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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 78: Abmahnung und Kündigung

Die Abmahnung gilt – wie schon ausgeführt – heute als Kündigungsvorbereitungsinstrument. Dies ist zu bedauern, da die Abmahnung eigentlich den Arbeitnehmer warnen und ihn auf “den rechten Pfad der Tugend” zurückführen soll.
Gleichwohl ist es müßig, vor der Realität die Augen zu verschließen. Es ist deshalb das Verhältnis von Abmahnung und Kündigung zu prüfen.

Der Fall:

Arbeitgeber August der Starke hat den Stubenheizer Aegidius Wurz schon 3 Mal wegen kalter Stuben im Schloß zu Dresden abgemahnt. Beim 4. Mal hat er die Nase voll und kündigt.
Hofbildhauer Balthasar Permoser hat die schönste Venusfigur, die er jemals geschaffen hat, heimlich an den preußischen König verkauft. Das sieht August der Starke als massiven Vertrauensverstoß an. Er kündigt ohne Abmahnung.
Die Betriebsratsvorsitzende Aurora von Königsmarck tagt August dem Starken mit ihren betriebsrätlichen Hofdamen viel zu oft im Cafe “Zum grünen Gewölbe”. Er will sie wegen exzessiver Betriebsratstätigkeit zunächst abmahnen und dann kündigen. Liegt er richtig?

Die Lösung

1. Abmahnung / Kündigungsverzicht

Mit der Abmahnung warnt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, ein bestimmtes Verhalten zukünftig zu unterlassen. Die Abmahnung beinhaltet in der Regel die Androhung einer Kündigung bei zukünftigem Fehlverhalten.
Diese Androhung wirkt sich formell als ein Verzicht auf die Kündigung für diesen schon abgemahnten Fall aus. Der Arbeitgeber bringt zum Ausdruck, daß er dieses Mal noch nicht kündigen will, aber bei neuem Fehlverhalten in der Zukunft.
Die Abmahnung führt somit im Ergebnis zum Verbrauch des Kündigungsrechtes hinsichtlich der gerügten Vertragsverletzung. Wenn der Arbeitgeber Aurora trotzdem kündigt, ist diese Kündigung von Anfang an rechtsunwirksam. Dies gilt jedenfalls dann, wenn zu dem gerügten Verhalten mittlerweile keine weiteren Fehlverhaltensweisen hinzugetreten sind.

2. Abmahnung als Kündigungsvorbereitung

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei schuldhaften Vertragspflichtverletzungen zunächst abzumahnen. Vor dem Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung steht in der Regel eine oder eine bestimmte Anzahl von Abmahnungen.
Da die Abmahnung auch der Kündigungsvorbereitung dient, darf die Abmahnung nicht unbedingt auf die leichte Schulter genommen werden. Es gibt in der Regel allerdings keine bestimmte Anzahl von Abmahnungen, die für eine Kündigung grundsätzlich notwendig wäre. Dies ist immer eine Frage des Einzelfalles. Es muß berücksichtigt werden, daß die Abmahnung als das mildere Mittel vor einer Kündigung zunächst immer eingesetzt werden soll.
Im Zweifel sollte eine Fehlverhaltensweise lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig abgemahnt werden. Das Risiko, zu wenig Abmahnungen ausgesprochen zu haben, trägt allein der Arbeitgeber. Wenn Aegidius Wurz nach 3 Abmahnungen immer noch nicht heizt, könnte die Kündigung gerechtfertigt sein.

3. Fehlen des Kündigungsschutzes

Bei fehlendem Kündigungsschutz kann der Arbeitgeber kündigen, ohne daß es einer Begründung bedarf. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis noch keine 6 Monate bestanden hat, oder wenn der Arbeitgeber nicht mehr als 5 Arbeitnehmer beschäftigt.
Sollte der Arbeitgeber bei einem Arbeitsverhältnis ohne Kündigungsschutz allerdings verhaltensbedingt kündigen, d.h. mit entsprechenden Vorwürfen, müßte im Zweifel auch hier vorher eine Abmahnung ausgesprochen worden sein. Nach Sinn und Zweck der Abmahnung soll diese dazu führen, dem Arbeitnehmer die Chance zu geben, seine falschen Verhaltensweisen zu verändern und zukünftig sich vertragstreu zu verhalten. Diese Grundsätze gelten auch bei verhaltensbedingten Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes.
Sollte der Arbeitgeber allerdings ohne Angabe von Gründen kündigen, so kann auch keine Abmahnung von ihm verlangt werden.

4. Entbehrlichkeit der Abmahnung

Im Falle einer verhaltensbedingten Kündigung oder gar einer fristlosen Kündigung ist eine Abmahnung nicht stets notwendig. Die Abmahnung ist dann entbehrlich, wenn die Vertragspflichtverletzung so massiv ist, daß der Arbeitnehmer nicht damit rechnen durfte, daß der Arbeitgeber eine solche Vertragspflichtverletzung ohne Kündigung duldet.
In der Regel ist auch bei einer Störung “im Vertrauensbereich” eine Abmahnung nicht oder nicht unbedingt erforderlich. Dies gilt insbesondere im Bereich der strafbaren Handlungen. Ein Arbeitnehmer, der z.B. eine Körperverletzung oder einen Diebstahl im Arbeitsverhältnis begeht, darf nicht damit rechnen, daß er zunächst abgemahnt wird. Diese Grundsätze gelten für alle Fälle, in denen dem Arbeitnehmer bewußt ist oder bewußt sein muß, daß er seinen Arbeitsplatz mit seiner Fehlverhaltensweise auf das Spiel setzt.
Das Verhalten von Permoser ist eine schwere Verfehlung im Arbeitsverhältnis. Er liefert seine schönste Figur, die in der von August bezahlten Arbeitszeit gefertigt wurde, an dessen Konkurrenten in Preußen aus. Der schmückt sich damit vor aller Welt. Solche Illoyalität darf August mit einer Kündigung auch ohne Abmahnung ahnden.

5. Abmahnung von Betriebsratsmitgliedern

Mitglieder des Betriebsrats können vom Arbeitgeber lediglich wegen einer Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis abgemahnt werden. Die Betriebsratsvorsitzende Aurora darf aber nicht abgemahnt werden, weil sie angeblich oder tatsächlich gegen ihre Amtspflichten als Betriebsrätin verstoßen hat. Hier bleibt nur das Amtsenthebungsverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG. Arbeitgeber August der Starke muß es deshalb dulden, daß Aurora von Königsmarck mit ihren Hofdamen im Betriebsrat zunächst so oft tagt, wie sie es für erforderlich hält und für erforderlich halten durfte. Allerdings darf sie nicht übertreiben, da sonst die Amtsenthebung droht.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug