Hans-Gottlob-Ruehle.de
Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 63: Streupflicht des Arbeitgebers auf Firmenparkplatz

Der Fall

Arbeiterin Marie Antoinette wollte nach Schichtende mitten im Winter schnell zu ihrem lieben Ludwig gelangen. Soeben hatte ein überraschender Regen die gefrosteten Straßen in eine Eisbahn verwandelt. Der Arbeitgeber Robespierre hatte zwar schon die Fahrbahnen des Firmenparkplatzes gestreut, nicht aber die Parkplätze. Wegen der parkenden PKWs war das auch kaum möglich.
Marie Antoinette rutschte schon beim Anfahren in der Parkbucht auf den PKW des Kollegen Danton. Den Schaden von 8.000,- DM möchte sie von Robespierre ersetzt bekommen. Sie beschuldigt ihn, seine Verkehrssicherungs- und Streupflicht schuldhaft verletzt zu haben.
Robespierre – bleich vor Zorn – verweigert jede Zahlung. Marie klagt vor dem Arbeitsgericht.
Muß Robespierre zahlen? Von wem kann Danton Schadenersatz verlangen?

Die Lösung

1. Vertragliche Pflicht

Wenn Arbeitgeber Robespierre den Arbeitnehmern einen Parkplatz zur Verfügung stellt, muß er auch für dessen Verkehrssicherheit sorgen.
Diese Verpflichtung besteht schon aufgrund arbeitsvertraglicher Schutz- und Nebenpflichten, deren Verletzung den Arbeitgeber aus positiver Vertragsverletzung zum Schadenersatz verpflichten kann. Auch wenn Robespierre den Parkplatz freiwillig zur Verfügung stellt, hat er ein eigenes Interesse daran, daß die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer den Parkplatz benutzen. Das gilt vor allem auch dann, wenn öffentliche Verkehrsmittel nicht ausreichend zur Verfügung stehen, z.B. auch im Schichtdienst (Nachtschicht etc.).

2. Gesetzliche Sicherungspflicht

Diese Pflicht trifft den Arbeitgeber außerdem auch aufgrund seiner Verkehrssicherungspflicht, § 823 Abs. 1 BGB. Mit der Eröffnung des Parkplates für seine Mitarbeiter eröffnet Robespierre einen Verkehr. Ihn trifft insoweit eine Verkehrssicherungspflicht. Die allgemeine Rechtspflicht, im Verkehr Rücksicht auf die Gefährdung anderer zu nehmen, beruht auf dem Gedanken, daß jeder, der Gefahrenquellen schafft, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze Dritter zu treffen hat. Eine Gefahr ist haftungsbegründend, wenn sich für einen sachkundig Urteilenden die naheligende Möglichkeit ergibt, daß Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Verpflichtet ist Robespierre als derjenige, der in der Lage ist, über die Benutzung des Grundstücks zu verfügen.

3. Umfang der Sicherungspflicht

Die Verpflichtung geht dahin, die zur Verfügung gestellten Parkplätze verkehrssicher zu halten. Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, daß der Parkplatz hinsichtlich seiner Benutzung den billigerweise zu stellenden Anforderungen entspricht. Er muß mittels geeigneter Vorkehrungen dafür Sorge tragen, daß die durch die Benutzung des Parkplatzes für die Fahrzeuge drohenden Gefahren auf ein den Benutzern gegebenenfalls zumutbares Mindestmaß zurückgeführt werden. Robespierre haftet dagegen nicht für Schäden, vor denen die Arbeitnehmer sich auch sonst im Straßenverkehr nicht wirksam schützen können. Eine Garantie für absolute Gefahrlosigkeit besteht nicht. Das entspricht allgemeiner Auffassung.

4. Pflicht zum Winterdienst

Arbeitgeber Robespierre ist den ihm obliegenden Verpflichtungen in ausreichendem Umfang nachgekommen. Er genügte seinen Pflichten, indem er die Zufahrtswege abstreute. Eine Verpflichtung, auch die Parkflächen zu streuen, bestand unter den gegebenen Umständen nicht. Zu welchen Maßnahmen der Arbeitgeber verpflichtet ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Das notwendige Ausmaß der Sicherung wird vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bestimmt. Eine übermäßige und unverhältnismäßige Belastung kann dem Arbeitgeber nicht abverlangt werden. Dementsprechend ging die Verpflichtung des Arbeitgeber in dieser Situation nicht weiter als für andere Gewerbetreibende und Körperschaften, die einen Parkplatz für ihre Kunden oder für die Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Der Umfang der Streupflicht geht nicht so weit, daß Verkehrsteilnehmer oder Fahrzeuge von garantierter Rutschfreiheit ausgehen können. Sie bleiben selbst zur Anwendung der erforderlichen Sorgfalt verpflichtet. Für winterliche Glätte auf öffentlichen Parkflächen gilt, daß diese hinsichtlich der Streupflicht nicht wie Fahrbahnen behandelt werden können. Die Streupflicht als Teil der Verkehrssicherungspflicht soll nur wirkliche Gefahren beseitigen. Gewisse Einwirkungen der Naturgewalten müssen die Verkehrsteilnehmer hinnehmen und notfalls die Benutzung ihres Fahrzeuges unterlassen. Es ist nur für den sicheren Fahrverkehr zu sorgen. Dementsprechend sind grundsätzlich nur die Fahrbahnen zu streuen. Etwas anderes gilt nur für Parkbuchten, z.B. auf dem Parkplatz eines Supermarktes, in denen auch be- und entladen wir, oder Parkplätze von Gaststätten.
Dementsprechend konnte Marie Antoinette sich nicht darauf verlassen, daß die Parkflächen gestreut und rutschfrei waren. Dafür besteht auch angesichts der festgestellten Wetterverhältnisse weder auf öffentlichen noch privaten Parkflächen eine Garantie.

5. Spezielle Warnpflicht?

Da Arbeitgeber Robespierre seine Streupflicht erfüllt hat, bestand auch keine Veranlassung, den Parkplatz zu sperren. Eine Verpflichtung zur Aufstellung eines Schildes bestand ebenfalls nicht. Bei den festgestellten Wetterverhältnissen muß jeder Fahrer wissen, daß es zu Glatteisbildungen gerade auch auf Flächen außerhalb der Fahrbahnen kommen kann. Es besteht keine Verpflichtung des Arbeitgebers, der seiner Streupflicht nachgekommen ist, hierauf nochmals besonders hinzuweisen. Dies gilt besonders angesichts des Vorbringens von Marie Antoinette, der gesamte Personalparkplatz einschließlich der Zufahrtswege sei spiegelglatt überfroren gewesen.
Die Streupflicht des Arbeitgebers auf einem Firmenparkplatz besteht im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich nur für die Fahrbahnen, nicht für die Parkbuchten.

6. Dantons Schaden?

Danton war wegen des Blitzeises zunächst in seine Stammkneipe geeilt, um das Streufahrzeug abzuwarten. Erschüttert sieht er bei seiner Rückkunft den demolierten PKW.
Für seinen Schaden haftet die Schadensverursacherin, die eilige Marie Antoinette bzw. ihre Versicherung. Robespierre könnte allenfalls belangt werden, wenn ein Mitverschulden vorläge. Wie schon festgestellt, ist das nicht der Fall.
Marie Antoinette muß deshalb ihren eigenen Schaden tragen und den von Danton. Mangels Mitverschulden von Robespierre hat sie wegen Dantons Schaden auch keinen Freistellungsanspruch gegen Robespierre. Soweit ihre Versicherung bei Danton einspringt, hat sie eine Höherstufungsschaden.

>> Nächste Folge: Essensgeldzuschuß - Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten
<< Zurück zur Übersicht

 

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
 

Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

STARTSEITE >>

Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug