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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 75: Abmahnungsbefugnis / Mitbestimmung

Es ist im Betrieb vielfach unklar, wer eigentlich Abmahnungen aussprechen darf. Vielfach verlangt auch der Betriebsrat die Mitwirkung bei der Abmahnung, was rechtlich durchaus problematisch ist.

Der Fall:

August der Starke ist es leid, ständig seinem Hofstaat und seinen Bediensteten mit Ermahnungen, Abmahnungen etc. hinterherlaufen zu müssen. Er beauftragt seinen Personalchef Graf Flemming mit den entsprechenden Maßnahmen. Dieser fühlt sich überfordert und beauftragt die Abteilungsleiter, Fehlverhalten abzumahnen. Zuständig für die Bauhütte ist der Architekt Matthäus Daniel Pöppelmann, für die Goldwerkstatt Meister Johann Melchior Dinglinger, für den künstlerischen Bereich Hofbildhauer Balthasar Permoser und für den weiblichen Hofstaat die 1. Mätresse Constanzia von Cosel.
Als die Betriebsratsvorsitzenden Aurora von Königsmarck dies hört, keimt Eifersucht auf. Sie eilt zu August dem Starken. Sie verlangt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Abmahnungsbefugnis wie auch bei allen noch auszusprechenden Abmahnungen.
August fragt sich langsam, wer eigentlich Arbeitgeber am Hofe ist. Muß er der schönen Aurora nachgeben?

Die Lösung

1. Abmahnungsbefugnis

Abmahnungsbefugt ist generell immer derjenige, der auch zur Kündigung berechtigt ist. Dies ist neben dem Arbeitgeber August auch der Personalchef Graf Flemming. In Großbetrieben sind abmahnungsberechtigt auch die Abteilungsleiter oder Personalsachbearbeiter.
Nach der Rechtsprechung sollen sogar alle die Mitarbeiter abmahnungsberechtigt sein, die einem Arbeitnehmer als Vorgesetzte verbindliche Anweisungen wegen des Ortes, der Zeit und der Art und Weise der geschuldeten Arbeitsleistung erteilen können. Davon ist jedoch in der Praxis dringend abzuraten. Die breite Streuung der Abmahnungsbefugnis führt dazu, daß Abmahnungen erteilt werden, ohne daß der Arbeitgeber dies weiß.

2. Kündungsverzicht

Achtung: Die Abmahnung führt zum Kündigungsverzicht des Arbeitgebers für den abgemahnten Vorfall. In der Praxis kommt es vor, daß ein Vorgesetzter den Arbeitnehmer abmahnt und die davon nicht in Kenntnis gesetzte Personalabteilung wegen des gleichen Vorfalls noch eine Kündigung ausspricht. Diese Kündigung ist wegen der vorausgegangenen Abmahnung von Anfang an rechtsunwirksam.
Ein weiteres Problem ist, daß die Abmahnungen von Vorgesetzten oft mündlich sind und im Nachhinein nicht mehr ordentlich rekonstruiert werden können.
Aus diesem Grunde empfiehlt es sich dringend, die Abmahnungsbefugnis nicht breit zu streuen, sondern auf den Arbeitgeber oder die Personalabteilung oder aufganz bestimmte leitende Angestellte, Fachvorgesetzte etc. zu konzentrieren. In jedem Falle aber muß der Abmahnende den Arbeitgeber oder die Personalabteilung von der Abmahnung informieren.

3. Mitbestimmung des Betriebsrats

Die Abmahnung betrifft den individualrechtlichen Bereich, nicht die Ordnung des Betriebes. Aus diesem Grunde hat die Abmahnung keinen kollektiven Charakter, sie ist keine Betriebsbuße. Dies führt dazu, daß nach ständiger Rechtsprechung dem Betriebsrat beim Ausspruch von Abmahnungen durch den Arbeitgeber kein Mitbestimmungsrecht zusteht. Betriebsratsvorsitzende Aurora von Königsmarck beschwert sich deshalb zu Unrecht bei dem Arbeitgeber August.

4. Information des Betriebsrats

Die Information des Betriebsrats durch den Arbeitgeber im Zuge von Abmahnungen kann jedoch empfehlenswert sein. Zum einen kann der Betriebsrat darauf hinwirken, daß der Arbeitnehmer bestimmte Fehlverhaltensweise zukünftig unterläßt, um eine Kündigung zu vermeiden. Der Betriebsrat kann auch als Vermittler tätig werden, um unnötige Prozesse gegen Abmahnungen zu verhindern. Im Kündigungsfalle ist es für den Arbeitgeber nur nützlich, wenn er den Betriebsrat zuvor schon über bestimmte Fehlentwicklungen informiert hat.

4. Betriebsrat als Vertrauensperson

Im Falle einer Abmahnung kann der Arbeitnehmer stets sich an den Betriebsrat wenden und ihn als Vertrauensperson einschalten.
Gem. § 84 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitnehmer das Recht, den Abmahnungssachverhalt aus seiner Sicht gegenüber der abmahnenden Person darzulegen. Für dieses Gespräch kann der Arbeitnehmer gem. § 84 Abs. 2 BetrVG verlangen, daß ein Betriebsratsmitglied seines Vertrauens hinzugezogen wird. Dieses Betriebsratsmitglied kann bei der Erörterung dann selbst Fragen stellen und Vorschläge machen.
Nach ständiger Rechtsprechung kann der Arbeitnehmer ein Betriebsratsmitglied auch bei der Einsichtnahme in seine Personalakte und in die dort abgelegten schriftlichen Abmahnungen hinzuziehen. Nach § 83 Abs. 1 BetrVG kann er sogar ein Betriebsratsmitglied bevollmächtigen, an seiner Stelle das Einsichtsrecht in die Personalakte auszuüben.

5. Fazit

Arbeitgeber August der Starke kann seine Abmahnungsbefugnis an den Personalchef Graf Flemming delegieren. Dieser ist nach allgemeinen Grundsätzen auch berechtigt, die Abmahnungsbefugnis weiter an die einzelnen Abteilungsleiter Permoser, Dinglinger, Pöppelmann und Cosel weiterzugeben. Angesichts der sich dann ergebenden organisatorischen Probleme ist dies jedoch nicht unbedingt empfehlenswert. Bei entsprechender Größe des Betriebes sollten die beauftragten Abteilungsleiter aber zumindest den Personalchef Flemming von den Abmahnungen informieren und diese schriftlich aussprechen.
Der Unwille von Arbeitgeber August, die Betriebsratsvorsitzende Aurora von Königsmarck einzuschalten, ist rechtlich nicht zu beanstanden. In vielen Fällen ist es jedoch taktisch für den Arbeitgeber klüger, den Betriebsrat in solche Vorgänge einzuweihen und ggf. als Vermittlungsperson zu nutzen.

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug