisieren. Ein gesetzlich definierter oder juristischer Begriff des “Mobbing” existiert wegen der Vielfalt der Erscheinung bisher nicht. Die arbeitsrechtliche Rechtsprechung sowie Wissenschaft versuchen jedoch mehr oder weniger tastend den Begriff auf seine Tiefe zu ergründen und anhand von einzelnen Phänomenen juristisch festzumachen.

2. Der arbeitsrechtliche Stand

    Der arbeitsrechtliche Begriff des Mobbing bezeichnet Verhaltensweisen, die für sich alleine genommen und isoliert gesehen nicht zwangsläufig eine Rechtsverletzung, einen Arbeitsvertragsverstoß oder gar eine Straftat beinhalten.
    Es ist deshalb wichtig, die bisher schon erfaßten Arbeitsvertragsverletzungen oder gar Straftaten im Betrieb, wie Beleidigungen, Gewalttaten, Körperverletzungen, Vergewaltigung etc. vom Mobbing-Begriff zu trennen. Zwar kann im Rahmen eines Mobbings auch eine solche offenkundige schwere Vertragspflichtverletzung vorkommen. Allerdings wäre es falsch, Vertragsverletzungen, die letztendlich in den strafrechtlichen Bereich weisen, generell dem Mobbing zuzuordnen. Es fehlt regelmäßig insoweit an dem Merkmal der systematisch fortgesetzten und betriebenen Abwertung eines Arbeitskollegen.
    Der arbeitsrechtliche Begriff des Mobbing umfaßt grundsätzlich systematische, fortgesetzte, aufeinander aufbauende und miteinander verzahnte Verhaltensweisen. Diese Verhaltensweisen können für sich genommen zunächst völlig harmlos sein. In ihrer fortgesetzten Handlungsweise und in ihrer Häufig bzw. Steigerung haben sie jedoch eine Diskriminierung, eine Demütigung, Ausgrenzung, Schikane, Zermürbung oder gar Anfeindung zum Inhalt.

3. Zielsetzung von Mobbing

    Der Zweck von Mobbing oder seine Zielsetzung ist jeweils in seiner Gesamtheit nicht von der Rechtsordnung gedeckt. Die Handlungen verletzen in ihrer Häufung oder Gesamtheit das Persönlichkeitsrecht anderer Menschen oder sonstiger geschützter Rechte wie Ehre, Gesundheit, psychische Integrität. Die Einzelhandlung für sich genommen allerdings muß eine solche Verletzungshandlung nicht beinhalten!

4. Kein Plan

    Entgegen immer wieder geäußerter Einschätzung muß für das arbeitsrechtlich zu wertende Mobbing kein vorgefaßter Plan, keine ausgearbeitete Strategie vorliegen, um jemanden zu schädigen oder fertig zu machen. Solch ein Plan wäre zumeist auch gar nicht nachzuweisen, allenfalls zu vermuten.
    Ein solcher “teuflischer Plan” gegen eine bestimmte Person ist in den meisten Fällen auch gar nicht von Anfang an vorhanden. Es reicht völlig aus, wenn sich die Sache zunächst entwickelt und die Verletzungshandlungen immer wieder fortgesetzt werden unter Ausnützung der Gegebenheiten im Betrieb, der Reaktion der Betroffenen und der Mitwirkung oder der Reaktion der Kollegen.
    Beispiel: Normale Hänseleien, spöttische Äußerungen, Späßchen oder zweideutige Anmerkungen beginnen regelmäßig nicht mit einem vorgefaßten Plan. Sie stellen für sich alleine genommen auch noch kein Mobbing dar, sind im Einzelfall harmlos, allenfalls unangenehm.
    Die wiederholte Fortsetzung dieser Handlungen jedoch mit dem selben Kollegen können zu Mobbing führen, wenn diese Hänseleien etc. in ihrer Häufung oder Steigerung dann ein adäquates Maß überschreiten und den Kollegen aus der Gesamtheit der Mitarbeiter in der Abteilung etc. herausheben oder gar isolieren. In jedem Fall ist das Maß von Mobbing dann überschritten, wenn die Bemerkungen von dem betroffenen Kollegen erkennbar nicht mehr als Spaß aufgefaßt werden und er sich darüber erkennbar ärgert oder gar um die Beendigung dieser Verhaltensweisen bittet. Spätestens dann stellt die Fortsetzung der Beeinträchtigungen ein ernstzunehmendes Mobbing dar.

5. Kein Mobbingtatbestand

    In diesem Sinne kann arbeitsrechtlich nicht von Mobbing gesprochen werden, wenn ein Konflikt sich wechselseitig entwickelt, wenn dieser Konflikt durch die beteiligten Parteien gesteigert und wechselseitig hochgeschaukelt wird.
    Beispiel 1: Der Arbeitgeber beauftragt eine Mitarbeiterin, etwas bestimmtes zu tun. Diese weigert sich. Der Arbeitgeber besteht darauf. Sie weigert sich wieder. Der Ton wird schriller. Der Arbeitgeber droht mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen. Die Mitarbeiterin wirft dem Arbeitgeber vor, daß er sie ohnehin nicht leiden könne.
    Beispiel 2: Ein Mobbing liegt insbesondere auch dann nicht vor, wenn Vorgesetzte oder Arbeitgeber arbeitsrechtlich korrekte, notwendige und adäquate Maßnahmen durchführen und bestimmte vertraglich geschuldete Anforderungen an die Arbeitnehmer richten. So manche angeblich gemobbte Arbeitnehmer verkennen dies und meinen, daß dann, wenn ihre arbeitsvertraglich geschuldete Leistung auch tatsächlich gefordert und verlangt wird, sie schon gemobbt würden.
    Beispiel 3: Alleine die Anweisung, arbeitsvertraglich geschuldete, aber unangenehme Arbeiten durchzuführen, ist kein Mobbing. Auch eine Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz im Rahmen des Direktionsrechts, der Hinweis auf Fehler oder Schlechtleistung der Mitarbeiter, arbeitsrechtliche Mahnungen und Abmahnungen sind kein Mobbing. Vielmehr fordert die Rechtsprechung vom Arbeitgeber und den Vorgesetzten bei Schlechtleistung, Fehlverhalten und Konflikten solche Maßnahmen und arbeitsrechtliche Schritte, um dem Mitarbeiter zu helfen, bestimmte Fehler und Fehlverhaltensweisen auszuräumen.
    Es muß dem Arbeitgeber und dem Vorgesetzten möglich sein, Mißstände im Betrieb, Fehlverhaltensweisen, Fehler etc. auf sozialadäquate Weise anzusprechen, zu rügen und ggf. mit entsprechendem Nachdruck zu beseitigen. Wer hier als betroffener Arbeitnehmer den Mobbing-Vorwurf erhebt, benutzt den Mobbing-Begriff falsch und mißbräuchlich.
    Soweit also die Sängerin Maria Callas ihren Chef Gotthilf Schiffer des Mobbings beschuldigt, weil er sie schon zwei Mal aufgrund ihrer Unpünktlichkeit gerügt hat und sie ermahnte, pünktlich zur Probe zu kommen, liegt sie falsch. Es handelt sich dabei nicht um Mobbing. Es ist kein Mobbing, sondern die arbeitsvertragliche Pflicht des Arbeitgebers. Außerdem erfordert die Fürsorgepflicht gegenüber den anderen Arbeitnehmern, daß der Arbeitgeber in solchen Fällen einschreitet. Gleiches gilt für die Abmahnung des Arbeitgebers. Wenn er mit dem Umgangston des Mitarbeiters nicht einverstanden ist, kann er dies rügen, ermahnen oder im Einzelfall abmahnen. Sollte Maria Callas mit der Abmahnung nicht zufrieden sein, könnte sie diese Abmahnung beim Arbeitsgericht überprüfen lassen.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug