Folge 75: Abmahnungsbefugnis / Mitbestimmung
Es ist im Betrieb vielfach unklar, wer eigentlich Abmahnungen aussprechen darf. Vielfach verlangt auch der Betriebsrat die Mitwirkung bei der Abmahnung, was
rechtlich durchaus problematisch ist.
Der Fall:
August der Starke ist es leid, ständig seinem Hofstaat und seinen Bediensteten mit Ermahnungen, Abmahnungen etc. hinterherlaufen zu müssen. Er beauftragt
seinen Personalchef Graf Flemming mit den entsprechenden Maßnahmen. Dieser fühlt sich überfordert und beauftragt die Abteilungsleiter, Fehlverhalten abzumahnen. Zuständig für die Bauhütte ist der Architekt Matthäus
Daniel Pöppelmann, für die Goldwerkstatt Meister Johann Melchior Dinglinger, für den künstlerischen Bereich Hofbildhauer Balthasar Permoser und für den weiblichen Hofstaat die 1. Mätresse Constanzia von Cosel.
Als die Betriebsratsvorsitzenden Aurora von Königsmarck dies hört, keimt Eifersucht auf. Sie eilt zu August dem Starken. Sie verlangt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Abmahnungsbefugnis wie auch bei
allen noch auszusprechenden Abmahnungen. August fragt sich langsam, wer eigentlich Arbeitgeber am Hofe ist. Muß er der schönen Aurora nachgeben?
Die Lösung
1. Abmahnungsbefugnis
Abmahnungsbefugt ist generell immer derjenige, der auch zur Kündigung berechtigt ist. Dies ist neben dem Arbeitgeber August auch der Personalchef Graf
Flemming. In Großbetrieben sind abmahnungsberechtigt auch die Abteilungsleiter oder Personalsachbearbeiter. Nach der Rechtsprechung sollen sogar alle die Mitarbeiter abmahnungsberechtigt sein, die einem
Arbeitnehmer als Vorgesetzte verbindliche Anweisungen wegen des Ortes, der Zeit und der Art und Weise der geschuldeten Arbeitsleistung erteilen können. Davon ist jedoch in der Praxis dringend abzuraten. Die breite
Streuung der Abmahnungsbefugnis führt dazu, daß Abmahnungen erteilt werden, ohne daß der Arbeitgeber dies weiß.
2. Kündungsverzicht
Achtung:
Die Abmahnung führt zum Kündigungsverzicht des Arbeitgebers für den abgemahnten Vorfall. In der Praxis kommt es vor, daß ein Vorgesetzter den Arbeitnehmer abmahnt und die davon nicht in Kenntnis gesetzte Personalabteilung wegen des gleichen Vorfalls noch eine Kündigung ausspricht. Diese Kündigung ist wegen der vorausgegangenen Abmahnung von Anfang an rechtsunwirksam.
Ein weiteres Problem ist, daß die Abmahnungen von Vorgesetzten oft mündlich sind und im Nachhinein nicht mehr ordentlich rekonstruiert werden können. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich dringend, die
Abmahnungsbefugnis nicht breit zu streuen, sondern auf den Arbeitgeber oder die Personalabteilung oder aufganz bestimmte leitende Angestellte, Fachvorgesetzte etc. zu konzentrieren. In jedem Falle aber muß der
Abmahnende den Arbeitgeber oder die Personalabteilung von der Abmahnung informieren.
3. Mitbestimmung des Betriebsrats
Die Abmahnung betrifft den individualrechtlichen Bereich, nicht die Ordnung des Betriebes. Aus diesem Grunde hat die Abmahnung keinen kollektiven Charakter,
sie ist keine Betriebsbuße. Dies führt dazu, daß nach ständiger Rechtsprechung dem Betriebsrat beim Ausspruch von Abmahnungen durch den Arbeitgeber kein Mitbestimmungsrecht zusteht. Betriebsratsvorsitzende Aurora
von Königsmarck beschwert sich deshalb zu Unrecht bei dem Arbeitgeber August.
4. Information des Betriebsrats
Die Information des Betriebsrats durch den Arbeitgeber im Zuge von Abmahnungen kann jedoch empfehlenswert sein. Zum einen kann der Betriebsrat darauf
hinwirken, daß der Arbeitnehmer bestimmte Fehlverhaltensweise zukünftig unterläßt, um eine Kündigung zu vermeiden. Der Betriebsrat kann auch als Vermittler tätig werden, um unnötige Prozesse gegen Abmahnungen zu
verhindern. Im Kündigungsfalle ist es für den Arbeitgeber nur nützlich, wenn er den Betriebsrat zuvor schon über bestimmte Fehlentwicklungen informiert hat.
4. Betriebsrat als Vertrauensperson
Im Falle einer Abmahnung kann der Arbeitnehmer stets sich an den Betriebsrat wenden und ihn als Vertrauensperson einschalten. Gem. § 84 Abs. 1 BetrVG hat
der Arbeitnehmer das Recht, den Abmahnungssachverhalt aus seiner Sicht gegenüber der abmahnenden Person darzulegen. Für dieses Gespräch kann der Arbeitnehmer gem. § 84 Abs. 2 BetrVG verlangen, daß ein
Betriebsratsmitglied seines Vertrauens hinzugezogen wird. Dieses Betriebsratsmitglied kann bei der Erörterung dann selbst Fragen stellen und Vorschläge machen. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Arbeitnehmer
ein Betriebsratsmitglied auch bei der Einsichtnahme in seine Personalakte und in die dort abgelegten schriftlichen Abmahnungen hinzuziehen. Nach § 83 Abs. 1 BetrVG kann er sogar ein Betriebsratsmitglied
bevollmächtigen, an seiner Stelle das Einsichtsrecht in die Personalakte auszuüben.
5. Fazit
Arbeitgeber August der Starke kann seine Abmahnungsbefugnis an den Personalchef Graf Flemming delegieren. Dieser ist nach allgemeinen Grundsätzen auch
berechtigt, die Abmahnungsbefugnis weiter an die einzelnen Abteilungsleiter Permoser, Dinglinger, Pöppelmann und Cosel weiterzugeben. Angesichts der sich dann ergebenden organisatorischen Probleme ist dies jedoch
nicht unbedingt empfehlenswert. Bei entsprechender Größe des Betriebes sollten die beauftragten Abteilungsleiter aber zumindest den Personalchef Flemming von den Abmahnungen informieren und diese schriftlich
aussprechen. Der Unwille von Arbeitgeber August, die Betriebsratsvorsitzende Aurora von Königsmarck einzuschalten, ist rechtlich nicht zu beanstanden. In vielen Fällen ist es jedoch taktisch für den Arbeitgeber
klüger, den Betriebsrat in solche Vorgänge einzuweihen und ggf. als Vermittlungsperson zu nutzen.
>> Nächste Folge: Grundsätze der Abmahnung / Zugangsproblematik
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