Folge 76: Grundsätze der Abmahnung / Zugangsproblematik
Es ist sehr oft unklar, bei welchen Vorfällen überhaupt eine Abmahnung erteilt werden darf, wann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt ist. Auch der
Zugang einer Abmahnung kann sehr problematisch sein, wenn dem Abgemahnten die Abmahnung nicht persönlich übergeben wurde.
Der Fall:
Arbeitgeber August der Starke möchte am liebsten jede Kleinigkeit abgemahnt wissen, um vor dem Arbeitsgericht sicher zu gehen. Ist dies ratsam? Personalchef
Flemming zweifelt dies an. Als August seine Mätresse Constanzia von Cosel abmahnen muß, ist ihm dies peinlich. Er bittet seinen Personalchef, die Abmahnung ganz allgemein zu halten. Es soll nur das
“vertragswidrige Verhalten” gerügt werden. Nur so sei sichergestellt, daß nicht der ganze Hofstaat über alle Einzelheiten informiert ist. Auch hier hat Flemming Bedenken. Da Constanzia von Cosel vom Hof verbannt
ist und auf Schloß Pillnitz wohnt, will August der Starke ihr die Abmahnung per Post schicken. Flemming wendet ein, daß die Postwege immer gefährlich seien. Es sei besser, die Abmahnung durch die Hofdame Aurora von
Königsmarck überbringen zu lassen. Allerdings müsse sie das Abmahnungsschreiben vorher lesen, um zu wissen, was sie überbringt. Dem Arbeitgeber August ist aber auch das nicht recht. Was tun?
Die Lösung
1. Abmahnungsgrund
Der Arbeitgeber kann generell alle Fehlverhaltensweisen des Arbeitnehmers abmahnen, mit denen der Arbeitnehmer gegen seine arbeitsvertraglichen
Verpflichtungen, gegen Betriebsvereinbarungen, gegen Gesetze oder andere Rechtsvorschriften im Bereich des Arbeitsverhältnisses verstößt. Es kann sich dabei auch um kleinere Vertragsverletzungen handeln. Die
Abmahnung ist – entgegen landläufiger Ansicht – nicht auf grobe Rechtsverstöße begrenzt. Allerdings sollte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht aus dem Auge verloren werden. Beispiel:
Der Arbeitgeber kann die Verspätung eines Arbeitnehmers rügen, da eine Vertragspflichtverletzung vorliegt. Rügt er jedoch eine einmalige Verspätung von 5 Minuten nach 10 Jahren pünktlichem Arbeitsbeginn, so wäre im Zweifel diese Abmahnung unverhältnismäßig.
2. Richtigkeit und Wahrheit Für die Zulässigkeit einer Abmahnung sind die Grundsätze der Wahrheit und Richtigkeit von entscheidender Bedeutung. In einer Abmahnung muß ein bestimmtes Fehlverhalten dargelegt
werden. Die dort geschilderten Sachverhalte und Tatsachen müssen richtig sein. Sofern in einer Schilderung auch nur einzelne, nicht völlig unerhebliche Tatsachen falsch sind, muß die ganze Abmahnung zurückgenommen
und ggf. neu ausgesprochen werden.
3. Keine Floskeln
Weiterhin ist für die Abmahnung der Grundsatz der Klarheit und der Bestimmbarkeit von entscheidender Bedeutung. Eine Abmahnung muß die zu beanstandenden
Vorfälle oder die Vertragsverletzungen genau bezeichnen. Der Arbeitnehmer muß nämlich wissen, was ihm im einzelnen vorgehalten wird. Wenn die Abmahnung nicht klar ist, wäre die Hinweis- und Warnfunktion der
Abmahnung nicht gegeben. Aus diesem Grunde muß die Abmahnung mindestens so klar sein, daß der Arbeitnehmer und die am Vorfall Beteiligten der Abmahnung entnehmen können, welche Beanstandungen von Seiten des
Arbeitgebers gemacht werden. Folgende Floskeln reichen nicht aus: – Ihr erneutes vertragswidriges Verhalten, – der erneute Verstoß gegen Ihren Arbeitsvertrag hat ...,
– Ihre Schlechtleistungen im Außendienst ..., – Sie haben durch Ihr Verhalten den Betriebsfrieden grundlegend gestört, – Ihre Leistungen haben so rapide nachgelassen, daß ...,
– die von Ihnen ausgehenden Belästigungen betreffen sowohl Kunden wie Mitarbeiter.
4. Abmahnungsinflation
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit muß berücksichtigt werden, daß es nicht sinnvoll ist, den Arbeitnehmer wegen jeder Kleinigkeit und jeder Vertragsverletzung
gleich abzumahnen. Es ist insbesondere nicht sinnvoll, den Arbeitnehmern wegen jeder Kleinigkeit mit einer Kündigung oder gar fristlosen Kündigung zu drohen. Abmahnungen müssen gezielt eingesetzt werden, nicht
inflationär. Hätte Personalchef Graf Flemming zu viele Abmahnungen gegenüber einem bestimmten Arbeitnehmer ausgesprochen, so dürfte dieser davon ausgehen, daß die Kündigungsandrohungen letztendlich von Flemming
nicht ernst gemeint sind. Die Abmahnung verliert ihre Warnfunktion und damit ihre Rechtswirksamkeit.
5. Zugang
Die Abmahnung ist zwar keine Willenserklärung, sondern lediglich eine geschäftsähnliche Handlung. Gleichwohl muß eine Abmahnung für ihre Wirksamkeit dem
Arbeitnehmer in der verkehrsüblichen Weise zugegangen sein. Dies ist kein Problem, wenn die Abmahnung dem Arbeitnehmer z.B. im Betrieb oder in der Personalabteilung direkt übergeben worden ist. Wichtig ist, daß
dann für die Übergabe der Abmahnung eine Quittung erstellt wird oder ein Zeuge vorhanden ist. Soll die Abmahnung dem Arbeitnehmer an einem anderen Ort, z.B. an seinem Wohnort übergeben werden, so muß
entsprechende Vorkehrung getroffen werden, daß die Abmahnung den Arbeitnehmer auch tatsächlich erreicht. Dazu reicht ein Übersenden per Post in der Regel nicht aus. Auch ein Einschreiben mit Rückschein ist
problematisch. Am sichersten ist es, die Abmahnung dem Arbeitnehmer an seinem Wohnort durch Zeugen zu übergeben oder durch einen Boten in den Briefkasten werfen zu lassen. Der Bote fungiert dann als Zeuge und kann
den Zugang schriftlich mit Datum und Uhrzeit bekunden. Um späteren Streit über den Inhalt des Schreibens zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Botin Aurora die Abmahnung lesen zu lassen.
6. Ausländer
Das Erfordernis der Kenntnisnahme führt bei ausländischen Arbeitnehmern dazu, daß die Abmahnung ggf. in die Muttersprache des Ausländers zu übersetzen ist.
Dies gilt dann, wenn dem Arbeitgeber bekannt ist, daß der ausländische Arbeitnehmer weder die deutsche Sprache, noch die deutsche Schrift beherrscht.
>> Nächste Folge: Mehrere Abmahnungsgründe / Wirkungsdauer der Abmahnung
<< Zurück zur Übersicht
|