Folge 63: Streupflicht des Arbeitgebers auf Firmenparkplatz
Der Fall
Arbeiterin Marie Antoinette wollte nach Schichtende mitten im Winter schnell zu ihrem lieben Ludwig gelangen. Soeben hatte ein überraschender Regen die
gefrosteten Straßen in eine Eisbahn verwandelt. Der Arbeitgeber Robespierre hatte zwar schon die Fahrbahnen des Firmenparkplatzes gestreut, nicht aber die Parkplätze. Wegen der parkenden PKWs war das auch kaum
möglich. Marie Antoinette rutschte schon beim Anfahren in der Parkbucht auf den PKW des Kollegen Danton. Den Schaden von 8.000,- DM möchte sie von Robespierre ersetzt bekommen. Sie beschuldigt ihn, seine
Verkehrssicherungs- und Streupflicht schuldhaft verletzt zu haben. Robespierre – bleich vor Zorn – verweigert jede Zahlung. Marie klagt vor dem Arbeitsgericht.
Muß Robespierre zahlen? Von wem kann Danton Schadenersatz verlangen?
Die Lösung
1. Vertragliche Pflicht
Wenn Arbeitgeber Robespierre den Arbeitnehmern einen Parkplatz zur Verfügung stellt, muß er auch für dessen Verkehrssicherheit sorgen. Diese Verpflichtung
besteht schon aufgrund arbeitsvertraglicher Schutz- und Nebenpflichten, deren Verletzung den Arbeitgeber aus positiver Vertragsverletzung zum Schadenersatz verpflichten kann. Auch wenn Robespierre den Parkplatz
freiwillig zur Verfügung stellt, hat er ein eigenes Interesse daran, daß die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer den Parkplatz benutzen. Das gilt vor allem auch dann, wenn öffentliche Verkehrsmittel nicht ausreichend
zur Verfügung stehen, z.B. auch im Schichtdienst (Nachtschicht etc.).
2. Gesetzliche Sicherungspflicht
Diese Pflicht trifft den Arbeitgeber außerdem auch aufgrund seiner Verkehrssicherungspflicht, § 823 Abs. 1 BGB. Mit der Eröffnung des Parkplates für seine
Mitarbeiter eröffnet Robespierre einen Verkehr. Ihn trifft insoweit eine Verkehrssicherungspflicht. Die allgemeine Rechtspflicht, im Verkehr Rücksicht auf die Gefährdung anderer zu nehmen, beruht auf dem Gedanken,
daß jeder, der Gefahrenquellen schafft, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze Dritter zu treffen hat. Eine Gefahr ist haftungsbegründend, wenn sich für einen sachkundig Urteilenden die naheligende Möglichkeit
ergibt, daß Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Verpflichtet ist Robespierre als derjenige, der in der Lage ist, über die Benutzung des Grundstücks zu verfügen.
3. Umfang der Sicherungspflicht
Die Verpflichtung geht dahin, die zur Verfügung gestellten Parkplätze verkehrssicher zu halten. Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, daß der Parkplatz
hinsichtlich seiner Benutzung den billigerweise zu stellenden Anforderungen entspricht. Er muß mittels geeigneter Vorkehrungen dafür Sorge tragen, daß die durch die Benutzung des Parkplatzes für die Fahrzeuge
drohenden Gefahren auf ein den Benutzern gegebenenfalls zumutbares Mindestmaß zurückgeführt werden. Robespierre haftet dagegen nicht für Schäden, vor denen die Arbeitnehmer sich auch sonst im Straßenverkehr nicht
wirksam schützen können. Eine Garantie für absolute Gefahrlosigkeit besteht nicht. Das entspricht allgemeiner Auffassung.
4. Pflicht zum Winterdienst
Arbeitgeber Robespierre ist den ihm obliegenden Verpflichtungen in ausreichendem Umfang nachgekommen. Er genügte seinen Pflichten, indem er die Zufahrtswege
abstreute. Eine Verpflichtung, auch die Parkflächen zu streuen, bestand unter den gegebenen Umständen nicht. Zu welchen Maßnahmen der Arbeitgeber verpflichtet ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles.
Das notwendige Ausmaß der Sicherung wird vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bestimmt. Eine übermäßige und unverhältnismäßige Belastung kann dem Arbeitgeber nicht abverlangt werden. Dementsprechend ging die
Verpflichtung des Arbeitgeber in dieser Situation nicht weiter als für andere Gewerbetreibende und Körperschaften, die einen Parkplatz für ihre Kunden oder für die Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Der Umfang
der Streupflicht geht nicht so weit, daß Verkehrsteilnehmer oder Fahrzeuge von garantierter Rutschfreiheit ausgehen können. Sie bleiben selbst zur Anwendung der erforderlichen Sorgfalt verpflichtet. Für winterliche
Glätte auf öffentlichen Parkflächen gilt, daß diese hinsichtlich der Streupflicht nicht wie Fahrbahnen behandelt werden können. Die Streupflicht als Teil der Verkehrssicherungspflicht soll nur wirkliche Gefahren
beseitigen. Gewisse Einwirkungen der Naturgewalten müssen die Verkehrsteilnehmer hinnehmen und notfalls die Benutzung ihres Fahrzeuges unterlassen. Es ist nur für den sicheren Fahrverkehr zu sorgen. Dementsprechend
sind grundsätzlich nur die Fahrbahnen zu streuen. Etwas anderes gilt nur für Parkbuchten, z.B. auf dem Parkplatz eines Supermarktes, in denen auch be- und entladen wir, oder Parkplätze von Gaststätten.
Dementsprechend konnte Marie Antoinette sich nicht darauf verlassen, daß die Parkflächen gestreut und rutschfrei waren. Dafür besteht auch angesichts der festgestellten Wetterverhältnisse weder auf öffentlichen noch
privaten Parkflächen eine Garantie.
5. Spezielle Warnpflicht?
Da Arbeitgeber Robespierre seine Streupflicht erfüllt hat, bestand auch keine Veranlassung, den Parkplatz zu sperren. Eine Verpflichtung zur Aufstellung
eines Schildes bestand ebenfalls nicht. Bei den festgestellten Wetterverhältnissen muß jeder Fahrer wissen, daß es zu Glatteisbildungen gerade auch auf Flächen außerhalb der Fahrbahnen kommen kann. Es besteht keine
Verpflichtung des Arbeitgebers, der seiner Streupflicht nachgekommen ist, hierauf nochmals besonders hinzuweisen. Dies gilt besonders angesichts des Vorbringens von Marie Antoinette, der gesamte Personalparkplatz
einschließlich der Zufahrtswege sei spiegelglatt überfroren gewesen. Die Streupflicht des Arbeitgebers auf einem Firmenparkplatz besteht im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich nur für die
Fahrbahnen, nicht für die Parkbuchten.
6. Dantons Schaden?
Danton war wegen des Blitzeises zunächst in seine Stammkneipe geeilt, um das Streufahrzeug abzuwarten. Erschüttert sieht er bei seiner Rückkunft den
demolierten PKW. Für seinen Schaden haftet die Schadensverursacherin, die eilige Marie Antoinette bzw. ihre Versicherung. Robespierre könnte allenfalls belangt werden, wenn ein Mitverschulden vorläge. Wie schon
festgestellt, ist das nicht der Fall. Marie Antoinette muß deshalb ihren eigenen Schaden tragen und den von Danton. Mangels Mitverschulden von Robespierre hat sie wegen Dantons Schaden auch keinen
Freistellungsanspruch gegen Robespierre. Soweit ihre Versicherung bei Danton einspringt, hat sie eine Höherstufungsschaden.
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