Folge 64: Essensgeldzuschuß – Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten
Die Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitarbeitnehmern kann im Einzelfall sachlich gerechtfertigt sein. In vielen Fällen beinhaltet
jedoch die Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten eine unzulässige und rechtswidrige Diskriminierung, die vom Gesetzgeber und den Arbeitsgerichten nicht akzeptiert wird.
Der Fall:
Arbeitgeber Agamemnon hat mit seinem Betriebsrat eine “Betriebsvereinbarung Essensgeldzuschuß” abgeschlossen. Danach bekommen Vollzeitarbeitnehmer einen
Essensgeldzuschuß “für jeden Arbeitstag zur Teilnahme an einer Mittagsmahlzeit in einer Betriebskantine”. Der Essensgeldzuschuß beträgt arbeitstäglich 1 Euro. Für jedes Quartal werden an Vollzeitarbeitarbeitnehmer
deshalb 65 Euro ausgezahlt. Die teilzeitbeschäftigte Philomele arbeitet an 5 Tagen jeweils 6 Stunden, insgesamt 30 Wochenstunden. Die geringbeschäftigte Andromeda arbeitet an 5 Arbeitstagen jeweils 3 Stunden,
insgesamt 15 Wochenstunden. Der Teilzeitbeschäftigte Hephaistos arbeitet nur an 2 Tagen, allerdings Vollzeit mit 8 Stunden. Arbeitgeber Agamemnon verweigert allen Teilzeitbeschäftigten den Essensgeldzuschuß. Er
beruft sich auf die Betriebsvereinbarung, die nur für Vollzeitarbeitnehmer gilt. Die Teilzeitarbeitnehmer fühlen sich diskriminiert und klagen. Wie entscheidet das Arbeitsgericht?
Die Lösung:
1. Freiwillige Leistung
Der Essensgeldzuschuß ist eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers Agamemnon. Er ist weder gesetzlich noch tarifvertraglich vorgeschrieben. Gleichwohl
unterliegen auch freiwillige Leistungen des Arbeitgebers den geltenden Gesetzen. Agamemnon irrt, wenn er meint, mit dem Betriebsrat freie Vereinbarungen nach eigenem Gusto treffen zu können. Gesetzeswidrige oder
diskriminierende Regelungen sind auch bei freiwilligen Leistungen verboten.
2. Rechtsform
Für die Bindung an die Gesetze spielt die Rechtsform der Zusage keine Rolle. Der Arbeitgeber kann eine einseitige Zusage machen (Gesamtzusage). Er kann
vertragliche Vereinbarungen treffen oder eine Betriebsvereinbarung abschließen. In jedem Falle ist er geltendem Recht unterworfen.
3. Diskriminierung
Sowohl das Bundesarbeitsgericht wie der Europäische Gerichtshof haben immer wieder entschieden, daß diskriminierende Regelungen aller Art im
Arbeitsverhältnis untersagt sind, sofern kein sachlicher Grund für eine Schlechterstellung besteht. Das Diskriminierungsverbot bezieht sich insbesondere auf die Diskriminierung und Schlechterstellung der Frau im
Arbeitsleben, d.h. auf eine Diskriminierung wegen des Geschlechtes. Der Gesetzgeber hat in § 611a BGB ausdrücklich eine unterschiedliche Behandlung oder Benachteiligung wegen des Geschlechtes verboten. Das
Diskriminierungsverbot bezieht sich aber auch auf das Verbot der unterschiedlichen Behandlung von Arbeitnehmern wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft oder gewerkschaftlichen Betätigung.
4. Diskriminierung von Teilzeitarbeit
Der Gesetzgeber hat in § 4 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz insbesondere auch die Diskriminierung und Schlechterstellung von teilzeitbeschäftigten
Arbeitnehmern im Betrieb verboten. Der Arbeitgeber darf einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß
sachliche Gründe die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Schlechterbehandlung von Teilzeitarbeitnehmern in Deutschland regelmäßig auch eine Schlechterbehandlung wegen
des Geschlechtes darstellt, weil davon ganz überwiegend Frauen betroffen sind. Eine Ungleichbehandlung wegen der “Teilzeitarbeit” liegt immer dann vor, wenn die Dauer der Arbeitszeit das alleinige Kriterium
darstellt, an das eine Differenzierung bei den unterschiedlichen Arbeitsbedingungen oder zusätzlichen Leistungen anknüpft.
5. Sachlicher Grund
Eine Schlechterstellung von Arbeitnehmergruppen bei betrieblichen Leistungen kann dann gerechtfertigt sein, wenn ein sachlicher Grund vorhanden ist. Allein
das unterschiedliche Arbeitspensum von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten stellt jedoch in der Regel keinen sachlichen Grund für einen totalen Ausschluß der Teilzeitarbeitnehmer von der
betrieblichen Zusatzleistung dar. Eine Schlechterstellung der Teilzeitbeschäftigten kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn sich der sachliche Grund aus dem Leistungszweck und dem Umfang der Teilzeitarbeit
herleiten läßt. Vorliegend ist der Zweck des Zuschusses, “die Teilnahme an einer Mittagsmahlzeit” zu fördern. Arbeitnehmerin Philomele arbeitet 6 Stunden am Tag. Sie hat wie die anderen Arbeitnehmer auch eine
Mittagspause. Ein Ausschluß von der Mittagsmahlzeit in der Kantine und damit ein Ausschluß des Essensgeldzuschusses kann hier sachlich nicht gerechtfertigt sein. Anders verhält es sich bei der geringbeschäftigten
Arbeitnehmerin Andromeda. Sie arbeitet nur 3 Stunden am Tag. Für diese Arbeitszeit hat sie keine Pause, an der sie an einer Mittagsmahlzeit teilnehmen könnte. Bei einer solch kurzen Arbeitszeit, die regelmäßig ohne
Pause stattfindet, ist eine Mittagsmahlzeit im Betrieb nicht erforderlich. Es besteht ein sachlicher Grund, hier den Essensgeldzuschuß zu verweigern.
6. Anteilige Leistung
Nach ständiger Rechtsprechung muß bei Teilzeitarbeitnehmern auch geprüft werden, ob ihnen ggf. die freiwillige Leistung des Arbeitgebers, die tarifliche oder
vertragliche Leistung anteilig zusteht. Dies gilt auch z.B. bei der Gewährung von Urlaub oder Weihnachtsgrafitikation. Dabei ist der jeweilige Zweck der Leistungen zu prüfen: Ein Fahrtkostenzuschuß ist
teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern in voller Höhe zu gewähren. Die Fahrt zur Arbeit fällt bei teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern ebenso an, wie bei Vollzeitbeschäftigten. Dagegen würde sich im Zweifel die
Weihnachtsgratifikation und das Urlaubsgeld entsprechend dem prozentualen Anteil an der Arbeitszeit mindern. Der Arbeitnehmer Hephaistos ist zwar teilzeitbeschäftigt mit 2 Arbeitstagen pro Woche. Er arbeitet
aber an diesen Tagen voll, d.h. jeweils 8 Stunden. Nach Sinn und Zweck des Essensgeldzuschusses muß auch ihm an diesen Tagen die Teilnahme an der Mittagsmahlzeit mit dem Essensgeldzuschuß gefördert werden.
7. Ergebnis
Arbeitgeber Agamemnon muß der Teilzeitarbeiterin Philomele pro Quartal die vollen 65 Euro Essensgeldzuschuß bezahlen. Eine prozentuale Minderung kommt wegen
dem Zweck der Leistung (Teilnahme an der Mahlzeit) nicht in Betracht. Arbeitnehmer Hephaistos hat Anspruch auf 2 Euro pro Woche, d.h. auf 26 Euro im Quartal. Die Teilzeitarbeitnehmerin Andromeda geht dagegen leer
aus, da sie bei 3 Arbeitsstunden pro Tag weder eine gesetzliche Pause, noch die Notwendigkeit zur Teilnahme am Kantinenessen für sich in Anspruch nehmen kann.
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