Folge 79: Rechtsschutz und Klage gegen Abmahnungen
Gegen eine scheinbar und tatsächlich nicht gerechtfertigte Abmahnung gibt es verschiedene Möglichkeiten der Vorgehensweise. Das muß gut überlegt werden. Eine
falsche oder zu heftige Vorgehensweise kann nämlich in der Praxis mehr Porzellan kaputt schlagen, als dem Arbeitsverhältnis gut tut. So manches Arbeitsverhältnis ist aufgrund eines Abmahnungsprozesses erst richtig
gestört worden und auseinander gegangen.
Der Fall:
August der Starke was als neu gewählter König von Polen längere Zeit aus Dresden abwesend. Bei einer Inspektionsreise in sein Kurfürstentum Sachsen stellte
er Mißwirtschaft fet. Deshalb erhielten u.a. der Goldschmied Johann Melchior Dinglinger wie auch Baumeister Matthäus Daniel Pöppelmann von ihrem Arbeitgeber August dem Starken Abmahnungen. Ihnen wurde
Schlechtarbeit, Nichteinhaltung von Terminen und Unzuverlässigkeit vorgeworfen. Das will der gerade mit dem Bau des Zwinger befaßte Baumeister Matthäus Daniel Pöppelmann sich nicht gefallen lassen. Goldschmied
Johann Melchior Dinglinger fühlt sich ebenfalls ungerecht behandelt, da er gerade das große Werk “Hofhaltung des Großmoguls Aurangzep”, das größte Goldschmiedekunstwerk des Barockzeitalters, für August fertig
gestellt hat. Beide fragen den Warschauer Rechtsanwalt Jan Sobieski, was sie wahrnehmen können und ob sie klagen sollen.
Die Lösung
1. Beschwerderecht
Nach § 84 Abs. 1 BetrVG hat jeder Arbeitnehmer zunächst das Recht, sich bei der zuständigen Stelle des Betriebes, beim Personalchef oder Arbeitgeber zu
beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder vom Vorgesetzten benachteiligt oder ungerecht behandelt fühlt. Er kann sich auch beim Betriebsrat beschweren. Bei Vermittlungsgesprächen zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer kann der Arbeitnehmer ein Betriebsratsmitglied zur Unterstützung heranziehen. Der Arbeitgeber muß bei einer Beschwerde darüber befinden. Soweit der die Beschwerde für berechtigt hält, muß er ihr
abhelfen und z.B. die Abmahnung entfernen. Wegen der Beschwerde dürfen dem Arbeitnehmer nach § 84 Abs. 3 BetrVG keine Nachteile erwachsen.
2. Gegendarstellung
Nach § 83 Abs. 2 BetrVG muß Arbeitgeber August Erklärungen der Arbeitnehmer Dinglinger oder Pöppelmann zur Personalakte nehmen, wenn sie dies verlangen. Dies
bedeutet im Klartext: Der Arbeitnehmer kann der Abmahnung des Arbeitgebers seine eigene Stellungnahme und Erläuterung beifügen (genannt: Gegendarstellung). Dieses Recht hat der Arbeitnehmer unabhängig davon, ob
er die Abmahnung sachlich für richtig oder für falsch hält. Der Arbeitgeber muß diese Gegendarstellung direkt mit der Abmahnung in die Personalakte aufnehmen. Dabei spielt es keine Rolle, daß Arbeitgeber August ggf.
mit dem Inhalt der Gegendarstellung nicht einverstanden ist. Die Gegendarstellung ist besonders wichtig, wenn der Arbeitnehmer mit dem Inhalt der Abmahnung oder einem Teil der Abmahnungsvorwürfe nicht
einverstanden ist oder diese als sachlich falsch bezeichnet. Durch die Gegendarstellung erhält der Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich auf eine relativ elegante Weise ohne großen Aufwand und großen Ärger zu
rehabilitieren und für die Zukunft, d.h. für einen Kündigungsschutzprozeß vorzusorgen.
3. Keinerlei Reaktion
Auf eine Abmahnung muß ein Arbeitnehmer nicht reagieren. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer die Abmahnung für falsch hält. Das Schweigen des
Arbeitnehmers stellt kein Zustimmung und keinen Richtigkeitsbeweis für die Abmahnung dar. In einem späteren Kündigungsschutzprozeß kann der Arbeitnehmer noch jederzeit die Richtigkeit der vorausgegangenen
Abmahnungen bestreiten. Auch in diesem Falle muß der Arbeitgeber die Richtigkeit der Abmahnungen noch in einem späteren Kündigungsschutzprozeß nachweisen. Dies kann im Nachhinein aufgrund des Zeitablaufes für den
Arbeitgeber sehr schwierig werden. Manche Beweismittel sind vielleicht dann nicht mehr vorhanden. Insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer der Abmahnung nicht widersprochen hat und der Arbeitgeber sich in
Sicherheit wiegt, kann das nachträgliche Bestreiten der Richtigkeit der Abmahnung für den Arbeitgeber zu Problemen führen.
4. Klage vor dem Arbeitsgericht / Entfernung aus der Personalakte
Die Arbeitnehmer Pöppelmann und Dinglinger können die ihnen jeweils erteilte Abmahnung aber auch vor dem Arbeitsgericht per Klage anfechten. Sie können die
Entfernung der Abmahnung bei Fehlerhaftigkeit oder Rechtswidrigkeit aus ihrer Personalakte verlangen. Dieses Beseitigungsrecht folgt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und dem Grundsatz von
Treu und Glauben sowie der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Die Klage kann sich sowohl gegen die Richtigkeit des behaupteten Fehlverhaltens und der aufgeführten Tatsachen, wie auch gegen die rechtliche Wertung
des Arbeitgebers richten. Die Abmahnung muß aus der Personalakte entfernt werden, wenn eine der aufgestellten Tatsachenbehauptungen falsch ist und dadurch das Fortkommen des Arbeitnehmers und seine Rechtsstellung
beeinträchtigt werden könnte. Werden mehrere Pflichtverletzungen gleichzeitig gerügt, wie z.B. bei Pöppelmann, so reicht es, daß eine Behauptung falsch ist. Es muß dann die gesamte Abmahnung aus der Personalakte
entfernt werden. Allerdings kann der Arbeitgeber dann mit dem Rest der Vorwürfe erneut abmahnen.
5. Gefahren des Prozesses
In der Praxis muß allerdings festgestellt werden, daß im Zuge von Abmahnungsprozessen ausgetragene Streitigkeiten den Konflikt zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer nur noch vergrößern. Gerade in diesen Fällen tritt die zu erwartende Rechtsbefriedungsfunktion eines Prozesses meistens nicht ein. Die vom Arbeitnehmer gegen die Abmahnung erhobene Klage gewinnt
vielmehr ein eigenes Gewicht und wird sowohl im Betrieb wie auch im Gedächtnis des Arbeitgebers besonders registriert. Es ist deshalb taktisch klüger, sich in der Regel auf eine Gegendarstellung zu beschränken und
nicht gegen eine Abmahnung zu klagen. Die Klage gegen eine Abmahnung empfiehlt sich meist nur dann, wenn der Arbeitgeber im Rahmen der Abmahnung besonders ehrverletzende oder gravierende Vorwürfe, strafrechtliche
Vorwürfe etc. erhebt, die ein Mitarbeiter generell nicht auf sich sitzen lassen möchte oder kann. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, gegen eine falsche Abmahnung vorzugehen, besteht jedoch überhaupt nicht. Dem
Arbeitnehmer entsteht in der Regel daraus auch kein besonderer Rechtsnachteil.
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