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Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
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Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
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Folge 193: Ausgleichsquittung V Unzulässiger Lohnverzicht
Der Fall
Arbeitgeber Hans Sachs einigt sich mit der Arbeitnehmerin Fatima auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Er zahlt ihr den Restlohn aus, übergibt ihr
die Arbeitspapiere nebst Abrechnung und legt ihr folgende, vorformulierte Vereinbarung vor: „Das Arbeitsverhältnis ist am 30.9.2005 beendet worden. Anläßlich der Beendigung meines Arbeitsverhältnisses sind
mir folgende Papiere ausgehändigt worden: Lohnsteuerkarte, Arbeitsbescheinigung, Urlaubsbescheinigung, Abmeldung zur Sozialversicherung und Lohnabrechnung. Ich bestätige ausdrücklich, daß mir aus dem
Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung keine Ansprüche mehr zustehen. Ich habe alle Werkzeuge und sämtliches Firmeneigentum vollständig zurückgegeben. Diese Erklärung habe ich sorgfältig gelesen und
verstanden. Eine Durchschrift habe ich erhalten.“ Fatima überprüft ihre Papiere und unterschreibt das Schriftstück. Als sie zuhause ihre Lohnabrechnung überprüft, stellt sie fest, daß noch 10 Tage
Urlaubsabgeltung in Höhe von 800 Euro, die Bezahlung von 100 Überstunden in Höhe von 1.000 Euro und ein Zeugnis fehlen. Fatima macht bei Hans Sachs deshalb eine Nachzahlung von 1.800 Euro brutto nebst
Ausstellung eines Zeugnisses geltend. Hans Sachs legt ihr die Ausgleichsquittung vor und verweist auf den Absatz, in dem sie ausdrücklich bestätigt, keine Ansprüche mehr zu besitzen. Damit sei die Sache
erledigt. Fatima geht vor’s Arbeitsgericht.
Die Lösung
13. Verstoß gegen das Transparenzgebot
Die der Arbeitnehmerin von Hans Sachs vorgelegte Ausgleichsquittung verstößt weiterhin gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Danach kann
eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners auch dann vorliegen, wenn die Bestimmungen des Vertrages bzw. der Ausgleichsklausel nicht klar und verständlich sind. Dieses Transparenzgebot zwingt
den Verwender einer Ausgleichsklausel im Rahmen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen dazu, die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners nach den Grundsätzen von Treu und Glauben möglichst klar und für den
Partner durchschaubar darzustellen. Dies setzt voraus, daß neben einer allgemeinverständlichen Formulierung mit Hinweisen auf die Tragweite auch die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen erkennbar
werden. Wie weit die einzelnen Pflichten des Arbeitgebers bei der Ausgleichsquittung insoweit gehen, hängt vom Einzelfall ab. Die der Arbeitnehmerin Fatima vorgelegte Ausgleichsquittung ist weder für den
durchschnittlichen Arbeitnehmer verständlich, noch hat sie ihr die wirtschaftlichen Nachteile des Anspruchsverzichtes hinreichend deutlich gemacht. Es ist weder der ohnehin rechtswidrigen Verzicht auf
Urlaubsabgeltung, noch der Verzicht auf die Auszahlung der restlichen Überstunden und auf die Erteilung eines Zeugnisses aus dem Zusammenhang erkennbar. Letztendlich sind solche Klauseln sehr oft irreführend
und überraschend, wenn sie keine Einzelheiten enthalten oder wenn nicht ausführlich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Konsequenzen dargelegt und diskutiert wurden.
14. Besonderheiten des Arbeitsrechts
Nach § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB sind bei der Anwendung der AGB-Regeln auf Arbeitsverträge die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu
berücksichtigen. Diese Einschränkung des Gesetzgebers für Arbeitsverhältnisse im Rahmen der AGB-Gesetzgebung führt jedoch nicht zu einem anderen Ergebnis. Zu den Besonderheiten des Arbeitsrechts gehört es
jedenfalls nicht, daß ein Arbeitgeber ohne jegliche Gegenleistung einen Vertragspartner dazu veranlassen darf, auf sämtliche rechtlichen Ansprüche zu verzichten, ohne daß dafür ein besonderer Grund vorhanden
wäre. Zu den Besonderheiten des Arbeitsrechts zählt auch ein fairer Umgang zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dieser faire Umgang setzt bei Gestaltung einer Ausgleichsquittung voraus, daß eine
Verzichtserklärung ausreichend klar formuliert und aus den allgemeinen Quittungsbestandteilen herausgehoben ist. Leider ist es so, daß ein solcher fairer Umgang miteinander gerade im Falle der
Ausgleichsquittungen nicht den Normalfall darstellt. Die „Üblichkeiten“ in der betrieblichen Praxis gingen in der Vergangenheit eher dahin, daß die Verzichtsklauseln in Ausgleichsquittungen unauffällig in den
Inhalt eingefügt waren. Diese „Üblichkeit“ ergibt jedoch keinen Rechtfertigungstatbestand, diesen Brauch auch in Zukunft fortzuführen. Nach der neuen Schuldrechtsreform müssen Arbeitgeber damit rechnen, daß ihre
- vielleicht noch im Unternehmen vielfach vorhandenen - Formulare so von den Gerichten nicht mehr akzeptiert werden. Praxistip: Den Arbeitgebern ist es zu
empfehlen, die alten Formulare wegzuwerfen oder zu vernichten und eine entsprechende Software auszusondern, bzw. der Personalabteilung die Anweisung zu geben, ein entsprechendes
elektronisches Formular nicht mehr in dieser Weise zu benutzen.
15. Wie mache ich es besser?
Wie am Anfang der Serie ausgeführt, sind Ausgleichsquittungen nicht grundsätzlich unzulässig. Die vielen gesetzlichen Hürden brauchen nicht dazu zu führen,
daß zukünftig dieses Instrument überhaupt nicht mehr angewandt wird. Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist aufgrund der gesetzlichen Gegebenheiten zu raten, entsprechend § 305 b BGB nicht mit vorgefertigten
Formularen zu arbeiten, sondern jeweils eine echte Individualvereinbarung abzuschließen. Dies setzt voraus, daß dem Arbeitnehmer eine Quittung nicht einfach vorgelegt wird, sondern daß über Restansprüche in
allen Einzelheiten diskutiert wird, soweit diese bekannt sind. Dann kann von einem fairen Verfahren ausgegangen werden. Die daraufhin abgeschlossene Vereinbarung wäre eine echte Individualvereinbarung, die
nicht unter die einschränkenden Vorschriften der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach § 305 ff BGB fällt. Praxistip: Zum Nachweis der Verhandlungen über
den abschließenden Vergleich mit einer Abgeltungsformel ist dringend zu empfehlen, daß über die Verhandlungen, den Verhandlungsinhalt und das Verhandlungsergebnis ein schriftliches
Protokoll gefertigt wird, das von beiden Seiten unterzeichnet wird. So kann im Zweifel jede Seite nachweisen, daß das Verhandlungsergebnis bzw. der Beendigungsvergleich mit Abgeltungsklausel fair und ordentlich
zustande gekommen ist. Darüber hinaus empfiehlt es sich, keinen einseitigen Verzicht zu vereinbaren. Vielmehr sollte die Verzichts- bzw. Abgeltungsklausel für beide Seiten gelten. Im Falle von Hans Sachs
und Fatima wäre es deshalb richtig gewesen, über die einzelnen Restansprüche sowohl des Arbeitgebers wie der Arbeitnehmerin zu sprechen, eine Einigung herbeizuführen und dann in einem individuell formulierten
Beendigungsvergleich einzelne Zahlungen oder den Verzicht auf bestimmte Recht zu regeln.
16. Gerichtlicher Vergleich
Ein gerichtlicher Vergleich wird nicht von den Vorschriften über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen erfaßt. Der gerichtliche Vergleich stellt gerade eine
Individualabrede nach § 305 b BGB dar. In einem solchen Vergleich werden die verschiedenen Rechte beider Seite besprochen. Jede Seite hat die Möglichkeit, ihre Belange darzulegen und zu diskutieren. In jedem
Falle erfolgt eine individuelle Regelung nach dem Ergebnis des Vortrags der Parteien. Keine Partei ist gezwungen, sich auf eine überraschende, nicht durchdachte Lösung einzulassen. Die dann am Schluß
vereinbarten Abgeltungsklausel betrifft stets beide Seiten. Wenn offen und mit Bedacht vor Gericht die Ansprüche beider Seiten besprochen und geregelt worden sind, dann kann mit gutem Gewissen die
Ausgleichsklausel in den Vergleich aufgenommen werden: „Damit sind sämtliche Ansprüche aus dem gegenseitigen Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, ob bekannt oder unbekannt,
erledigt.“
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
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Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
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Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
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Folgenübersicht:
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1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
228 - 240: Neue Sperrzeitprobleme Beendigungsvergleich
241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
253 - 264 Hitzeregelungen Internetnutzung (Kündigung)
265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
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