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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 77: Mehrere Abmahnungsgründe / Wirkungsdauer der Abmahnung

Viele Arbeitgeber wollen rationell arbeiten. Aus diesem Grunde packen sie manchmal völlig verschiedene Abmahnungsgründe in eine Abmahnung hinein. Außerdem soll die Abmahnung möglichst lange andauern. Deshalb wird die Abmahnung möglichst bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses in den Personalakten behalten, sehr zum Unwillen der Arbeitnehmer.

Der Fall:

Arbeitgeber August der Starke beschäftigt den Hofphilosophen Samuel von Pufendorf. Zusammen mit dem Personalchef Graf Flemming feiert von Pufendorf die Nächte durch. Flemming und Pufendorf erscheinen deshalb stets zu spät an ihrem Arbeitsplatz. Außerdem hat Pufendorf das Erscheinungsdatum seines großen philosophischen Werkes schon mehrfach verschoben. Graf Flemming kann die Finger von verschiedenen Hofdamen nicht lassen. Wegen Übermüdung schläft Pufendorf immer wieder in der Hofphilosophieabteilung vor den Augen der Kammerzofen ein. Schließlich ist der wasserscheue Samuel von Pufendorf meist ungepudert und stinkt über Gebühr.
Arbeitgeber August der Starke will beide abmahnen. In die Abmahnung sollen alle Vorfälle hineingepackt werden. Außerdem sollen die Abmahnungen bis ans Ende der Tage zur Strafe in den Personalakten verbleiben. Samuel von Pufendorf meint, daß er nicht unvertretbar stinke. Deshalb sei die Abmahnung insgesamt falsch. Personalchef Graf Flemming bestreitet, daß er den Hofdamen über Gebühr vertragswidrig nachstelle.
Was ist, wenn nicht alle Vorwürfe richtig sind? Wie lange dürfen die Abmahnungen in der Personalakte verbleiben?

Die Lösung

1. Häufung von Vorwürfen

Wenn Arbeitgeber August den Arbeitnehmern Pufendorf und Graf Flemming verschiedene Vertragsverstöße vorwirft, so hat er das Wahlrecht, jeweils eine oder jeweils mehrere Abmahnungen zu erteilen.
Eine Abmahnung braucht nicht nur ein einzelnes Fehlverhalten des Arbeitnehmers enthalten, es können auch mehrere Vorwürfe in die Abmahnung aufgenommen werden.
August muß jedoch darauf achten, daß er alle Tatbestände im Abmahnungsschreiben sachlich richtig darstellt und abgrenzt.
Sind mehrere Vorwürfe in einer Abmahnung aufgenommen, so müssen alle Tatbestände richtig wiedergegeben sein. Ist innerhalb einer Kette von Vertragsverletzungen auch nur ein Vorwurf oder ein Tatbestand falsch, so muß der Arbeitgeber August nach der Rechtsprechung die gesamte Abmahnung zurücknehmen und diese aus der Personalakte entfernen.

2. Erneute Abmahnung

Für den Fall, daß einzelne Vorwürfe in der Abmahnung richtig, andere aber falsch sind, muß die Abmahnung insgesamt entfernt werden. Der Arbeitgeber ist jedoch berechtigt, die vom Gericht nicht beanstandeten Abmahnungsteile in Form einer neuen Abmahnung gegenüber dem Arbeitnehmer erneut auszusprechen. Er kann diese neue und richtige Abmahnung dann zur Personalakte nehmen.
Aus taktischen Gründen ist es deshalb nicht immer klug, eine Abmahnung mit zu vielen Vorwürfen zu überfrachten. Gerade im Falle des Samuel von Pufendorf wäre es geschickter gewesen, wenn August die Vorwürfe geordnet und aufgeteilt hätte. Dies gilt auch für den Personalchef Flemming, da die Vorwürfe inhaltlich völlig verschiedene Metiers betreffen.

3. Wirkungsdauer der Abmahnung

Die Abmahnung besitzt eine Hinweis- und Warnfunktion. Dies führt dazu, daß die Abmahnung nach einer gewissen Zeit ihre Rechtswirkung verliert. Das ist dann der Fall, wenn sich der Arbeitnehmer die Vorwürfe zu Herzen nimmt und sein Verhalten entsprechend bessert. Sind dagegen zwischenzeitlich wieder einschlägige Fehlverhaltensweisen vorhanden, kann der Arbeitgeber erneut abmahnen und sich auf die bereits vorangegangenen Abmahnungen beziehen.

4. Fristen

Sowohl nach dem Gesetz wie nach der Rechtsprechung gibt es keine festen Fristen, innerhalb derer eine Abmahnung ausgesprochen werden muß. Es gibt auch keine festen Fristen, innerhalb derer eine Abmahnung ihre Wirkung verliert und aus der Personalakte wieder entfernt werden muß. Da jedoch die Abmahnung aufgrund ihres Sinn und Zweckes nur für eine bestimmte Zeitdauer ihre Wirksamkeit entfalten kann, wird in der Rechtsprechung immer wieder versucht, gewisse Fristen zu ziehen. Davor ist allerdings zu warnen.
Generell kann gesagt werden, daß die Fristen des Bundeszentralregistergesetzes für Straftaten als Höchstfristen auch für Abmahnungen zu gelten haben. Als Faustregel kann auch davon ausgegangen werden, daß die meisten Abmahnungen nach spätestens 2 bis 3 Jahren wertlos geworden sind, sofern nicht eine einschlägige Fehlverhaltensweise nachfolgt.

5. Entfernung aus der Personalakte

Allerdings muß die Wirkungsdauer einer Abmahnung immer nach dem Sinn und Zweck der Abmahnung und nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden.
Ist die Abmahnung wegen fehlender weiterer einschlägiger arbeitsvertraglicher Verstöße wertlos geworden, so muß sie im Zweifel auch aus der Personalakte entfernt werden. Dasselbe gilt, wenn die Vorwürfe ganz oder zum Teil falsch sind.
Wird die Abmahnung nicht entfernt oder in einer “Geheimakte” weiter aufbewahrt, kann sie nach Fristablauf gleichwohl nicht mehr in Gerichtsverfahren gegen den Arbeitnehmer eingesetzt werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt aber, wenn der Arbeitnehmer sein gerügtes Verhalten nicht geändert hat bzw. das Fehlverhalten später wiederholt.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug