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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 79: Rechtsschutz und Klage gegen Abmahnungen

Gegen eine scheinbar und tatsächlich nicht gerechtfertigte Abmahnung gibt es verschiedene Möglichkeiten der Vorgehensweise. Das muß gut überlegt werden. Eine falsche oder zu heftige Vorgehensweise kann nämlich in der Praxis mehr Porzellan kaputt schlagen, als dem Arbeitsverhältnis gut tut. So manches Arbeitsverhältnis ist aufgrund eines Abmahnungsprozesses erst richtig gestört worden und auseinander gegangen.

Der Fall:

August der Starke was als neu gewählter König von Polen längere Zeit aus Dresden abwesend. Bei einer Inspektionsreise in sein Kurfürstentum Sachsen stellte er Mißwirtschaft fet. Deshalb erhielten u.a. der Goldschmied Johann Melchior Dinglinger wie auch Baumeister Matthäus Daniel Pöppelmann von ihrem Arbeitgeber August dem Starken Abmahnungen. Ihnen wurde Schlechtarbeit, Nichteinhaltung von Terminen und Unzuverlässigkeit vorgeworfen.
Das will der gerade mit dem Bau des Zwinger befaßte Baumeister Matthäus Daniel Pöppelmann sich nicht gefallen lassen. Goldschmied Johann Melchior Dinglinger fühlt sich ebenfalls ungerecht behandelt, da er gerade das große Werk “Hofhaltung des Großmoguls Aurangzep”, das größte Goldschmiedekunstwerk des Barockzeitalters, für August fertig gestellt hat.
Beide fragen den Warschauer Rechtsanwalt Jan Sobieski, was sie wahrnehmen können und ob sie klagen sollen.

Die Lösung

1. Beschwerderecht

Nach § 84 Abs. 1 BetrVG hat jeder Arbeitnehmer zunächst das Recht, sich bei der zuständigen Stelle des Betriebes, beim Personalchef oder Arbeitgeber zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder vom Vorgesetzten benachteiligt oder ungerecht behandelt fühlt. Er kann sich auch beim Betriebsrat beschweren. Bei Vermittlungsgesprächen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann der Arbeitnehmer ein Betriebsratsmitglied zur Unterstützung heranziehen.
Der Arbeitgeber muß bei einer Beschwerde darüber befinden. Soweit der die Beschwerde für berechtigt hält, muß er ihr abhelfen und z.B. die Abmahnung entfernen. Wegen der Beschwerde dürfen dem Arbeitnehmer nach § 84 Abs. 3 BetrVG keine Nachteile erwachsen.

2. Gegendarstellung

Nach § 83 Abs. 2 BetrVG muß Arbeitgeber August Erklärungen der Arbeitnehmer Dinglinger oder Pöppelmann zur Personalakte nehmen, wenn sie dies verlangen. Dies bedeutet im Klartext:
Der Arbeitnehmer kann der Abmahnung des Arbeitgebers seine eigene Stellungnahme und Erläuterung beifügen (genannt: Gegendarstellung). Dieses Recht hat der Arbeitnehmer unabhängig davon, ob er die Abmahnung sachlich für richtig oder für falsch hält. Der Arbeitgeber muß diese Gegendarstellung direkt mit der Abmahnung in die Personalakte aufnehmen. Dabei spielt es keine Rolle, daß Arbeitgeber August ggf. mit dem Inhalt der Gegendarstellung nicht einverstanden ist.
Die Gegendarstellung ist besonders wichtig, wenn der Arbeitnehmer mit dem Inhalt der Abmahnung oder einem Teil der Abmahnungsvorwürfe nicht einverstanden ist oder diese als sachlich falsch bezeichnet.
Durch die Gegendarstellung erhält der Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich auf eine relativ elegante Weise ohne großen Aufwand und großen Ärger zu rehabilitieren und für die Zukunft, d.h. für einen Kündigungsschutzprozeß vorzusorgen.

3. Keinerlei Reaktion

Auf eine Abmahnung muß ein Arbeitnehmer nicht reagieren. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer die Abmahnung für falsch hält. Das Schweigen des Arbeitnehmers stellt kein Zustimmung und keinen Richtigkeitsbeweis für die Abmahnung dar. In einem späteren Kündigungsschutzprozeß kann der Arbeitnehmer noch jederzeit die Richtigkeit der vorausgegangenen Abmahnungen bestreiten.
Auch in diesem Falle muß der Arbeitgeber die Richtigkeit der Abmahnungen noch in einem späteren Kündigungsschutzprozeß nachweisen. Dies kann im Nachhinein aufgrund des Zeitablaufes für den Arbeitgeber sehr schwierig werden. Manche Beweismittel sind vielleicht dann nicht mehr vorhanden.
Insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer der Abmahnung nicht widersprochen hat und der Arbeitgeber sich in Sicherheit wiegt, kann das nachträgliche Bestreiten der Richtigkeit der Abmahnung für den Arbeitgeber zu Problemen führen.

4. Klage vor dem Arbeitsgericht / Entfernung aus der Personalakte

Die Arbeitnehmer Pöppelmann und Dinglinger können die ihnen jeweils erteilte Abmahnung aber auch vor dem Arbeitsgericht per Klage anfechten. Sie können die Entfernung der Abmahnung bei Fehlerhaftigkeit oder Rechtswidrigkeit aus ihrer Personalakte verlangen. Dieses Beseitigungsrecht folgt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und dem Grundsatz von Treu und Glauben sowie der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.
Die Klage kann sich sowohl gegen die Richtigkeit des behaupteten Fehlverhaltens und der aufgeführten Tatsachen, wie auch gegen die rechtliche Wertung des Arbeitgebers richten. Die Abmahnung muß aus der Personalakte entfernt werden, wenn eine der aufgestellten Tatsachenbehauptungen falsch ist und dadurch das Fortkommen des Arbeitnehmers und seine Rechtsstellung beeinträchtigt werden könnte. Werden mehrere Pflichtverletzungen gleichzeitig gerügt, wie z.B. bei Pöppelmann, so reicht es, daß eine Behauptung falsch ist. Es muß dann die gesamte Abmahnung aus der Personalakte entfernt werden. Allerdings kann der Arbeitgeber dann mit dem Rest der Vorwürfe erneut abmahnen.

5. Gefahren des Prozesses

In der Praxis muß allerdings festgestellt werden, daß im Zuge von Abmahnungsprozessen ausgetragene Streitigkeiten den Konflikt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur noch vergrößern. Gerade in diesen Fällen tritt die zu erwartende Rechtsbefriedungsfunktion eines Prozesses meistens nicht ein.
Die vom Arbeitnehmer gegen die Abmahnung erhobene Klage gewinnt vielmehr ein eigenes Gewicht und wird sowohl im Betrieb wie auch im Gedächtnis des Arbeitgebers besonders registriert. Es ist deshalb taktisch klüger, sich in der Regel auf eine Gegendarstellung zu beschränken und nicht gegen eine Abmahnung zu klagen. Die Klage gegen eine Abmahnung empfiehlt sich meist nur dann, wenn der Arbeitgeber im Rahmen der Abmahnung besonders ehrverletzende oder gravierende Vorwürfe, strafrechtliche Vorwürfe etc. erhebt, die ein Mitarbeiter generell nicht auf sich sitzen lassen möchte oder kann.
Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, gegen eine falsche Abmahnung vorzugehen, besteht jedoch überhaupt nicht. Dem Arbeitnehmer entsteht in der Regel daraus auch kein besonderer Rechtsnachteil.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug