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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 104: Weihnachtsgeld bei Krankheit und vorzeitigem Ausscheiden

    Immer wieder gibt es Streit, wenn ein Arbeitnehmer z.B. im Herbst ausscheidet und eine Weihnachtsgratifikation anteilig verlangt.
    Andererseits empfinden es viele Arbeitgeber als unbillig, wenn sie bei einem langfristig erkrankten Arbeitnehmer die volle Weihnachtsgratifikation zahlen sollen.

Der Fall

    Arbeitnehmerin Angela hat von ihrem Arbeitgeber die Zusage auf ein 13. Monatsgehalt. Sie scheidet zum 31.10.2001 aus. Sie verlangt bei Ausscheiden Zahlung eines anteiligen 13. Monatsgehalts in Höhe von 10/12 des Gehalts. Arbeitgeber Hans Spar lehnt ab. Weihnachtsgeld bekomme nur diejenige Mitarbeiterin, die bis zum Jahresende im Arbeitsverhältnis stünde.
    Arbeitnehmer Lothar erhält ebenfalls ein 13. Monatsgehalt in Höhe von 3.500,- Euro brutto. Er ist jedoch seit 6 Monaten erkrankt. Arbeitgeber Gregor hat seine Gratifikationszusage wie folgt eingeschränkt: Kranke Arbeitnehmer bekommen für jeden Arbeitstag, an dem Arbeitsunfähigkeit vorliegt, einen Betrag von 10,- Euro vom 13. Monatsgehalt abgezogen.
    Arbeitgeber Gregor will deshalb für 120 Arbeitstage 1.200,- Euro vom 13. Monatsgehalt abziehen. Lothar hält das für ungerecht. Jetzt werde er für seine Krankheit auch noch bestraft.

Die Lösung

1. Vorzeitiges Ausscheiden

    Die Frage, wann eine Arbeitnehmerin bei Ausscheiden vor Auszahlung des Weihnachtsgeldes ihren Gratifikationsanspruch verliert oder nicht, kann nicht generell beantwortet werden. Die Beantwortung dieser Frage hängt stets davon ab, wie die Gratifikationszusage ausgestaltet war.
    Im Rahmen der Vertragsfreiheit kann der Arbeitgeber bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis den Anspruch auf Zahlung einer Gratifikation generell ausschließen. Dann bestimmt er, daß die Arbeitnehmerin sich z.B. am 31.11. oder 31.12 des Jahres noch in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden muß. Sollte der Arbeitgeber eine solche Bedingung jedoch nicht ausdrücklich in die Gratifikationszusage aufnehmen, muß er bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis an die Arbeitnehmerin die anteilig verdiente Gratifikation auch anteilig auszahlen.
    Im Falle des Arbeitgebers Hans Spar wurde ein solcher Vorbehalt nicht gemacht. Die zum 31.10.2002 ausscheidende Arbeitnehmerin Angela hat deshalb Anspruch auf 10/12 des 13. Monatsgehalts. Mangels entsprechendem Vorbehalt wird der Arbeitgeber Hans Spar bei einer Klage der Arbeitnehmerin verlieren.

2. Krankheit/Anwesenheitsprämie

    Die Rechtsprechung hat es für zulässig erachtet, daß durch Individualvertrag für den Fall der Krankheit auch die Minderung einer Gratifikation vereinbart werden kann (sog. “Anwesenheitsprämie”). Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung auch für die Weihnachtsgratifikation oder Jahressonderleistung.
    Der Krankenlohn nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz oder Tarifvertrag darf zwar für die Zeit der Krankheit nicht gekürzt wird. Die Entgeltfortzahlung, d.h. die laufenden monatlichen Bezüge, müssen gezahlt werden. Soweit aber der Arbeitgeber darüber hinaus eine freiwillige Leistung zusagt, darf er diese bei Vorliegen von Krankheitstagen kürzen, wenn dies im Vorhinein mit dem Arbeitnehmer so vereinbart war. Die Ausgestaltung solcher vertraglichen Kürzungsvorschriften unterliegen jedoch der richterlichen Billigkeitskontrolle. Das Bundesarbeitsgericht sieht eine Kürzung von etwa 1/60 pro Arbeitstag als angemessen an.
    Arbeitgeber Gregor durfte deshalb aufgrund der vorhandenen eingeschränkten Zusage die Weihnachtsgratifikation von Lothar um 10,- Euro pro krankheitsbedingtem Fehltag mindern. Er ist berechtigt, das 13. Monatsgehalt um 1.200,- Euro zu kürzen. Die Kürzung ist nicht übermäßig.

3. Elternzeit

    Eine große Streitfrage stellt sich immer wieder in der Elternzeit (früher: Erziehungsurlaub). Auch hier muß geprüft werden, ob die Weihnachtsgratifikation den Personen zusteht, die sich z.B. 3 Jahre in der Elternzeit befinden.
    Der Grundsatz der Vertragsfreiheit gilt auch für die Elternzeit. Diese Zeiten müssen bei der Gratifikationszahlung dann nicht berücksichtigt werden, wenn der Arbeitgeber die Zusage der Weihnachtsgratifikation eingeschränkt und den Arbeitnehmern klar mitgeteilt haben, daß für die Elternzeit der Anspruch auf Weihnachtsgratifikation entfällt.
    Diese Einschränkung ist rechtlich nicht zu beanstanden, da während der Elternzeit auch keine Arbeitsleistung und keine besondere Betriebstreue erbracht wird.
    Hat dagegen der Arbeitgeber diese Einschränkung nicht gemacht, so muß er auch für den Erziehungsurlaub die Gratifikation in vollem Umfange gewähren. Dies gilt unabhängig davon, ob der Erziehungsurlaub 3, 6 oder 9 Jahre andauert.
    Eine nachträgliche Einschränkung und Verschlechterung der Gratifikationszusage für die Zeit des Erziehungsurlaubes ist nur dann möglich, wenn die Arbeitnehmerin sich damit einverstanden erklärt.
    Soweit Tarifverträge gelten, muß ebenfalls geprüft werden, ob in den Tarifverträgen für die Zeit des Erziehungsurlaubes Einschränkungen wegen der Jahressonderzahlung gemacht worden sind oder nicht.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug