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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 74: Abmahnung – Abgrenzung zu anderen Sanktionen des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber hat im Arbeitsverhältnis bei echten oder vermeintlichen Vertragsverletzungen des Arbeitnehmers ein gestaffeltes Instrumentarium, mit denen er das Arbeitsverhältnis korrigieren kann. Die Abgrenzung fällt manchmal schwer.

Der Fall:

    Arbeitgeber August der Starke ist wieder einmal über seinen Hofstaat verärgert. Goldschmied Johann Melchior Dinglinger arbeitet zu langsam. Hofbildhauer Balthasar Permoser fertigt die Barockgestalten zu grob. Seine Mätresse Constanzia von Cosel ist ihm in letzter Zeit zu aufbrausend geworden.
    August will reagieren, bei Bildhauer Permoser etwas deftiger, bei dem langsamen Dinglinger am besten mit Konventionalstrafe. Bei der Comtesse Constanzia möchte er aber vorsichtiger sein, da er sie liebt und da Constanzia zur Zeit leicht depressiv ist.
    August fragt seinen Personalchef Graf von Flemming, wie er abgestuft reagieren könnte.

Die Lösung

1. Unterschiedliches Instrumentarium

    Das Arbeitsrecht kennt eine ganze Reihe von abgestuften Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers im Falle von Unzufriedenheit mit dem Verhalten oder der Arbeitsleistung der Arbeitnehmer.
    Grundsätzlich verlangt die Rechtsprechung nach dem “ultima-ratio-Prinzip”, daß der Arbeitgeber stets das mildeste Mittel verwendet, das erforderlich ist, um den Rechtsfrieden wiederherzustellen.
    Im Vorfeld hat der Arbeitgeber die Möglichkeit der Ermahnung, des Verweises oder der Rüge. Rechtlich enger gefaßt ist die Abmahnung. Im Arbeitsvertrag kann für bestimmte Vertragsverstöße auch eine Vertragsstrafe vereinbart sein. Darüber hinaus kann Arbeitgeber August mit dem Betriebsrat eine Betriebsbußenordnung aufstellen. Nützt das alles nichts, so bliebe als letztes Mittel die ordentliche, oder als allerletztes Mittel die außerordentliche Kündigung.

2. Ermahnung/Verweis

    Kein Arbeitsgericht kann dem Arbeitgeber verbieten, innerhalb des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer zu reden und diesem seine Unzufriedenheit oder seine Beschwerden im angemessenen Rahmen kundzutun.
    Sofern Arbeitgeber August seinen Arbeitnehmern nur mitteilt, daß er unzufrieden ist und weshalb er unzufrieden ist, ohne weitere rechtlichen Konsequenzen anzudrohen, ist dies rechtlich weder zu beanstanden, noch zu verhindern. In diesem Falle spricht der Arbeitgeber oft von einer “Ermahnung” oder von einem “Verweis” oder von einer “Rüge” oder von einer “Verwarnung”.
    Egal wie diese Mitteilung des August an seine Arbeitnehmer genannt wird, unterscheidet sich diese Mitteilung von einer Abmahnung im förmlichen Sinne. Der Unterschied besteht darin, daß mit der Ermahnung etc. zwar ein Pflichtenverstoß des Arbeitnehmers gerügt wird. Der Arbeitgeber unterläßt jedoch die Androhung künftiger rechtlicher oder gar kündigungsrechtlicher Konsequenzen für den Arbeitnehmer.
    Dies bedeutet, daß die Ermahnung, der Verweis etc. arbeitsrechtlich mangels Drohung weitaus weniger scharf zu sehen ist, als die Abmahnung. Der Arbeitgeber August kann im Rahmen der ihm zustehenden Meinungsäußerungsfreiheit entscheiden, ob er die Langsamkeit von Dinglinger oder das Unvermögen von Permoser lediglich mißbilligt oder ob er förmlich mit Kündigungsandrohung abmahnen will.
    Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist bei reinen Unzufriedenheiten und unerheblichen Vertragsverstößen generell eine Ermahnung oder Verwarnung angebracht.
    Gerade dann, wenn August der Starke seine Mätresse Constanzia nicht übermäßig strapazieren will, sollte er sie lediglich ermahnen oder rügen.

3. Vertragsstrafe

    August will den langsamen Dinglinger mit einer Vertrags-/Konventionalstrafe zum schnelleren Arbeiten anhalten. Dies ist im Arbeitsverhältnis problematisch.
    Eine Vertragsstrafe muß zunächst einmal im Arbeitsvertrag vereinbart sein. Haben August und Dinglinder dies nicht getan, entfällt diese Möglichkeit. Sofern eine Vertragsstrafe vereinbart ist, unterliegt sie allerdings den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches und im Arbeitsverhältnis zusätzlich den Grundsätzen des billigen Ermessens nach § 315 BGB.
    Die Vertragsstrafe kann nur für echte Vertragsverletzungen vereinbart werden. Außerdem ist die Höhe der Vertragsstrafe immer im Rahmen der Billigkeit festzusetzen. Ist sie zu hoch, können Arbeitsgerichte sie herabsetzen.

4. Betriebsbuße

    Für grobe Disziplin- und Vertragsverstöße kann zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat auch eine Betriebsbußenordnung vereinbart werden. Mit dieser Betriebsbußenordnung wird regelmäßig ein Verstoß des Arbeitnehmers gegen die kollektive betriebliche Ordnung geahndet. Nach der Rechtsprechung muß jedoch in der Betriebsbußenordnung ein entsprechender Strafkatalog aufgestellt sein. Dieser Katalog muß ebenfalls abgestuft sein.
    In der Regel beginnt er mit Sanktionen wie einer Rüge, Versetzung, aber auch Gehaltskürzung oder einer echten Geldbuße im Sinne von Strafe.

5. Abmahnung

    Der entscheidende Unterschied zwischen einer Abmahnung und einer Ermahnung besteht darin, daß der Arbeitgeber nicht nur eine bestimmte Vertragspflichtverletzung rügt. Vielmehr muß August im zweiten Teil den Arbeitnehmern arbeitsrechtliche Schritte bzw. die Kündigung des Arbeitsverhältnisses androhen. Nach neuester Rechtsprechung ist grundsätzlich die Androhung kündigungsrechtlicher Schritte (nicht nur arbeitsrechtlicher Schritte) zu empfehlen.
    Da die Abmahnung viel weiter in die rechtliche Sphäre der Arbeitnehmer eingreift, als die Ermahnung, ist sie – im Gegensatz zur Ermahnung – gerichtlich anfechtbar.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug