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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 201: Bindung an Zeugnistext

Der Fall

    Arbeitnehmerin Mata Hari mußte als Spionin wegen Arbeitsmangel entlassen werden. Zum Ausscheiden hatte ihr Arbeitgeber Basta ein zufriedenstellendes Zeugnis erteilt. Er hatte ihre Leistungen beim Nachrichtendienst als vorbildlich und hervorragend bezeichnet.
    Mata Hari gab dem Arbeitgeber Basta ihr Zeugnis mit der Bitte um Korrektur wegen eines falschen Geburtsdatums und diverser Schreibfehler zurück.
    Im neuen Zeugnis hatte der darob verärgerte Arbeitgeber Basta dann die Beurteilung „vorbildlich“ und „hervorragend“ gestrichen. Statt dessen nahm er auf: „Sie war stets mit sich und ihrer Leistung zufrieden. Es gelang ihr immer wieder, sich dem Durchschnittsniveau des Spionagebetriebs anzunähern. An dem, was sie sich leistete, hatte auch die Konkurrenz Freude.“
    Die Schlußformel: „Wir hätten ihren erfolgreichen Einsatz gerne noch weiter genutzt“ hat Arbeitgeber Basta gestrichen. Die Unterschrift unter das neue Zeugnis leistete eine Abteilungsleiterin.
    Mata Hari ist empört. Aus ihrer Sicht bestand kein Anlaß für diese Verschlechterung. Arbeitgeber Basta dagegen erklärte, mit dem ersten Zeugnis habe man sich geirrt. Das neue Zeugnis entspreche der Wahrheit.

Die Lösung

1. Anspruchsgrundlagen

    Die Arbeitnehmerin hat Anspruch auf ein Arbeits- und Dienstzeugnis mittlerweile nach dem neuen § 109 Gewerbeordnung. Diese Rechtsvorschrift ersetzt die alten Anspruchsgrundlagen. Ein Anspruch auf ein Zeugnis ergibt sich aber auch aus der nachwirkenden Fürsorgepflicht des Arbeitgebers im Rahmen des Arbeitsvertrages.

2. Qualifiziertes Zeugnis

    Die Arbeitnehmerin kann zwischen einem einfachen und einem qualifizierten Zeugnis wählen. Das einfache Zeugnis wäre lediglich eine Arbeitsbescheinigung, die lediglich Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit enthält.
    Darüber hinaus kann aber die Arbeitnehmerin nach § 109 Abs. 1 Gewerbeordnung verlangen, daß im Zeugnis Angaben über ihre Leistung und ihr Verhalten im Arbeitsverhältnis aufgenommen werden. Dies ist dann ein qualifiziertes Zeugnis.

3. Allgemeine Zeugnisgrundsätze

    Das Zeugnis hat sich insbesondere an 4 Grundsätzen zu orientieren:
    – es gilt der Grundsatz der Wahrheit,
    – genauso wichtig ist der Grundsatz des Wohlwollens,
    – daneben ist noch der Grundsatz der Vollständigkeit und
    – der Grundsatz der individuellen Beurteilung
    zu beachten.
    Dabei stehen aber der Grundsatz der Zeugniswahrheit und der Grundsatz der wohlwollenden Beurteilung im Vordergrund. Diese auseinanderstrebenden Grundsätze in einem Zeugnis zu vereinigen, ist eine besondere Kunst.
    Wahrheit und Wohlwollen können sich widersprechen. Wichtig ist aber, daß im Zeugnis nichts Unwahres stehen darf. Deshalb besteht die Kunst des Zeugnisschreibens manchmal im Weglassen. Ein Zeugnis wird nicht generell unwahr, wenn der Arbeitgeber einzelne Schwächen oder Vorfälle wegläßt. Das darf allerdings nicht dazu führen, daß ganz wesentliche und wichtige Fakten weggelassen werden. Sonst könnte das Zeugnis ein falsches Gesamtbild ergeben.

4. Ausstellungsbefugnis

    Das Arbeitszeugnis muß grundsätzlich vom Arbeitgeber persönlich oder bei einem Großbetrieb von dem dazu bestellten Vertreter der Personalabteilung unterschrieben werden. Es reicht nicht aus, wenn irgendein Vorgesetzter oder Abteilungsleiter das Zeugnis unterschreibt. Auch ein außenstehender Dritter, z.B. ein Steuerberater oder Handlungsbevollmächtigter des Arbeitgebers darf das Zeugnis nicht unterschreiben.
    Deshalb kann Mata Hari darauf bestehen, daß Arbeitgeber Basta das Zeugnis unterschreibt.

5. Zeugnisinhalt

    Das qualifizierte Zeugnis soll ein getreues Spiegelbild der vom Arbeitnehmer erbrachten Tätigkeiten, Verhaltensweisen etc. sein. Deshalb erstreckt sich das Zeugnis auch auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis.
    Zur Leistung gehören insbesondere Kriterien wie Fachkenntnisse, Arbeitsbereitschaft, Arbeitsinitiative, Arbeitsqualität und Fleiß.
    Das Verhalten erstreckt sich vor allem auf das soziale Verhalten, z.B. das Verhalten gegenüber vorgesetzten Kollegen, Untergebenen, Kunden etc.
    Am Schluß des qualifizierten Zeugnisses muß eine Gesamtbeurteilung vom Arbeitgeber vorgenommen werden. Diese „Gesamtnote“ führt immer wieder zu Problemen.

6. Zeugnisberichtigungsanspruch

    Entspricht das erteilte Zeugnis nach Form und Inhalt nicht den tatsächlichen oder den rechtlichen Anforderungen, so hat die Arbeitnehmer einen Anspruch auf Berichtigung des Zeugnisses. Dies gilt sowohl für Fehler bei den Fakten, z.B. beim Geburtsdatum, wie auch für Rechtschreibfehler, wie auch für inhaltliche Fehler.
    Der Arbeitgeber erfüllt den Zeugnisanspruch der Mitarbeiterin nach § 109 Gewerbeordnung erst dann, wenn er ein formal und inhaltlich korrektes Zeugnis erstellt hat. Dies bedeutet, daß er in der Regel auch die Beweislast für die von ihm aufgestellten Behauptungen oder Wertungen trägt.
    Achtung: Nach neuerer Rechtsprechung trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für eine Benotung, die unterdurchschnittlich ist. Will die Arbeitnehmerin eine überdurchschnittliche Benotung, so trägt sie insoweit die Darlegungs- und Beweislast. Als gute durchschnittliche Benotung hat das Bundesarbeitsgericht die Formulierung „Zur vollen Zufriedenheit“ angesehen. Will die Arbeitnehmerin eine bessere Benotung, z.B. „stets zur vollen Zufriedenheit“ oder „zur vollsten Zufriedenheit“, so muß sie beweisen, daß ihre Leistungen besser waren als „gut durchschnittlich“ und damit besser als vom Arbeitgeber angegeben. Will der Arbeitgeber dagegen lediglich die Benotung „Zur Zufriedenheit“ (etwa: ausreichend) oder „Stets zur Zufriedenheit“ (schwaches befriedigend) wählen, so trägt er bei Streit die Beweislast für die unterdurchschnittliche Bewertung.

7. Bindung an das Vorzeugnis

    Das Bundesarbeitsgericht hat nunmehr entschieden, daß der Arbeitgeber an den Wortlaut des von ihm bereits erteilten Beendigungszeugnisses gebunden ist, soweit die Arbeitnehmerin nicht eine Zeugnisberichtigung oder Zeugnisänderung beantragt. Der Streit der Parteien dreht sich dann nur noch um die beanstandeten Teile. Sind diese beanstandeten Teile ganz oder teilweise falsch, so muß der Arbeitgeber ein neues Zeugnis ausstellen.
    Bei der Erstellung dieses neuen Zeugnisses ist der Arbeitgeber jedoch im übrigen an den bisherigen, von der Arbeitnehmerin nicht beanstandeten Zeugnistext gebunden. Er kann nicht aus Rache oder als „Bestrafung“ eine gute Formulierung einfach abändern und verschlechtern.
    Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Arbeitgeber nachträglich, d.h. nach der Ausstellung des ersten Zeugnisses Umstände bekannt geworden sind, die Leistung oder Verhalten der Arbeitnehmerin in einem anderen Licht erscheinen lassen. Nur solche neuen Erkenntnisse oder Informationen können zu einer weiteren Änderung oder Verschlechterung führen.
    Da Arbeitgeber Basta solche neuen Informationen nicht vorgetragen hat, ist er an den alten Zeugnistext einschließlich der Schlußformulierung gebunden. Er muß die neuen Formulierungen wieder streichen.
     

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug