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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 245: Ethik-Regeln V – Test im laufenden Arbeitsverhältnis

Der Fall:

    Arbeitgeber Pietro Metastasico will Ethik-Regeln per Rundschreiben im Betrieb einführen. Die Regel Nr. 1 lautet:
    „Die Firma Metastasico setzt sich für eine drogen- und alkoholfreie Arbeitsumgebung ein. Sie kämpft mit strengen Richtlinien gegen Alkohol- und Drogenmißbrauch. Deshalb verlangt Metastasico von allen Bewerbern für einen Arbeitsplatz als Teil des Einstellungsprozesses einen Leber- und Drogentest. Ein Bewerber, der positiv auf Drogen getestet wird, wird nicht eingestellt.
    Bei Beförderung wird ebenfalls jeder Bewerber auf Drogenkonsum und Alkoholabhängigkeit getestet. Ein solcher Test findet außerdem statt im Falle von Arbeitsunfällen und jederzeit bei einem begründeten Verdacht“.
    Der Betriebsratsvorsitzende Rinaldo Kuttelwascher ist empört. Er ist nicht generell gegen Alkohol- und Drogentests. Er reklamiert jedoch für sich ein Mitbestimmungsrecht und will dem Arbeitgeber untersagen, ohne Zustimmung des Betriebsrats ein Alkohol- und Drogenscreening durchzuführen.
    Der Bewerber Johnny Schneeweiß und die Mitarbeiterin Emmy Asbach fragen sich, ob sie verpflichtet sind, solche Tests durchzuführen, was passiert bei einer Weigerung?
    Pietro Metastasico verweist darauf, daß die „sauberen Arbeitnehmer“ nichts zu befürchten haben. Deshalb seien die Tests unbedenklich. Wer sich weigert, wird nicht eingestellt bzw. abgemahnt und gekündigt.

Die Lösung:

1. Prüfungsbedarf

    Immer mehr Arbeitgeber sehen einen betrieblichen Bedarf zu Alkohol- und Drogentests im laufenden Arbeitsverhältnis. Zum einen wurden teilweise bei der Einstellung schon abhängige Mitarbeiter eingestellt, zum anderen aber kann eine Abhängigkeit durchaus auch erst im Laufe des Arbeitsverhältnisses entstehen.
    Es gibt mittlerweile Arbeitgeber, die von ihrem Personal routinemäßig in regelmäßigen Abständen von z.B. einem oder mehreren Jahren solche Tests verlangen. Andere Arbeitgeber verlangen sie anlaßbezogen, wie z.B. Pietro Metastasico.

2. Verweigerungsrecht des Arbeitnehmers?

    Der Arbeitgeber kann Blut-, Leber- oder Haartests nicht zwangsläufig gegen den Willen des Arbeitnehmers durchsetzen. Das wäre nur im Strafprozeß möglich.
    Allerdings kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer abmahnen oder gar kündigen, wenn er die Mitwirkung an einer Untersuchung zu Unrecht verweigert. Die Pflicht zur Untersuchung kann sich aus dem Arbeitsvertrag, aber auch aus dem Gesetz oder Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung ergeben.
    Merke: Eine solche Pflicht besteht jedoch im laufenden Arbeitsverhältnis stets nur im Ausnahmefall!

3. Arbeitsvertragliche Verpflichtung

    Eine arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Untersuchung besteht nur bei einem konkreten, dringenden Anlaß. Dies gilt insbesondere dann, wenn begründete Zweifel bestehen, daß der Arbeitnehmer den Anforderungen des Arbeitsplatzes z.B. aus gesundheitlichen Gründen nicht gerecht wird.
    Eine solche Pflicht besteht auch dann, wenn der auf Tatsachen begründete Verdacht besteht, daß eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit besteht bzw. ein entsprechender Konsum im Betrieb stattgefunden hat.
    Achtung: Ein Alkohol- oder Drogenmißbrauch im Privatbereich führt in der Regel nicht zur Untersuchungspflicht des Arbeitnehmers, solange er während der Arbeitszeit sauber bleibt.
    Regelmäßige Routinekontrollen lassen sich ebenfalls nicht aus den arbeitsvertraglichen Verpflichtungen herleiten.

4. Gesetzliche und andere Regelungen

    In Gesetzen, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen finden sich i.d.R. nur wenige Regelungen.
    Gesetzliche Rausch- und Drogenverbote bestehen für den Wach- und Sicherheitsdienst sowie für Besatzungsmitglieder von Flugzeugen. Auch nach dem Waffengesetz sind rauschmittel- oder trunksüchtige Personen als unzuverlässig anzusehen. Solche Verbote können sich auch in berufsgenossenschaftlichen Vorschriften finden.
    Gleichwohl kann der Arbeitgeber auch in diesen Fällen z.B. von einem Wachmann oder Bauarbeiter nicht verlangen, daß er sich ohne besondere Verdachtsmomente routinemäßigen Kontrollen insoweit unterzieht. Stichprobenartige Kontrollen z.B. zu Beginn des Dienstes könnten allerdings zulässig sein.
    In Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen finden sich vor allem Regelungen zu Rauchverboten, kaum aber zu Alkohol- und Drogenkontrollen. Es ist auch nicht Aufgabe der Betriebspartner, einen „allgemeinen Gesundheitsfeldzug“ zu führen.

5. Zustimmung des Mitarbeiters

    Drogen- und Alkoholtests mit Zustimmung des Mitarbeiters sind generell zulässig. Solche freiwilligen Tests können auch gerichtlich verwertet werden.
    Voraussetzung ist jedoch die volle Kenntnis des Mitarbeiters über den Umfang des Tests sowie die Freiwilligkeit. Wird der Verzicht des Mitarbeiters auf sein Persönlichkeitsrecht durch Druck, Drohung oder eine Zwangslage vom Arbeitgeber herbeigeführt, wäre die Zustimmung unwirksam und das Ergebnis gerichtlich nicht verwertbar.

6. Der Fall

    Eine Ethik-Richtlinie mit der Pflicht zum Test für alle Bewerber bei Beförderungen oder Tests nach jedem Arbeitsunfall würde einen Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht darstellen. Ein sachlicher Grund bzw. eine Notwendikgeit für Alkohol- oder Drogentests bei Beförderungen ist nicht generell anzunehmen. Dies kann nur bei einzelnen wichtigen Positionen erforderlich sein, deren Stelleninhaber über das Wohl des Unternehmens oder über Leib und Leben der Mitarbeiter maßgeblich bestimmt.
    Eine Pflicht zum Alkohol- oder Drogenscreening nach Arbeitsunfällen stellt im allgemeinen ebenfalls einen Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht dar. Es ist jeder Einzelfall zu prüfen und damit festzustellen, ob ein dringender Verdacht auf Mitverursachung durch Alkohol oder Drogen gegeben ist.
    Im Falle eines begründeten Verdachts sind Gesundheitstests zulässig. Der Arbeitnehmer hat insoweit eine Pflicht zur Untersuchung. Allerdings muß sich der Verdacht auf konkrete Fakten gründen und die Tests im Rahmen der Verhältnismäßigkeit notwendig erscheinen, um weiteren Schaden vom Arbeitgeber abzuwenden.
    Im Ergebnis bedeutet dies, daß Mitarbeiter Tests ablehnen dürfen, soweit kein dringender sachlicher Grund zur Durchführung dieser Tests besteht. Sollte jedoch ein dringender Verdacht im Rahmen konkreter Vorkommnisse oder eines Arbeitsunfalls bestehen, so führt die Verweigerung durch den Arbeitnehmer ggf. zur sozial gerechtfertigten Kündigung durch den Arbeitgeber.

7. Mitbestimmung des Betriebsrats

    Betriebsratsvorsitzender Renaldo Kuttelwascher hat Recht, wenn er die Wahrung der Rechte des Betriebsrats fordert. Die Einführung von Alkohol- und Drogentests durch Arbeitgeber Metastasico berührt in jedem Falle das zwingende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Diese Tests stellen einen Teil der Ordnung des Betriebes im Sinne des Mitbestimmungsrechtes dar. Sie berühren ebenfalls das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb außerhalb seiner eigentlichen Arbeitsleistung. Ob ein Arbeitnehmer die Verpflichtung hat, an solchen Tests teilzunehmen oder nicht, ist keine Frage des mitbestimmungsfreien Arbeitsverhaltens, sondern eine Frage des Ordnungsverhaltens.
    Aus diesem Grunde muß der Arbeitgeber Metastasico vor der Einführung solcher Ethik-Regeln die Zustimmung des Betriebsrats einholen. Etwas anderen gilt nur, wenn entweder bereits eine gesetzliche Regelung existiert (z.B. Wachpersonal, Fliegerpersonal) oder wenn ein reiner Einzelfall vorliegt ohne kollektiven Bezug. Ein kollektiver Bezug ist jedoch nahezu immer gegeben, weil praktisch immer betriebliche Interessen bei einem solchen Fehlverhalten des Mitarbeiters berührt sind.
    Achtung: Gesetzliche Regeln sind auch Unfallverhütungsvorschriften. Soweit diese ein Alkohol- oder Drogenverbot vorschreiben, ist gleichwohl die Art der Kontrolle, die Häufigkeit und die Regelung der Gesamtumstände bzw. des Verfahrens mitbestimmungspflichtig. Insoweit besteht dann ein weiteres Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Ziff. 7 BetrVG.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug