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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 295: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz II

Frage:

    Ich fühle mich in meinem Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber, aber auch von Vorgesetzten und von Arbeitskollegen benachteiligt. Hilft mir das neue Gleichbehandlungsgesetz weiter, am Arbeitsplatz mein Recht zu finden?

Der Fall:

    Arbeitgeber Heinrich von Kleist ist ein sehr sensibler und empfindsamer Arbeitgeber. Er versucht es allen Recht zu machen und ist gleichwohl verzweifelt darüber, daß viele seiner Arbeitnehmer unzufrieden sind bzw. sich benachteiligt fühlen.
    Prokurist Henry de Toulouse-Lautrec erklärt, daß er wegen seiner Kleinwüchsigkeit und Verkrüppelung schon seit seiner Einstellung verspottet und benachteiligt werden. Finanzleiter Baruch Spinoza fühlt sich als Jude wegen seiner Rasse diskriminiert. Der Pförtner Friedrich Engels meint, daß er als bekennender Marxist wegen seiner Weltanschauung nie befördert worden sei. Die Chefsekretärin Edith Piaf meint, daß sie als Frau in dieser Firma von den sie umgebenden Obermachos ständig benachteiligt werden. Die Betriebspsychologin Hildegard von Bingen fühlt sich wegen ihrer Religion als praktizierende Christin diskriminiert. Mit ihrem Nonnenschleier dürfe sie noch nicht einmal die Kantine aufsuchen.
    Der im Dienst ergraute Lagerarbeiter Nostradamus wird vom Lagerleiter ständig bedrängt, endlich in die Rente zu gehen. Nostradamus fühlt sich wegen seines Alters diskriminiert. Der Dekorateur und Knabenliebhaber Michelangelo Caravaggio soll zukünftig nur noch mit Damen zusammenarbeiten oder ganz alleine dekorieren. Er meint, daß diese Anweisung eine Benachteiligung wegen seiner sexuellen Identität beinhalte und rechtswidrig sei.
    Können die Mitarbeiter des Arbeitgebers Heinrich von Kleist aufgrund des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes erfolgreich gerichtlich vorgehen?

Die Lösung:

1. Verbotene Spielarten der Diskriminierung

    Der Gesetzgeber hat in § 3 AGG geregelt, welche Arten von Handlungen, Akten, Unterlassungen aus seiner Sicht im Rahmen eines Benachteiligungsverbotes in Betracht kommen bzw. zu unterlassen sind.
    Der Gesetzgeber hat dabei 5 Handlungen bzw. Vorgehensweisen im Rahmen von Diskriminierungen ausdrücklich aufgeführt und gewertet:
    – Die unmittelbare Benachteilung,
    – die mittelbare Benachteiligung,
    – die Belästigung,
    – Sexuelle Belästigung und
    – die Anweisung zur Benachteiligung einer Person.

2. Unmittelbare Benachteiligung

    Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine beschäftigte Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere vergleichbare Person. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechtes liegt auch dann vor, wenn eine Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft benachteiligt wird.
    Beispiele:
    – Wir stellen keine Frauen ein,
    – für gleiche Arbeit bekommen Ausländer weniger Geld,
    – Schwerbehinderte bekommen kein Weihnachtsgeld, weil sie dem Betrieb ohnehin viel Geld kosten.
    Seit Abschaffung der „Leichtlohngruppen“ (Frauen bekamen bei gleicher Arbeit und Leistung weniger Geld) bemühen sich die meisten Arbeitgeber, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sowie Betriebsräte unmittelbare Diskriminierungen in den Betrieben zu unterlassen.
    Achtung: Soweit unmittelbare Diskriminierungen noch geschehen, finden diese zumeist zwischen Arbeitskollegen statt. Hier hat der Arbeitgeber die Pflicht, bei Bekanntwerden sofort einzugreifen und dies zu unterbinden, andernfalls macht er sich schadenersatzpflichtig.

3. Mittelbare Diskriminierung

    Die mittelbare Benachteiligung von Arbeitnehmern oder Arbeitnehmergruppen ist heute der Hauptfall der Diskriminierung in der Arbeitswelt bzw. in den Betrieben. Da in den Zeiten der „political correctness“ anerkannt ist, daß unmittelbare Diskriminierungen „unfein“ sind, weichen viele Menschen in der Arbeitswelt – Arbeitgeber wie Arbeitnehmer – in den Bereich der mittelbaren Benachteiligung aus.
    Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung dann vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften oder neutrale Kriterien und Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen im Betrieb in besonderer Weise benachteiligen können. Eine solche mittelbare Benachteiligung ist nach dem Willen des Gesetzgebers allerdings dann zulässig, wenn die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich sind.
    In der Vergangenheit hat sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes vor allem mit der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechtes befaßt. Nach dem klar war, daß die unmittelbare Diskriminierung der Frau in der Arbeitswelt nicht zu halten ist, traten viele Bereiche der mittelbaren Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt auf, z.B.:
    – Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten bei betrieblicher Altersversorgung,
    – Ausschluß der Geringbeschäftigten von der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall,
    – die Weigerung, Geringbeschäftigten oder anderen Teilzeitbeschäftigten Urlaub zu gewähren oder Feiertagsvergütung bzw. die Pflicht, Feiertage nachzuarbeiten.
    Nach der Rechtsprechung handelte es sich in allen diesen Fällen um die mittelbare Benachteiligung einer Geschlechtergruppe, da hier zwischen 75 und 98 % ausschließlich Frauen betroffen waren. Ein sachlicher Grund für diese mittelbare Diskriminierung lag nicht vor.
    Auch heute können scheinbar völlig neutrale Anforderungen/Kriterien diskriminierend sein, z.B.
    – Beförderungsvoraussetzungen: ununterbrochene tatsächliche Beschäftigung = mittelbare Diskriminierung von Frauen,
    – Einstellungsbedingung: Akzentfreies Deutsch oder einwandfreies Ergebnis bei schriftlichem Deutsch-Sprachtest, obwohl die fehlerfreie schriftliche Beherrschung der deutschen Sprache für den Arbeitsplatz nicht notwendig ist = mittelbare Diskriminierung ausländischer Bewerber (Nationalität/ethnische Herkunft),
    – Einstellungs-/Beförderungsbedingung: Uneingeschränkte körperliche Belastbarkeit = mittelbare Diskriminierung von Behinderten,
    – Einstellungsvoraussetzung in der Gastronomie: Glattes Haar = mittelbare Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft,
    – keine Kopfbedeckung im Dienst = möglicherweise mittelbare Diskriminierung wegen der Religion.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug