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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 192: Ausgleichsquittung IV
Unzulässiger Lohnverzicht

Der Fall

    Arbeitgeber Hans Sachs einigt sich mit der Arbeitnehmerin Fatima auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Er zahlt ihr den Restlohn aus, übergibt ihr die Arbeitspapiere nebst Abrechnung und legt ihr folgende, vorformulierte Vereinbarung vor:
    „Das Arbeitsverhältnis ist am 30.9.2005 beendet worden.
    Anläßlich der Beendigung meines Arbeitsverhältnisses sind mir folgende Papiere ausgehändigt worden: Lohnsteuerkarte, Arbeitsbescheinigung, Urlaubsbescheinigung, Abmeldung zur Sozialversicherung und Lohnabrechnung.
    Ich bestätige ausdrücklich, daß mir aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung keine Ansprüche mehr zustehen.
    Ich habe alle Werkzeuge und sämtliches Firmeneigentum vollständig zurückgegeben.
    Diese Erklärung habe ich sorgfältig gelesen und verstanden. Eine Durchschrift habe ich erhalten.“
    Fatima überprüft ihre Papiere und unterschreibt das Schriftstück.
    Als sie zuhause ihre Lohnabrechnung überprüft, stellt sie fest, daß noch 10 Tage Urlaubsabgeltung in Höhe von 800 Euro, die Bezahlung von 100 Überstunden in Höhe von 1.000 Euro und ein Zeugnis fehlen. Fatima macht bei Hans Sachs deshalb eine Nachzahlung von 1.800 Euro brutto nebst Ausstellung eines Zeugnisses geltend.
    Hans Sachs legt ihr die Ausgleichsquittung vor und verweist auf den Absatz, in dem sie ausdrücklich bestätigt, keine Ansprüche mehr zu besitzen. Damit sei die Sache erledigt. Fatima geht vor’s Arbeitsgericht.

Die Lösung

10. Unangemessene Benachteiligung

    § 307 Abs. 1 BGB bestimmt, daß Allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam sind, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
    Eine unangemessene Benachteiligung ist dann anzunehmen, wenn der Verwender / Arbeitgeber durch einseitige Vertragsgestaltung seine eigenen Interessen unter Mißbrauch seiner Vertragsmacht auf Kosten seines Vertragspartners, der Arbeitnehmerin durchzusetzen versucht. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber dies versucht, ohne von vorneherein die berechtigten Belange der Arbeitnehmerin hinreichend zu berücksichtigen und ihr einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen.
    In Ausgleichsquittungen ist ein solch angemessener Ausgleich in der Regel nicht enthalten. Deshalb benachteiligen Ausgleichsquittungen in aller Regel die Arbeitnehmer unangemessen.
    Eine gegen Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung muß jedenfalls regelmäßig dann angenommen werden, wenn die Arbeitnehmerseite einseitig und unentgeltlich, d.h. ohne finanziellen Ausgleich auf ihre restlichen Ansprüche und Rechte aus ihrem Arbeitsverhältnis verzichtet.
    In unserem Falle hat die Arbeitnehmerin Fatima mit der Ausgleichsklausel auf ihre Ansprüche umfassend verzichtet, ohne daß Arbeitgeber Hans Sachs irgendeine Gegenleistung dafür erbracht hätte. Ein solcher einseitiger Verzicht stellt ganz regelmäßig eine unzulässige Benachteiligung der Arbeitnehmerin dar. Ein solcher Verzicht ist deshalb wegen Verstoßes gegen § 307 BGB rechtsunwirksam.

11. Überraschungsklausel

    § 305 c BGB verbietet außerdem in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestimmungen, die nach den Umständen, insbesondere auch nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages so ungewöhnlich sind, daß der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen brauchte. Solche Überraschungsklauseln oder mehrdeutige Klauseln werden nach dem Gesetz nicht Vertragsbestandteil und sind rechtsunwirksam.
    Zweifel bei der Auslegung der ausgeschriebenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen gehen stets zu Lasten des Verwenders, d.h. hier zu Lasten des Arbeitgebers, § 305 c Abs. 2 BGB.
    Der Überraschungseffekt einer Ausgleichsquittung liegt regelmäßig darin, daß der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Restlohn, Arbeitspapiere oder andere Dinge erhält. Ggf. gibt auch der Arbeitnehmer bestimmte Gegenstände aus dem Firmeneigentum an den Arbeitgeber zurück, wie z.B. schriftliche Unterlagen, Werkzeug, Dienstwagen, Arbeitskleidung etc.
    Es ist ganz normal für jeden verständig denkenden Arbeitnehmer und berechtigt, wenn der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer dafür eine schriftliche Quittung verlangt. Dies ist in § 368 BGB auch so geregelt.
    Typischerweise wird dann mit dieser Quittung zusätzlich und mehr oder weniger überraschend ein Globalverzicht auf sämtliche weiteren Rechte und Ansprüche zum Arbeitsverhältnis verbunden. Wer im Berufsleben insoweit nicht erfahren ist, muß nicht mit einer solchen Erweiterung der berechtigten Quittung für übergebene Gegenstände rechnen.

12. Fehlende Verständlichkeit

    Die Formulierung der Ausgleichsquittung ist zumeist für viele Arbeitnehmer auch rechtlich in ihrer Konsequenz nicht nachvollziehbar. Solche Formulierungen sind selbst für Juristen nicht immer klar, sondern mehrdeutig.
    Der Überraschungseffekt wird für den Arbeitnehmer dann noch größer, wenn die eigentliche Ausgleichsklausel, d.h. die eigentliche Verzichtserklärung im Schriftbild der Gesamtquittung nicht besonders hervorgehoben ist, sondern im Text mehr oder weniger mit den anderen Dingen gemeinsam durchformuliert worden ist.
    So war dies im Falle der Arbeitnehmerin Fatima.
    Ob die Verzichtsklausel eine Überraschung darstellt, beurteilt sich im übrigen nicht nach den Erkenntnismöglichkeiten, der Intelligenz und der Erfahrung des einzelnen konkreten Arbeitnehmers. Vielmehr ist abzustellen auf den Empfängerhorizont des typischerweise zu erwartenden Durchschnittarbeitnehmers und dessen Möglichkeit, die Rechtsfolgen einer Erklärung zu durchschauen und zu würdigen.
    Da der durchschnittliche Arbeitnehmer regelmäßig weder juristisch gebildet ist, noch die Tragweise einer beiläufigen Ausgleichsquittung erkennen kann, muß er insoweit als rechtsunkundig bzw. nicht ausreichend rechtskundig angesehen werden. Dies bedeutet im Ergebnis, daß die Ausgleichsquittung ganz regelmäßig auch wegen Verstoßes gegen die Überraschungsklausel des § 305 c BGB rechtsunwirksam ist.
     

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug