Hans-Gottlob-Ruehle.de
Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 246: Ethik-Regeln VI – keine Belästigungen und lüsterne Blicke

Der Fall

    Arbeitgeber Johnny Cash sieht sich wegen laufender Schmerzensgeld- und Schadenersatzansprüche seiner Mitarbeiter gezwungen, Ethik-Richtlinien mit folgendem Inhalt in seinem Betrieb einzuführen:
    „Belästigung und unangemessenes Verhalten.
    Belästigungen jeder Art gegenüber Kollegen, Lieferanten, Kunden oder jeder anderen Person, die mit der Cash-GmbH in Geschäftsbeziehung steht, werden nicht toleriert. Belästigung ist jedes Verhalten, das eine negative Auswirkung auf die Arbeitsleistung hat, die Würde einer Person herabsetzt oder eine einschüchternde, feindliche oder aggressive Arbeitsumgebung schafft.
    Verbale Äußerungen, Gesten und Blicke sowie körperliche Handlungen sexueller Natur können rechtswidrige sexuelle Belästigungen darstellen. Beispiele dafür sind:
    Sexuelle Annäherung, Bitten um sexuelle Gefälligkeiten, Gossensprache, zweideutige Witze, Bemerkungen über Körper oder sexuelle Aktivitäten.
    Untersagt ist insbesondere auch unangemessenes Anfassen, die Schaustellungen sexuell suggestiver Bilder und lüsterne oder anzügliche Blicke! Vermeiden Sie Witze oder Kommentare, verwenden Sie keine Spitznamen, wenn Sie nicht sicher sind, ob diese korrekt sind. Keine sexuellen Annäherungen gegenüber allen Kollegen oder einer anderen Person, mit der Sie zusammenarbeiten.
    Es darf niemand bevorzugt werden, wenn Sie in persönlicher Beziehung zu dieser Person stehen. Geben Sie unverzüglich Bericht über jede Art von Belästigungen oder unangemessenem Verhalten.“
    Betriebsrat Igor Nastarowje ist durch das Alkoholverbot schon heftig gebeutelt. Er wird bei Johnny Cash vorstellig und wettert heftig gegen diesen neuen Ethik-Kram. Zumindest aber müssen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gewahrt werden. Ohne Zustimmung des Betriebsrats laufe überhaupt nichts.
    Auch der Arbeitnehmer Luigi Casanova fragt sich, ob der Arbeitgeber Johnny Cash hier nicht die Grenzen des gezielten Mobbings überschreitet. Schließlich müsse ein Späßchen in Ehren zulässig sein. Sonst sei das Arbeitsklima völlig versaut. Luigi Casanova erwartet deshalb Rückendeckung vom Betriebsrat.
    Arbeitgeber Johnny Cash ist nun richtig sauer. Er erweitert deshalb die Ethik-Richtlinie um folgenden Punkt:
    „Johnny Cash toleriert keine Gewalt oder Androhung von Gewalt auf dem Betriebsgelände oder bei der Ausübung der Arbeitspflichten gegenüber Mitarbeitern, Kunden oder sonstigen dritten Personen.“
    Nun ruft Igor Nastarowje das Arbeitsgericht an, weil er sich und die Belegschaft ständig übergangen und gemobbt fühlt.

Die Lösung

1. Sexuelle Belästigung

    Arbeitgeber Johnny Cash wird von seinen Mitarbeitern völlig verkannt. Er ist schon aus gesetzlichen Gründen verpflichtet, alle Arbeitnehmer oder andere Personen vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu schützen. Dies ist zwingend in § 2 Abs. 1 Beschäftigtenschutzgesetz geregelt. Außerdem verlangt der Gesetzgeber von ihm auch vorbeugende Maßnahmen.
    Wo eine solche gesetzliche Verpflichtung besteht, hat Arbeitgeber Johnny keinen Handlungsspielraum. Er muß tätig werden. Sexuelle Belästigung darf im Betrieb nicht geduldet werden. Insoweit besteht auch kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats!
    Nach § 3 Beschäftigtenschutzgesetz haben die betroffenen Mitarbeiter das Recht, sich im Betrieb zu beschweren. Nach § 4 Beschäftigtenschutzgesetz muß der Arbeitgeber bei berechtigten Beschwerden angemessene arbeitsrechtliche Maßnahmen ergreifen, wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder gar Kündigung.
    Ergreift der Arbeitgeber keine geeigneten Maßnahmen zur Unterbindung der sexuellen Belästigungen, so sind die betroffenen Arbeitnehmer berechtigt, ihre Tätigkeit am Arbeitsplatz ohne Verlust des Arbeitsentgeltes einzustellen. Sie können darüber hinaus Schmerzensgeld oder Schadenersatz verlangen.

