|
|
|
Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
|
|
|
|
Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
|
|
|
Folge 230: Neue Sperrzeitprobleme II
Der Fall:
Arbeitgeberin Pallas Athene kündigt betriebsbedingt ihren flotten Fahrradboten Hermes. Post- und Frachtbeförderung werden im Weg des Outsourcing auf die
Trojanische Spedition Priamus ausgelagert. Der altgediente Hermes ist empört. Unter Vermittlung des Rechtsanwaltes und Mediators Sokrates schlossen Pallas Athene und Hermes 2 Wochen nach Ausspruch der
Kündigung einen Abwicklungsvertrag, um eine Kündigungsschutzklage zu vermeiden. Darin ist geregelt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet wird. Im Gegenzug bekommt Hermes eine Abfindung von 5.000
Euro. Als bei der Arbeitsagentur die zuständige Sachbearbeiterin Cassandra von diesem Abwicklungsvertrag erfuhr, verhängte sie gegen den unglücklichen Hermes unverzüglich eine Sperrfrist von 5 Wochen für das
Arbeitslosengeld. Hermes ist verzweifelt. Was haben beide Parteien falsch gemacht?
Die Lösung
1. Die gesetzliche Sperrzeitregelung
In § 144 Abs. 1 Sozialgesetzbuch III (SGB III) hat der Gesetzgeber in Ziffer 1 die Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe wie folgt geregelt: Hat der
Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlaß für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und hat er dadurch vorsätzlich oder grobfahrlässig
die Arbeitslosigkeit herbeigeführt, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, so tritt eine Sperrzeit ein. Der Arbeitslose hat die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgeblichen
Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, wenn diese Gründe in seiner Sphäre oder seinem Verantwortungsbereich liegen. Die Sperrzeit beträgt nach § 144 Abs. 2 SGB III 12 Wochen. Sie kann unter bestimmten
Umständen auf 3 bis 6 Wochen abgekürzt werden.
2. Das neue BSG-Urteil
Das Bundessozialgericht (BSG) hat im Urteil vom 18.12.2003 (Az: B11AL35/03R) eine für Arbeitsvertragsparteien und für Arbeitslose wichtige Entscheidung
getroffen. Damit wird die bisherige Praxis des außergerichtlichen Abwicklungsvertrages zu Sperrzeiten von 12 Wochen führen.
3. Der Wille des Gesetzgebers
Der Gesetzgeber hat in § 144 SGB III bestimmt, daß eine Sperrfrist erst dann zu verhängen ist, wenn der Arbeitnehmer durch arbeitsvertragswidriges
Verhalten (Vertragsverstöße, Vertragsbruch) eine ordentliche oder außerordentliche fristlose Kündigung erhält. Hier liegt eine schuldhafte Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. Nach dem Willen des
Gesetzgebers soll eine Sperrfrist weiter verhängt werden, wenn der Arbeitnehmer mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einverstanden ist (einvernehmliche Beendigung) oder durch sein „kooperatives Verhalten“
an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mitwirkt. Dagegen soll keine Sperrfrist erhoben werden, wenn eine betriebsbedingte Kündigung oder eine personen-/krankheitsbedingte Kündigung vorliegt. Hier liegt
die Kündigungsursache entweder nicht im Verfügungsbereich des Arbeitnehmers oder es ist zumindest keine schuldhaftes Herbeiführen der Arbeitslosigkeit gegeben.
4. Neue Rechtsprechung
Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts ist es für die Verhängung einer Sperrfrist ausreichend, wenn der Arbeitnehmer durch seine Zustimmung zum
Aufhebungsvertrag eine wesentliche Ursache zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gesetzt hat. Unerheblich ist es, ob die Initiative zu diesem Aufhebungsvertrag vom Arbeitnehmer oder vom Arbeitgeber
ausgegangen ist. Es ist nach der neuen Entscheidung nunmehr nicht mehr zweifelhaft, daß der Arbeitnehmer auch durch den Abschluß eines sog. „Abwicklungsvertrages“ einen wesentlichen Beitrag zur Herbeiführung
seiner Beschäftigungslosigkeit leistet. Mit diesem Abwicklungsvertrag verzichtet der Arbeitnehmer nämlich ausdrücklich oder konkludent auf die Geltendmachung seines Kündigungsschutzes. Es ist dabei nicht
entscheidend, ob die Abwicklungs-Vereinbarung über die Hinnahme der Arbeitgeberkündigung und Zahlung einer Abfindung vor oder nach dem Kündigungsausspruch getroffen wird. Auch der erst nach Ausspruch einer
Kündigung vereinbarte Abwicklungsvertrag beinhaltet danach eine aktive Mitwirkung des beschäftigungslos gewordenen Mitarbeiters. Solche nachfolgenden Abwicklungsvereinbarungen sind nämlich dadurch
gekennzeichnet, daß dem Arbeitnehmer für den Verzicht auf den Kündigungsschutz eine Abfindung in Aussicht gestellt wird.
5. Mitwirkung Dritter
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist es unerheblich, ob der Aufhebungs-/Abwicklungsvertrag unmittelbar zwischen dem Arbeitgeber und dem
Arbeitnehmer abgeschlossen wurde, oder ob Dritte, z.B. Rechtsanwälte eingeschaltet wurden. Pallas Athene und Hermes können sich nicht darauf berufen, daß sie den Abwicklungsvertrag auf den wohlmeinenden Rat
des Rechtsanwaltes Sokrates hin abgeschlossen haben. Für die Verhängung der Sperrfrist ist dies ohne Belang. Achtung: Ausnahmen zu diesen Grundsätzen in der nächsten Folge!
>> Nächste Folge: << Zurück zur Übersicht
|
|
|
|
|
Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle: Reine Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung. Wichtiger Hinweis:
Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
|
Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
|
Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
|
|
|
|
|
|
Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
|
Folgenübersicht:
|
1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
228 - 240: Neue Sperrzeitprobleme Beendigungsvergleich
241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
253 - 264 Hitzeregelungen Internetnutzung (Kündigung)
265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
|
|
|