2. Mitbestimmung

    Bei dieser zwingenden gesetzlichen Regelung gibt es kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, da der Arbeitgeber selbst keinen Spielraum hat. Allerdings gibt das Gesetz dem Arbeitgeber einen Regelungsspielraum bei der konkreten Umsetzung und Durchführung des Belästigungsverbotes.
    Arbeitgeber Johnny muß dann eingreifen und geeignete Maßnahmen durchführen, wenn ein Betroffener die sexuelle Belästigung erkennbar ablehnt (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 Beschäftigtenschutzgesetz). Wie dann vorgegangen wird, ob durch Ermahnung, Abmahnung, Umsetzung, Versetzung etc., ist regelbar. Hier bestehen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats Igor, die der Arbeitgeber beachten muß (§ 87 Abs. 1 Nr. 1, § 99 und § 102 BetrVG).
    Auch bei den gesetzlich geforderten vorbeugenden Maßnahmen besteht ein Mitbestimmungsrecht, wenn es um das „Wie“, d.h. um die Durchführung geht, z.B. um die Ausgestaltung des Arbeitsumfeldes, die Beleuchtung von Parkplätzen und Wegen, Sichtblenden an Arbeitstischen, Aufklärung und Fortbildungsveranstaltungen.

3. Allgemeine Belästigung

    Bei der Ethik-Richtlinie geht es aber nicht nur um sexuelle Belästigung. Arbeitgeber Johnny verbietet zu Recht jegliches Verhalten, das die Würde der Person herabsetzt oder z.B. eine einschüchternde oder aggressive Arbeitsumgebung schafft. Er verbietet auch zu Recht beleidigende, beschimpfende Bemerkungen und Witze. Damit geht der Arbeitgeber erheblich über die Regelungen des Beschäftigtenschutzgesetzes hinaus.

4. Direktionsrecht

    Die Ethik-Richtlinien sind insoweit grundsätzlich vom Direktionsrecht des Arbeitgebers umfaßt. Jeder Arbeitnehmer hat die vertragliche Nebenpflicht, beleidigende, entwürdigende Bemerkungen, Handlungen oder Witze gegenüber Arbeitskollegen, Kunden etc. zu unterlassen. Dies muß im Arbeitsvertrag nicht besonders geregelt werden. Diese Nebenpflichten ergeben sich aus der Natur des Arbeitsverhältnisses. Es handelt sich hierbei nicht um eine Art Mobbing des Arbeitgebers, sondern um die Konkretisierung der arbeitsvertraglich geschuldeten Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.
    Achtung: Der Arbeitgeber muß sich jedoch davor hüten, bei Ethik-Richtlinien zu überziehen, Modetenzenden nachzuahmen und unklare, schwammige Begrifflichkeiten zu benutzen:
    Das Verbot der „Gossensprache“, oder „suggestiver Bilder“, oder „lüsterner Blicke“ ist problematisch, weil nur schwer objektiv festzustellen ist, was z.B. ein lüsterner oder anzüglicher Blick ist. Auch die Anweisung, generell Spitznamen zu vermeiden, dürfte eine überzogene Maßregelung der Mitarbeiter darstellen.

5. Aufgabe des Betriebsrats

    Soweit die Ethik-Richtlinie über die gesetzlich geregelte sexuelle Belästigung hinausgeht, regelt sie insgesamt das Zusammenleben der Mitarbeiter innerhalb des Betriebes neben oder parallel zur Arbeitsleistung. Damit regelt die Richtlinie das sog. Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer im Betrieb und das Zusammenleben der Betriebsgemeinschaft insgesamt.
    Diese Regelungen sind deshalb nach § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG stets mitbestimmungspflichtig. Der Betriebsrat hat die Aufgabe, mit dem Arbeitgeber zusammen genau zu regeln, in welchem Umfang Belästigungen untersagt werden sollen, welche Art von Belästigungen etc. Hier besteht die Aufgabe des Betriebsrats auch darin, die Belegschaft einerseits vor zu laschen und zu indifferenten Maßnahmen des Arbeitgebers zu schützen. Andererseits muß der Betriebsrat die Mitarbeiter auch vor einem etwaigen Übereifer des Arbeitgebers und einem zu starken Druck zu schützen, der die Betriebsgemeinschaft zerstören könnte.
    Achtung: Der Betriebsrat hat hier die Aufgabe, Scheinlösungen, Doppelbödigkeiten und Scheinheiligkeiten entgegenzutreten.
    Der Mitbestimmung unterliegt insbesondere auch das Procedere, d.h. die Durchführung der Maßnahmen.

6. Gewalt

    Kein Mitbestimmungsrecht besteht beim Gewaltverbot des Arbeitgebers. Er kann in Wahrnehmung seines Hausrechts zur Erhaltung des Betriebsfriedens anordnen, daß während der Arbeit ausnahmslos keine Gewalt ausgeübt wird. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber ein absolutes Gewaltverbot ausspricht und keinen Spielraum für Gestaltungsregelungen läßt.

>> Nächste Folge
<< Zurück zur Übersicht

 

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
 

Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

STARTSEITE >>

Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug